© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Zeitschriftenkritik: Pommern
Mit neuen Ideen überleben
Doris Neujahr

Wohin auch das Auge blickt – auf dem kulturpolitischen Feld, das die Vertriebenen beackert haben, machen sich finanzielle Auszehrung, personelle Verödung und inhaltliche Demenz bemerkbar. Doch es gibt eine Ausnahme, das VierteljahresheftPommern, das seit 1963 als "Zeitschrift für Kultur und Geschichte" erscheint. Zuletzt führte es ein Nischendasein, doch nun, da man ihm die öffentlichen Mittel gestrichen hat, greifen ein energischer Überlebenswille und neuer Ideenreichtum Platz. Die Pommersche Landsmannschaft als Herausgeber hat sich entschlossen, es ab diesem Jahr in voller Selbstverantwortung erscheinen zu lassen. Zunächst besticht das gefällige Äußere: 48 Hochglanz-Seiten im A 4-Format mit farbiger Bebilderung und übersichtlichem Layout. Aber auch inhaltlich ist die Mischung aus weinerlicher Bigotterie, nachträglicher Idyllisierung und einer das "Dritte Reich" betreffenden Amnesie, die vergleichbare Publikationen häufig erfüllt, gänzlich verschwunden.

Diese sichtbare Neuausrichtung war durch einen neuen Autorenstamm und Redaktionsbeirat möglich, deren profilierteste Vertreter aus dem Umfeld der Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität kommen. In Greifswald besteht auch ein Vorpommersches Landesarchiv, und mit der Eröffnung des Pommerschen Landesmuseums Ende Mai hat sich der Schwerpunkt pommerscher Kultur- und Tradtionspflege endgültig aus Lübeck, wo die Pommersche Landsmannschaft als Vertretung der alten Diaspora-Pommern nach wie vor ausharrt, nach Vorpommern verlagert. Der Schriftleiter Jens Rüdiger, selber Kulturreferent der Landsmannschaft, ist klug genug, diese Akzentverschiebung zu gestalten, anstatt von ihr getrieben zu werden.

Die neue Ausgabe zeigt allerdings auch, daß die neue Positionsbestimmung – Wen und was will man erreichen? Sollen die Artikel wissenschaftlich oder populär abgefaßt sein? – gar nicht so einfach ist. Die Beiträge sind von unterschiedlichem Niveau: Fachlich fundiert und mit nützlichen Anmerkungen versehen sind die Aufsätze zur pommerschen Geschichte im 17. und frühen 19. Jahrhundert. Kira Inachins umfangreicher Aufsatz "Der Provinzialverband Pommerns – Sprachrohr der Provinz" greift ein wichtiges Kapitel pommersch-preußischer Verwaltungsgeschichte auf. Allerdings steht kaum etwas darin, das nicht auch in Hans Fenkes Standardwerk "Die Verwaltung Pommerns 1815–1945" (1993) nachzulesen ist. Auch der Beitrag über den Maler Max Pechstein (1881–1955), der wesentliche Teile seines Œuvres in Leba, einem Ostseebad in Hinterpommern, schuf, gibt im Grunde nur Passagen aus Pechsteins Autobiographie ohne Aktualisierungen oder Vertiefungen wieder. Der unvermeidliche Beitrag über Ernst Moritz Arndt kommt unter dem Titel "’Vater Arndt‘ im Getöse der wirren Welt" daher. Ein bißchen viel an tümelndem Getöse! Doch der Text ist eher hausbacken. Um diesem Thema neue Aspekte abzugewinnen, müßte man tiefer loten und die bisherige Forschung über den Zusammenhang von Romantik, Politik und Nationalismus im 19. Jahrhundert einbeziehen.

Eine neue Perspektive eröffnet der Stettiner Journalist Bogdan Twardochleb in seinem Referat über die Identität der polnischen Bewohner Hinterpommerns nach 1945. Pommern wurde nach dem Krieg von den Polen, die es hierher verschlagen hatte und die sich in vielerlei Hinsicht entwurzelt fühlten, "nicht als Heimat betrachtet, sondern als Land, das zum polnischen Staat gehörte". Inzwischen hat sich ein Regionalbewußtsein entwickelt, das sich freilich statt an den alten pommerschen Provinzgrenzen an den polnischen Wojewodschaften orientiert. Natürlich werden in Pommern auch Bücher mit Regionalbezug rezensiert. Die Zeitschrift verdient auf jeden Fall eine Chance!

"Pommern". Zeitschrift für Kultur und Geschichte. Erscheint vierteljährlich. Preis 10 DM, Jahresabo 37 DM. Bezug: Pommersche Landsmannschaft, Europaweg 3, 23570 Lübeck


 
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