© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Aus den Zonen verbotener Filme
Neue Biographien über die Schauspieler Heinrich George und Ferdinand Marian
Dagmar Schley

Es ist schon merkwürdig: Der Berg der Bücher, die sich mit der Geschichte des Films im Dritten Reich beschäftigt, wächst unablässig, nur die Filme bekommt man immer seltener zu sehen. Eine paradoxe Entwicklung, der es entspräche, etwa für all jene Reiseverbot zu verhängen, die einen Baedeker erwerben wollen. Für Cineasten jedenfalls kommt das sukzessive Verschwinden der Babelsberger Traumproduktion aus den öffentlich-rechtlichen wie "privaten" bundesdeutschen Medien einem faktischen Verbot gleich.

Dieser Anschauungsschwund machte sich für die mitteldeutschen Ufa-Enthusiasten nach dem Mauerfall besonders kraß bemerkbar. Womit uns ein weiteres Paradoxon begegnet: Hatte doch das DDR-Fernsehen mit dem "Montagsfilm" (allwöchentlich vor Karl Eduard von Schnitzlers "Schwarzem Kanal": eine geradezu defaitistische Kombination der Adlershofer Genossen!) und "Willi Schwabes Rumpelkammer" ausgerechnet die Unterhaltungskunst des "faschistischen" Klassenfeindes institutionalisiert, um die Arbeiter- und Bauernmassen bei Laune zu halten. Seit 1990 aber ist Schluß mit lustig. Was ORB oder MDR jetzt auf diesem Sendeplatz anbieten, stammt aus dem Qualitätstief des deutschen Films zwischen 1955 und 1975. Insoweit haben die Kulturoffiziere von WDR, NDR und Bayerischem Rundfunk in Magdeburg und Potsdam demonstriert, daß die westdeutsche "Vergangenheitsbewältigung" im Systemvergleich mit dem holzschnittartigen DDR-"Antifaschismus" effizienter ist und wirklich geschichtspolitisches Weltniveau zu bieten hat. Zumal man bei ARD und ZDF schon Ende der achtziger Jahre, instruiert von cineastischen Politruks wie Karsten Witte, Ulrich Gregor, Volker Kühn, Ula Stöckl und Cinzia Romani, erkannt hatte, daß die eigentlich politische Gefahr nicht von knorzigen NS-Propagandaschinken ausgehe (die ohnehin verboten waren), sondern von der "faschistischen Ästhetik" der, wie Dirk Schümer klagte, "schauerlich gut gemachten" 1.500 Unterhaltungsstreifen, die man "nichtsahnend" wieder und wieder gesendet hatte.

In deutsch-deutscher Gemeinsamkeit sollen wir uns heute also aus Büchern über Filme informieren, die wir, volkspädagogisch bedingt, nicht mehr sehen dürfen. Insofern würden die Biographien Heinrich Georges (1893–1946) und Ferdinand Marians (1902–1946), die Kurt Fricke und Friedrich Knilli jetzt vorlegen, für jüngere, damit zwangsläufig inkompetente Rezensenten ein Risiko darstellen. Doch beide Autoren begnügen sich zum Glück nicht mit materialästhetischen Analysen, deren Richtigkeit man nur noch im Bundesfilmarchiv überprüfen könnte.

Fricke will in seiner von Werner Maser angeregten Hallenser Dissertation explizit eine "politische Biographie" des Jahrhundertkünstlers George liefern, und der an der TU Berlin lehrende Medienwissenschaftler Knilli verspricht Einblicke in die deutsche Bewußtseinsgeschichte anhand des mit Marian in der Hauptrolle gedrehten Propaganda- und "Horrorfilms" von 1940: "Jud Süß".

Um es vorwegzunehmen: beide Autoren scheitern mit ihren ideologiekritischen Anliegen. Trotzdem haben sie lesenwerte Biographien verfaßt. Mit Frickes Werk steht sogar die ultimative George-Biographie zur Verfügung – gemessen an der Intensität der Materialerschließung. Quellenkritischer und präziser als Masers zuweilen recht hagiographischer Wälzer, kann Fricke mit etlichen Mythen aufräumen, etwa mit Georges kommunistischer Vergangenheit im Umfeld von Brecht und Piscator vor 1933, mit dem vorgeblichen Kotau und der von Goebbels verordneten "Bewährungszeit", mit zahllosen Halbwahrheiten, die sich um Georges Intendanz am Berliner Schiller-Theater (1938–1945) ranken. Akribisch rekonstruiert werden auch der Umfang des NS-Engagements und die Hintergründe der Internierung durch die Sowjets, die George nicht überlebte.

Diese Verdienste Frickes werden geschmälert durch sein Unvermögen, die Verzahnung der individuellen Karriere Georges mit der politischen Funktion seiner Schauspielkunst wirklich überzeugend zu analysieren. Was Fricke zum Beispiel über Georges Mitwirkung am "Kolberg"-Film zu sagen hat, ist mehr als dürftig. Wie der stilistisch extrem unsichere Filmhistoriker überhaupt die Materialmassen zu wenig durchdringt und sich zu oft ins Zitieren flüchtet.

Vorwürfe solcher Art kann man dem flüssig erzählenden Berliner Professor Knilli nicht machen. Er beherrscht den Stoff souverän, was man nach fast dreißigjähriger Beschäftigung mit seinem österreichischen Landsmann Marian und dem "Jud Süß"-Thema auch erwarten darf. Knilli vermittelt interessante Einblicke in die politische Atmosphäre der Theaterprovinz der zwanziger Jahre, in die "deutschnationale Steiermark" und ins besetzte Rheinland. Dort glänzt Marian als notorischer "Levantiner"-Typ, bevor er über "Lustmörder und Liebhaber", die er in Hamburg und München spielte, ab 1936 zum "Filmbösewicht mit sex appeal" aufstieg, der 1940 vom "Filmminister" Goebbels genötigt wurde, neben Heinrich George und Kristina Söderbaum in Veit Harlans "Jud Süß" die Hauptrolle zu übernehmen.

Auch was Knilli über die Rezeptionsgeschichte dieses Streifens im europäischen "Großraum" mitteilt, ist lesenswert und enthält manche Trouvaillen wie die Rezension über Marians "großartige" Charakterisierung des Juden Süß, die 1940 dem "heute uneingeschränkt verehrten" Neorealisten und Wim-Wenders-Partner ("Jenseits der Wolken", 1995) Michelangelo Antonioni aus der Feder floß. Anderes aus dem Dschungel der Wirkungsgeschichte übersieht Knilli: Etwa jene Vorführungen der 1945 in den Bunkern des Reichsfilmarchivs von der Roten Armee erbeuteten Kopien des Films für Kader der KPdSU, "als Einstimmung auf die neue Welle antisemitischer Prozesse in der Endphase des Stalinismus" (Hans-Jörg Rother).

Was Knilli ideologiekritisch zum Streifen vorträgt, bleibt hingegen hinter bekannten Darstellungen über "antisemitische Filmpropaganda", etwa von Dorothea Hollstein, zurück. Nicht zuletzt deswegen, weil er es riskiert, auf die Abwege enthemmt psychologisierender Pansexualisten wie Klaus Theweleit und Nicolaus Sombart zu geraten, wenn er am Beispiel des "Jud Süß" Ideologiekritik auf Unterleibniveau reduziert, indem er die Figur des Jud Süß Oppenheimer nur als "Prototyp antisemitischer Erotik und Pornographie" deutet.

Wenn man den Beziehungsreichtum seiner Darstellung trotzdem zu schätzen weiß, kommt einem der Verdacht, Knilli habe womöglich den unwichtigeren Teil seines Werkes publiziert. Denn den üppigen Anmerkungsapparat, der auch die Forschungsgeschichte dokumentiert, hat der Verfasser ins Internet gestellt. Wer dort nachschaut ( www.kinomarkt.de  ), findet aber nichts. Die Datenbank sei noch im Aufbau, verlautet es bedauernd aus dem Büro des Professors. Der Käufer des Buches hört‘s und ist verstimmt.

 

Kurt Fricke: Spiel am Abgrund.Heinrich George. Eine politische Biographie. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2000, 360 Seiten, Abbildungen, 39,80 Mark

Friedrich Knilli: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian. Henschel Verlag, Berlin 2000, 208 Seiten, Abbildungen, 39,90 Mark


 
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