© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Inder für den Hauptverteiler
Telekom: Vor dem dritten Börsengang – keine Transparenz bei Preisermittlung – Behinderungen im Ortsbereich
Ronald Gläser

Ron Sommer liegt viel am Image "seiner" Deutschen Telekom. Den karitativen Charakter seines Unternehmens unterstreicht er mit Aktionen wie "Schulen ans Netz", einem "Umweltmanagement" oder dem großzügigen Sponsoring für Sportler. Außerdem sorgt er sich permanent über die Gemütslage der Kleinanleger.

Die dritte Tranche von 200 Millionen jungen T-Aktien hat rund dreißig Milliarden Mark in die Kassen der Deutschen Telekom gespült. Doch der Kurs ging am ersten Handelstag ein wenig zurück. Kleinanleger erhielten einen Abschlag von drei Euro auf einen Preis, der noch gar nicht feststand.

Besonders transparent war diese Vorgehensweise nicht. Doch allen Ungewißheiten zum Trotz ist auch dieser Börsengang ein weiteres Kapitel in der Erfolgsgeschichte der Telekom. Schon vor dem Ende der "Frühzeichnerphase" überstieg die Nachfrage nach den jungen Aktien das Angebot. Mit dem Geld will sich das Bonner Unternehmen für den internationalen Wettbewerb und den Kauf weiterer Firmen.

Der rosa Megakonzern ist auf Erfolgskurs. Der Unternehmenswert wurde seit der ersten Emission vor dreieinhalb Jahren substantiell gesteigert. Die Telekom ist heute in den Bereichen Mobilfunk und Internet führend und verteidigt ihre Marktführerschaft in der Festnetztelefonie. Auch der jetzt seit zweieinhalb Jahren stattfindende Wettbewerb mit zahlreichen privaten Telefongesellschaften um die Ferngespräche hat die Quasi-Monopolstellung der Telekom nicht zu Fall gebracht. Wenigstens sind im Fernbereich die Kosten deutlich abgesunken.

Doch die Telekom muß sich nicht nur mit den globalen Spielern dieser Welt und bei Ferngesprächen messen lassen. Sie ist auch auf ihrem Heimatmarkt einer wachsenden Herausforderung durch kleine, meist städtische, Telefongesellschaften ausgesetzt.

Die privaten Konkurrenten drängen im dritten Jahr des Wettbewerbs auf den Telefonmarkt. Anders als die großen nationalen Konkurrenten der Telekom wie Arcor, Otelo oder MobilCom verfügen diese regionalen Telefongesellschaften über eigene Netze und eine komplette Infrastruktur, die manchmal bis zum Endkunden reicht. Dadurch sind sie allenfalls auf die Miete der sogenannten letzten Meile angewiesen, und können auch ohne Milliardenumsätze Gewinne erwirtschaften.

Durch ihre eigene Netzinfrastruktur können die neuen Konkurrenten der Telekom ihren Kunden ausgesprochen attraktive Gebührenmodelle bieten. So telefonieren die Kunden innerhalb des eigenen Netzes oft sehr günstig oder gar umsonst – wie im Falle der Berliner BerliKomm. Der Telekom ist diese Entwicklung natürlich ein Dorn im Auge. Solange nur die Ferngespräche über ihre Konkurrenten abgewickelt wurden, blieben die Kunden wenigstens bei den Ortsgesprächen erhalten. Wechselt jetzt ein Kunde zu einem Ortsnetzbetrieber, so ist er für die Telekom AG endgültig verloren. Aus diesem Grund versucht sie den Wechsel des Kunden solange wie möglich herauszuzögern. Dies geschieht, indem sich die Telekom faktisch weigert, den Kunden am Hauptverteiler umzustellen.

Der Hauptverteiler ist die Schnittstelle zwischen der "letzten Meile" der Telekom und dem Netz des Telekom-Konkurrenten. Entweder erscheint der Telekom-Techniker nicht zu dem vereinbarten Termin, oder die Telekom teilt mit, daß sie derzeit nicht über die notwendigen Kapazitäten verfüge, die Umstellung vorzunehmen. Diese Geschäftspraxis ist schon aus dem Bereich der Präselektion bekannt, wo die technisch einfache Umstellung der Kunden manchmal Wochen dauerte. Manch ein Konkurrent bezichtigte Telekom-Mitarbeiter gar, Faxe oder Briefe einfach unbearbeitet zu lassen.

Als eine der erfolgreichsten städtischen Telefongesellschaften kann NetCologne gelten. Die Kölner Telefongesellschaft bietet seit zwei Jahren der Telekom Paroli. Inzwischen hat sich NetCologne den zweiten Platz in der Stadt hinter der Telekom gesichert. Sie betreut inzwischen 60.000 Telefonkunden, 40.000 Internetkunden und 8.000 Geschäftskunden. Außerdem ist sie erfolgreich in der Vermarktung von Breitbanddienstleistungen aktiv. Gewinn erwirtschaftet das Unternehmen derzeit nur deshalb nicht, weil es mit aller Gewalt ins Kölner Umland expandiert. Doch dafür mußte die kleine Tochtergesellschaft der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke erst die Verzögerungstaktik der Telekom überwinden. Diese benötigt noch immer Wochen für die Umschaltung der Endkunden an das Netz von NetCologne. Währenddessen wird ein Telekom-Neukunde binnen zwei Tagen an das Netz angeschlossen.

Brigitte Schultes von NetCologne vermutet, daß die Verzögerung bei der Umstellung zur Geschäftspolitik des Unternehmens gehört. "Wir sind allerdings inzwischen in einer Situation, in der es auf dem kleinen Instanzenweg zwischen uns und der Telekom möglich ist, Kunden recht schnell an unser Netz anzuschließen", sagt die Pressesprecherin von NetCologne. Inzwischen habe man ein tägliches Kontingent von rund 200 Kunden, die von der Telekom umgeschaltet würden.

Ein anderer Fall ist Hansenet, eine Tochtergesellschaft der Hamburger Elektrizitätswerke. Mit einem Marktanteil von drei Prozent und 8.000 Privatkunden ist Hansenet noch in der Anfangsphase und durchlebt gerade die schwierige Situation, daß die Umstellung von Kunden durch die Telekom behindert wird. Jochen Michels, Pressesprecher von Hansenet, äußerte sich dazu: "Wir wollen den Streit nicht dadurch anheizen, daß wir ihn öffentlich austragen. Auf der Arbeitsebene funktioniert die Zusammenarbeit einigermaßen." Hansenet konzentriert sich auf die lukrativeren Geschäftskunden, vermutlich auch deswegen, weil diese direkt durch Hansenet angeschlossen werden können.

Diesen Weg geht auch die Berlikomm, die seit einem Dreivierteljahr der Telekom in Berlin Kunden abwirbt. Berlikomm bekommt die Verzögerungstaktik derzeit ganz massiv zu spüren. Von 300 Neukunden in Berlin werden nur rund 70 täglich umgestellt, so daß der Auftragsstau immer größer wird. Die Tochtergesellschaft der Berliner Wasserwerke bekommt als Antwort zu hören, man verfüge über "zu wenig Kapazitäten".

Neukunden warten in manchen Fällen mehrere Monate auf den Wechsel zur neuen Telefongesellschaft. Berlikomm reagiert darauf mit einer Drosselung der Nachfrage. Die Kunden reagieren wütend darauf, wie die Telekom ihre Monopolstellung bei der "letzten Meile" ausnutzt. Obwohl ihr gemäß dem Telekommunikationsgesetz von 1996 Behinderungen der Konkurrenten untersagt sind, zögert sie die Umschaltung wechselwilliger Privat- und Geschäftskunden ungeniert heraus. Händler organisieren derzeit eine Postkartenaktion an Ron Sommer, in der unter anderem zynisch gefragt wird, "ob wir demnächst Inder ins Land holen müssen, um einen Hauptverteiler zu bedienen?"

Den Unternehmen bleibt im schlimmsten Fall nichts anderes übrig als der Gang zur Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation. Diese benötigt aber auch mehrere Wochen für die Bearbeitung solcher Eingaben. Abhilfe kommt jetzt vielleicht aus Brüssel: Die EU-Kommission hat sich in den Streit eingeschaltet und die Bundesregierung zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Aus dem eingeleiteten Verfahren könnte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof folgen.

Zunächst aber kann die Telekom ihre Geschäftspraxis fortsetzen. Sie hofft, die Konkurrenz "aushungern" zu können. Da in allen Städten dieselbe Praxis zur Anwendung kommt, kann davon ausgegangen werden, daß es sich um eine abgesegnete Vorgehensweise handelt.


 
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