© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Jenseits der Lohngesellschaft
von Matthias Seegrün

Wir erleben gegenwärtig den Übergang von einer Arbeits- in eine Wissensökonomie. Nicht zuletzt der weltweit zu verzeichnende Anstieg des Bedarfs an IT-Kräften illustriert diese Entwicklung. Der tiefgreifende Wandel menschlicher Wirtschaftstätigkeit kommt jedoch vor allem in der seit Jahrzehnten steigenden bzw. auf hohem Niveau stagnierenden Arbeitslosigkeit und ihren Folgen zum Ausdruck. In den Sozialwissenschaften wird von der "Krise der Arbeitsgesellschaft" gesprochen. Wohin die im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaft sich entfaltende und untrennbar mit ihr verbundene technologische Revolution führt oder führen könnte, wird dennoch bislang kaum ermessen. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der marxistisch inspirierte Denker André Gorz, der in seinem neuen Buch "Arbeit zwischen Misere und Utopie" (Suhrkamp, Frankfurt/Main 2000, 208 Seiten, 32 Mark) eine fundierte Analyse des globalen Kapitalismus und der Veränderung der Arbeitswelt liefert sowie die aktuellen Entwicklungstendenzen konsequent zu Ende denkt und mit visionärer Kraft mögliche Alternativen auslotet.

Dem einstigen Vordenker der Neuen Linken zufolge ist die erwerbsarbeitszentrierte Gesellschaft, die erst mit der industriellen Revolution entstanden war, im Zuge der Entfaltung einer Wissensökonomie und der mit ihr verbundenen Produktivitätssteigerungen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wenn neben "Humankapital" in Computern gespeichertes Wissen zur wichtigsten Produktivkraft wird, nimmt das zur Hervorbringung des gesellschaftlichen Reichtums benötigte Erwerbsarbeitsvolumen ständig ab. Arbeitslosigkeit und diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse (Zeitarbeit, Arbeit auf Abruf, Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung usw.), die kein geregeltes bzw. ausreichendes Einkommen mehr sicherstellen können, sind somit für einen wachsenden Personenkreis die Folge.

In einem Beitrag für die Gewerkschaftlichen Monatshefte führte Gorz für Westdeutschland Zahlen an, die besagen, daß gegenwärtig (Angaben von 1998) nur noch 55 Prozent der Beschäftigten über ein "Normalarbeitsverhältnis" (d.h. eine Vollzeitstelle) verfügen – gegenüber 80 Prozent im Jahre 1980. Die eigentlich als Kompensation gedachten Arbeitsplätze im Bereich persönlicher Dienstleistungen entstehen nur um den Preis einer zunehmenden ökonomischen Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche und wachsender sozialer Ungleichheit. Dies zeigt vor allem das Beispiel der USA und Großbritanniens. Einem immer kleiner werdenden Kern von hochqualifizierten Vollzeiterwerbstätigen in attraktiven Tätigkeitsfeldern steht dort eine wachsende Zahl von Menschen gegenüber, die gezwungen sind, sich mit mehreren, zumeist schlecht bezahlten "Jobs" durchzuschlagen. Deshalb ist ihr Leben in vielen Fällen von existenzieller Unsicherheit geprägt.

Gorz sieht durch den geradezu sozialdarwinistische Züge annehmenden Konkurrenzkampf um die immer knapper werdenden Arbeitsplätze die Gesellschaft auseinanderbrechen. Neben der äußerst ungleichen Verteilung des materiellen Reichtums verweist er auf die Problematik persönlicher Identitätsfindung durch Arbeit, die er unter den beschriebenen Bedingungen nicht mehr gewährleistet sieht. Wenn eine Selbstdefinition nicht mehr über das, was man tut, möglich sei, bestehe die Tendenz, sich ausschließlich darüber zu definieren, was man ist, so Gorz. Kollektivismen nationalistischer und fundamentalistischer Prägung würden vielen Menschen insofern als letzter Halt erscheinen.

 

Dem sozialen Zerfall der Industriegesellschaften, der in Gewalt und Anomie zu münden droht, ist nur durch einen "Exodus aus der Bürgergesellschaft" zu begegnen. Ziel ist die Ausbildung einer Multiaktivitäts- oder Kulturgesellschaft.

 

In vielen Ländern der Dritten Welt führt die Globalisierung mit der Vernichtung der nicht konkurrenzfähigen einheimischen Produktion zur Verelendung weiter Teile der Bevölkerung und trägt zu einer verstärkten Entwurzelung der Völker bei. Die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen treibt Millionen Menschen zur Abwanderung in die Slums der Megastädte oder veranlaßt sie, sich auf den Weg in die Industrieländer zu begeben. In Gorz‘ Kritik hineinzudenken wäre folglich, worauf der Vordenker der französischen Neuen Rechten, Alain de Benoist, in seinem Buch "Aufstand der Kulturen" aufmerksam macht: Die Auswirkungen des globalen Kapitalismus führen für Zuwanderer und Einheimische gleichermaßen zum Verlust der Heimat. Während erstere gezwungen sind, ihre Länder zu verlassen, haben letztere schwerwiegende Veränderungen ihrer lebensweltlichen Umgebung zu erdulden, die als Überfremdung erlebt werden. Spannungen im nunmehr multiethnischen Zusammenleben verstärken die Konflikte der ohnehin von sozialem Zerfall betroffenen Industriegesellschaften, die sich im Zuge der gegenwärtigen Entwicklungen noch weiter verschärfen dürften. Angesichts dieser Perspektiven stimmen Gorz und de Benoist, der sich besonders in seinen Ausführungen zur Zukunft der Arbeit an dessen Positionen orientiert, darin überein, daß die arbeitszentrierte Gesellschaft mittel- und langfristig ein Auslaufmodell ist und Probleme aufwirft, die ein radikales Umdenken und völlig neue Lösungsansätze verlangen.

Gorz geht es darum, eine gesellschaftliche Alternative aufzuzeigen, in der das der Wissensökonomie innewohnende Befreiungspotential (die durch Einsparung von Arbeit freigesetzte Zeit) zur Entfaltung kommen kann. Damit dementsprechende Möglichkeiten sich auftun könnten, habe jedoch zunächst die fremdbestimmte, entlohnte Arbeit ihre zentrale Rolle im Bewußtsein, im Denken und in der Vorstellung aller zu verlieren. Dem in einer zumindest halbwegs funktionierenden Arbeitsgesellschaft Sozialisierten verlangt Gorz insofern erhebliche Umstellungsleistungen ab, die jedoch nicht schwerer wiegen als die von der Wirtschaft verlangte "Flexibilität" der Arbeitskräfte. Diskontinuierliches Arbeiten müsse – statt als minderwertig, unsicher, aufgezwungen zu gelten – zu einem wünschenswerten, sozial abgesicherten Recht werden, "zu einer gesellschaftlich geachteten Form menschlicher Vielseitigkeit, zu einer Quelle selbständiger Alltagskultur und neuer Gesellschaftlichkeit".

Dem sozialen Zerfall, der in Gewalt und Anomie zu münden drohe, sei also nur durch einen "Exodus aus der Arbeitsgesellschaft" zu begegnen. Ziel ist die allmähliche Ausbildung einer "Multiaktivitäts- oder Kulturgesellschaft", in der sich Lohnarbeit und in zunehmendem Maße frei gewählte Aktivitäten abwechseln. Dies entspreche dem aktuellen kulturellen Wandel und dem vor allem von der jungen Generation vorgebrachten Verlangen nach einem multiaktiven Leben. Damit sich eine solche – nur vor dem Hintergrund der noch zu erwartenden Produktivitätssteigerungen denkbare – Gesellschaft entwickeln könne, sei es erforderlich, einen entsprechenden rechtlichen und politischen Rahmen zu schaffen: "Es gilt, das Recht, Rechte zu besitzen, von der Arbeit abzukoppeln, und insbesondere das Recht auf alles, was ohne oder mit immer geringerem Arbeitsaufwand produziert oder produzierbar wird. Es gilt, zur Kenntnis zu nehmen, daß weder das Recht auf ein Einkommen noch die Fülle der Bürgerrechte, noch die Entfaltung und Identität der Einzelnen länger von der Ausübung einer entlohnten Beschäftigung abhängen oder auf sie zentriert sein können."

Die Voraussetzungen hierzu sieht Gorz durch den gegenwärtigen technologischen Wandel als gegeben an. Dieser führe dazu, daß der Kapitalismus seine eigenen Existenzgrundlagen zerstöre und die Bedingungen zu seiner eigenen Überwindung schaffe. Das bisherige Monopol des Kapitals an den Produktionsmitteln werde zunehmend brüchig. Es gelte, sich dieses Prozesses zu bemächtigen und die Überwindung des Kapitalismus von ihrer Vollendung her denken zu können. An Wissen – ob als "Humankapital" oder in Computern gespeichert – lasse sich kein Alleinbesitztum mehr erwerben. Im Unterschied zu Sachkapital könne derartiges Wissenskapital ohne Aufgabe seines Besitzes weitergegeben werden. Es könne beliebig und kostenlos vervielfältigt werden. Auch habe es keinen kalkulierbaren Tausch- oder Arbeitswert. Der Preis, den beispielsweise ein Computerprogramm auf dem Markt erziele, hänge nicht von der zu seiner Entwicklung aufgewandten Zeit ab, sondern von der Monopolstellung, die sein Erfinder sich für eine gewisse Zeit sichern könne, bevor eine nahezu kostenlose Vervielfältigung des Programms möglich werde. Das Einkommen des Erfinders sei daher eine technische Rente und nicht die Entlohnung einer Arbeitsmenge.

In letzter Konsequenz führe die Entfaltung der Wissensökonomie dazu, daß die Gesetze der alten Ökonomie hinfällig werden. Schließlich beseitigt die fortschreitende Informatisierung und Automatisierung nicht nur wie beschrieben Lohnarbeit, sondern auch zahlungsfähige Käufer. Wenn die Schöpfung von Reichtum kaum noch Löhne ausschütte d.h. kaum noch Zahlungsmittel in Umlauf bringe, stelle sich die Frage nach welchen Prinzipien die Verteilung des gesellschaftlich geschöpften Reichtums erfolgen soll. Auf diese Problematik – und nicht auf einen angeblichen "Mangel an Arbeit" – gingen demnach auch unsere gegenwärtigen Probleme zurück. Gorz zufolge gilt es daher nicht, "Arbeitsplätze um der Arbeitsplätze willen" zu schaffen, sondern "alle gesellschaftlich notwendige Arbeit und den gesamten gesellschaftlich produzierten Reichtum zu verteilen".

Als Kernelement einer solchen Politik – die selbstverständlich nicht in einem einzigen Schritt umgesetzt werden könnte – sieht Gorz die Einführung eines allen Bürgern bedingungslos garantierten, ausreichenden sozialen Grundeinkommens an, das die Diskontinuität der Erwerbsverläufe humanisieren und die Voraussetzungen zur Ausbildung einer Gesellschaft der Multiaktivität jenseits der Lohngesellschaft schaffen würde. Außerdem werde es am besten einer Ökonomie gerecht, die das "allgemeine gesellschaftliche Wissen, knowledge, zur unmittelbaren Produktivkraft" (Marx) macht und die unmittelbare Arbeitszeit verglichen mit der zur Entwicklung von entsprechenden geistigen Fähigkeiten und Kompetenzen erforderlichen Zeit auf ein weniges reduziert. Ein Arbeitsquantum, das Voraussetzung zur Auszahlung des Grundeinkommens wäre, lasse sich unter diesen Bedingungen immer schwerer festlegen. In langfristiger Perspektive sieht er daher die Notwendigkeit, das soziale Grundeinkommen als nicht zu hortendes "Konsumgeld" zu konzipieren, das "nicht mehr dem Wert der Arbeit (das heißt den zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Produkten), sondern den Bedürfnissen, Wünschen und Bestrebungen, zu deren Befriedigung die Gesellschaft sich die Mittel beschafft", entspricht. In dem Moment, in dem das "Wertgesetz" hinfällig werde, ergebe sich zwangsläufig eine andere Ökonomie, "in der die Preise nicht mehr die Kosten der in den Produkten und den Arbeitsmitteln enthaltenen, immer unwichtiger werdenden unmittelbaren Arbeit spiegeln und in der das Preissystem auch nicht mehr den Tauschwert der Produkte wiedergibt. Die Preise müssen notwendig politische Preise sein und das Preissystem Spiegel des gesellschaftlich gewählten Konsum-, Zivilisations- und Lebenskonzepts".

Gorz legt besonderen Wert darauf, daß ein solches Grundeinkommen, das zusammen mit dem Einkommen aus einer Arbeit beziehbar wäre, nicht als Unterstützung oder Sozialhilfe aufgefaßt werden dürfe. Vielmehr sei es im Sinne einer generative policy (Giddens) zu verstehen: "Danach soll es Einzelnen und Gruppen verstärkt Möglichkeiten zu Selbstverantwortung und ein größeres Gestaltungsvermögen ihres Lebens und ihrer Lebensbedingungen geben. Es soll nicht von aller Arbeit entheben, sondern im Gegenteil das Recht auf Arbeit zu einem wirklichen Recht machen: Nämlich nicht als das Recht auf abstrakte Arbeit, die einem zur Verrichtung gegeben wird, sondern auf konkrete Arbeit, die man, ohne dazu genötigt zu sein, macht."

Die Voraussetzung einer solchen "Wiederaneignung der Arbeit" – das Recht auf eigene Produktivmittel – sieht Gorz im Zuge des technologischen Wandels in greifbare Nähe rücken. Seine Hoffnungen stützen sich auf die Verbreitung leistungsfähiger computergesteuerter Maschinen und Fertigungssysteme, die in Selbstversorgungs- und Tauschringen organisierten lokalen Gemeinschaften und Einzelpersonen dazu verhelfen könnten, einen Großteil des von ihnen selbst definierten Bedarfs durch Eigenarbeit zu decken. Als richtungweisend sieht er hier die von Frithjoff Bergmann in seinen "Zentren für Neue Arbeit" an der Universität von Michigan in Ann Arbor entwickelten praktischen Ansätze zu einer people’s economy an. Selbstversorgung auf fortgeschrittenstem technischen Niveau könnte es nach Bergmann jedem ermöglichen, 70 bis 80 Prozent der lebensnotwendigen Dinge in nur zwei Arbeitstagen pro Woche selbst herzustellen. Im Zuge der Verbilligung entsprechender Technologien sei dieses Modell für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen praktikabel. Lebensstandard und Lebensqualität eines Landes würden dann "weit mehr von der Dichte der lokalen, vernetzten, selbstorganisierten Selbstversorgungseinrichtungen abhängen als von der Höhe des Geldeinkommens".

 

Die Überwindung des Kapitalismus wird zu einer realen Notwendigkeit. Letztlich muß es darum gehen, Wirtschaft und Technikwissenschaft dem Sozialen unterzuordnen, sie also in den Dienst des Menschen zu stellen.

 

Zugleich ließe sich auf diese Weise das Verhältnis von Eigenarbeit und gesamtgesellschaftlich erforderlicher Erwerbsarbeit umkehren. Damit jeder Zugang zu einer bezahlten Arbeit haben und in den Genuß eines multiaktiven Lebens kommen könne, sei es erforderlich, den Beschäftigten die Wahl zwischen zahlreichen Formen von Diskontinuität anzubieten, um letztere in eine neue Freiheit zu verwandeln. Als Beispiel für bereits praktizierte diskontinuierliche Arbeitsmodelle, die für eine Politik des Übergangs besonders geeignet sind, führt er die Niederlande und Dänemark an. Erstere verzeichnen weltweit den höchsten Prozentsatz (37 Prozent) an Teilzeitarbeitnehmern. Von einer Zwei- oder Drei-Tage-Woche bis zu vier-, sechs- oder neunmonatiger Arbeit jährlich sei hier jede Kombination möglich. In Dänemark gehe man noch weiter. Dort wird ein System angewandt, daß jedem Lohnempfänger gestattet, einen Urlaub von einem Jahr zu nehmen, den er nach Belieben staffeln kann. Während seiner Freistellung übernimmt ein Arbeitsloser seinen Platz. Der Beurlaubte erhält 70 Prozent der Unterstützung, die ihm im Falle von Arbeitslosigkeit zustünde. Normalerweise beträgt diese 80 Prozent des Lohns und kann fünf Jahre bezogen werden. Diskontinuität müsse also nicht zwangsläufig Unsicherheit mit sich bringen, sondern könne im Gegenteil die Sicherheit von Arbeitsplätzen garantieren. Letztlich bedeute diskontinuierliches Arbeiten nichts anderes als eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Umverteilung der Arbeitsplätze auf eine größere Personenzahl, verbunden mit einem individuellen Gewinn an Zeitsouveränität und Autonomie.

Unter den heutigen technologischen Voraussetzungen – und erst recht denen, die uns innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre zur Verfügung stehen werden – wird die Überwindung des Kapitalismus zur realen Möglichkeit, wenn nicht gar zur Notwendigkeit. Der postfordistische Kapitalismus der Gegenwart, so Gorz, habe sich des eigentlich über ihn hinausweisenden Wandels bemächtigt – mit der Tendenz, den Menschen nur noch als zu verwertende Ressource wahrzunehmen bzw. zunehmend überflüssig zu machen. Die größten Gefahren sieht er hier in einer Art Verselbständigung der Dynamik der Technikwissenschaft, beispielsweise mit der Entwicklung von selbstreproduktionsfähigen und selbstreparaturfähigen molekularen Mikromaschinen (Stichwort: Nanotechnologie), die bei einer immer mehr in den Bereich des Machbaren rückenden Aufhebung der Grenzen zwischen dem Technologischen und dem Biologischen die Menschen gänzlich vereinnahmen und "zum Produkt ihres Produktes" (Marx) machen könnten. Die Technikwissenschaft drohe selbst zum Subjekt zu werden. Die entscheidende Frage sei daher, welches Subjekt sich die Technikwissenschaft aneignen könne, um es nicht zu einem absoluten Produktivismus um seiner selbst willen kommen zu lassen.

Letztlich müsse es also darum gehen, Wirtschaft und Technikwissenschaft dem Sozialen unterzuordnen, sie also wieder in den Dienst des Menschen zu stellen. Den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, hält Gorz eine Umkehr in diese Richtung für möglich. Als Antwort auf den allgemeinen sozialen Zerfall und die Zerstörung der Völker eröffnet das Projekt einer Multiaktivitäts- oder Kulturgesellschaft gerade im Sinne der Neuen Rechten ungeahnte Perspektiven. Dies gilt besonders für die von Alain de Benoist angestrebte organische Ökonomie. Der Vorrang des Ökonomischen und die ökologisch fatale Wachstumsideologie könnten durch ein an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen orientiertes, selbstbestimmtes Konsummodell gebrochen werden.

Kritikern, die vielleicht schon eine neue Spielart von Kommunismus wittern, kann entgegengehalten werden, daß die Gorz’sche Ökonomie zwar ein weitgehendes Zurückdrängen des Marktes, jedoch nicht dessen gänzliche Aufhebung bedeutet, da dieser weiterhin den makrosozialen Austausch sicherstellen soll. Die diskutierten Ansätze zu einer verstärkt lokal ausgerichteten Wirtschaft, die dem mikrosozialen Austausch langfristig den Vorrang gibt, werden nicht zuletzt dadurch interessant, daß sie Grundlagen zu einer Wiederverwurzelung des Menschen auf kommunitärer Basis und zur Bewahrung der Völker schaffen.

 

Matthias Seegrün, 23, studiert Politikwissenschaft in Berlin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen