© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
WIRTSCHAFT
Atomausstieg als Beschwichtigung
Bernd-Thomas Ramb

Der Beschluß zum Ausstieg aus der Kernenergie mutet an, als hätte die SPD wieder einmal hinterm Rücken die Finger gekreuzt – ein mittlerweile probates Verfahren bei ihren Liebesschwüren gegenüber dem grünen Partner. Zumal die Grünen sich zunehmend dem postenversüßten Rausch der Selbstverleugnung hingeben.

Die Furcht, den politischen Partner zu verlieren, überdeckt alle programmatischen Bedenken. Die Realos sind mittlerweile so real, daß sie die politische Wirklichkeit nicht mehr wahrnehmen wollen. Der Ausstiegsbeschluß mit einer Laufzeit von mehr als einer Generation betrifft noch nicht einmal die politischen Erben der Grünen, denen die Jugend im doppelten Sinne wegläuft. Für die SPD wird es in ein paar Jahren heißen "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" – für eine nicht völlig auszuschließende CDU-geführte Regierung: "Was kümmert mich das Geschwätz der Rot-Grünen."

Das der Pflicht zur Profilierung folgende Lamento einiger Unions- und Wirtschaftsvertreter stört jetzt nur. In der Sache haben sie recht. Deutschland wird sich weder aus der Kernkrafttechnik noch aus ihrer Verwendung verabschieden können. Dazu sind die Vorteile dieser Form der Energiegewinnung für den realistisch Denkenden zu groß, nicht nur im wirtschaftlichen Kalkül, sondern gerade im Umweltbewußtsein. In grüne Schädel geht das natürlich nicht hinein, also hilft nur das Prinzip der Beschwichtigung und das Warten auf die vergessende Verkalkung der politisch Dahinscheidenden. Unsere Enkel werden sich wohl später einmal über die Antiatomhysterie dieser Jahre genauso köstlich amüsieren wie die heutigen Kinder über die Naivität der Flowerpower-Bewegung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen