© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Die Verbrechen des Kommunismus
Carl Gustaf Ströhm

Der Kommunismus habe der Welt erheblich mehr Böses zugefügt als der Nationalsozialismus. Dennoch gebe es bis heute keine weltweite internationale Verurteilung des Kommunismus, wie das im Falle der Hitler-Diktatur sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschehen sei.

Mit diesen Worten eröffnete Estlands Premier Mart Laar am 14. Juni in Tallinn/Reval die Konferenz "Verbrechen des Kommunismus". Siebenhundert Teilnehmer waren gekommen, darunter Überlebende sowjetischer Gulags. In Estland wehten die Fahnen auf Halbmast mit schwarzem Trauerflor: zum Gedenken an den 14. Juni 1941, als die Sowjets Zehntausende Esten in Viehwaggons nach Sibirien verschleppten.

Margret Thatcher hatte eine Grußbotschaft geschickt, Schwedens Ex-Außenministerin Margareta af Ugglas warnte auf dem Kongreß, der Kommunismus sei unter dem Deckmantel "linker Parteien" immer noch lebendig. Der Verfasser dieser Kolumne sprach über den "Kommunismus unter der Tarnung des Anti-Nazismus", wobei er auf jüngste Bemühungen verwies, den Kommunismus als "Antifaschismus" neu zu beleben.

Mit besonderer Spannung wurde der Vortrag des einzigen russischen Teilnehmers erwartet: Sergej Kowaljow, Abgeordneter der Duma, bekannter Dissident und Vorkämpfer für die Menschenrechte sowie kurzzeitiger Beauftragter für Tschetschenien. Er bedauerte, daß das russische Verfassungsgericht seinerzeit nicht den Mut gefunden habe, die KP als verbrecherische Gruppe zu verurteilen. Kowaljow sprach von einer schweren Schuld des russischen Volkes gegenüber den Balten. Im Blick auf die jüngste Entwicklung meinte er, es sei ein großer Irrtum (des Westens), zu glauben, daß Marktwirtschaft unbedingt Demokratie hervorbringe.

Bemerkenswert war, daß Ministerpräsident Laar, dessen Vaterlandspartei den Kongreß organisierte, eine internationale Initiative ankündigte: Gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán solle eine internationale Stiftung zur Untersuchung kommunistischer Verbrechen gegründet werden, denn die Welt wisse bis heute nicht, was Kommunismus sei. Das Verschweigen aber sei nicht nur eine Beleidigung der unzähligen Opfer dieses Systems: der Erfolg und die künftige Lebensfähigkeit der Nationen Mitteleuropas hingen, so Laar, davon ab, ob "eine radikale Abkehr von der kommunistischen Vergangenheit" gelinge.

Der Revaler Kongreß war keineswegs eine Nostalgieveranstaltung, besonders die Esten sind über die jüngste Entwicklung in Rußland sehr beunruhigt. Zugleich registrieren sei ein "hedonistisches" Verhalten des "zweideutigen Westens", so der Vizepräsident des estnischen Parlaments, Tunne Kelam.

Die hedonistische Zweideutigkeit des Westens überschattete auch den jüngsten Baltikum-Besuch Bundeskanzler Schröders. Die estnischen Gastgeber waren schockiert, als die schleswig-holsteinische SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis den Staatspräsidenten Lennart Meri als "Erpresser" beschimpfte. Hinter diesem "emotionalen" Ausbruch könnte mehr stecken als eine momentane Gefühlsaufwallung. Da wird offenbar eine altbekannte Haltung sicht- und hörbar, die schon Kaiser Wilhelm II. zum Ausruf veranlaßte: "Die ganze Richtung paßt mir nicht."

Die baltischen Nationen fügen sich nicht in das "rote" Konzept einer "linken Weltordnung". So könnte man formulieren: Sage mir, wie du es mit dem Baltikum hältst – und ich sage dir, wer du bist.


 
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