© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Die Partei der Besserverstehenden
Ob mit Gerhardt, Westerwelle oder Möllemann an der Spitze, die FDP liegt derzeit voll im Trend
Paul Rosen

Nach oben, sagt Liberalen-Chef Wolfgang Gerhardt, habe er sich keine Grenzen gesetzt. Jürgen Möllemann, der politische Tausendsassa mit Sitz im Düsseldorfer Landtag, hat sein "Projekt 18 Prozent" kreiert. Und Generalsekretär Guido Westerwelle, der dritte im liberalen Spitzenbunde, sieht die sonst dahindümpelnde FDP inzwischen als Partei, "die auf Augenhöhe mit den anderen Parteien in die Wahlkämpfe zieht". Und damit meint der FDP-General nicht Grüne und Rechte, sondern SPD und Union.

Tatsächlich ist Bewegung in die FDP gekommen, deren Totenglöcklein in den letzten Jahren eher auf Dauergeläut gestellt war. Wenn es stimmt, daß Parteitage immer Heerschauen und Paraden der eigenen Truppen sind, hat der FDP-Parteitag in Nürnberg ein klares Ergebnis: Die Liberalen haben sich in der Politik zurückgemeldet und wollen wieder auf den dritten Platz im deutschen Parteienspektrum.

Es gibt mehrere Gründe, die dafür sprechen, daß der FDP ihr Wiederaufstieg gelingen könnte. Zunächst heizt der interne Wettbewerb um die Führung die Leistung der führenden Akteure an. Wolfgang Gerhardt, von Möllemann früher als "schnarchender Löwe von Wiesbaden" verspottet, bekräftigte mit einer glanzvollen Rede in Nürnberg seinen Führungsanspruch. Möllemann selbst lief zur Hochform auf und forderte sogar die Aufstellung eines FDP-Kanzlerkandidaten, wobei er durchblicken ließ, welchen Kandidaten er für den besten hält: Möllemann. Und Westerwelle, dem ebenfalls Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt werden, bindet Teile der "Generation @" an die FDP. Die Liberalen sind derzeit in der seltenen und glücklichen Lage, sich eine Personaldiskussion leisten zu können. Mit Gerhardt, aber auch mit jedem seiner potentiellen Nachfolger, könnten die proklamierten zweistelligen Ergebnisse erreichbar sein.

Woran liegt es? Auf den ersten Blick scheint die Konzentrierung der FDP-Angriffe auf die Grünen danach auszusehen, als befänden sich die beiden Parteien im Wettbewerb um die gleiche Zielgruppe. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Die FDP-Attacken gegen die Grünen richten sich gegen die führende gesellschaftliche Gruppe der 45- bis 60jährigen, die von der 68er Umwälzungen geformt worden sind, die Welt unbedingt verbessern wollen und "just zu dem Zeitpunkt, an dem sie den Marsch durch die Institutionen geschafft haben, wie Klammeraffen zu den Methoden derer (greifen), die sie angeblich immer bekämpfen wollen" (Gerhardt).

Und es ist doch wahr. Seit vielen Jahren leidet die junge Generation unter einer Gruppe etablierter volkspädagogischer Oberstudienräte und Oberstudiendirektoren, denen die Ordnung in den Mülleimern wichtiger ist als die Ordnung auf den Schulhöfen oder die Einhaltung der ohnehin nur noch rudimentären Lehrpläne. In den öffentlichen Verwaltungen haben sich die gleichen Leute als Oberamtmänner, Bezirksräte und Vizebürgermeister festgesetzt. Die kommunale Ökodiktatur ist in vielen Städten längst fest etabliert. SPD und CDU machen gefällig mit, wenn es darum geht, Autoverkehr zu erschweren oder den Bau einer Straße zu verzögern, weil vielleicht ein Froschtümpel dadurch in Existenzgefahr geraten könnte, dessen Standort – konservativ, wie man einmal ist – nicht verlegt werden kann.

Über Jahre hat das grüne Spiel funktioniert. Jetzt, wo Joschka Fischer Außenminister und Jürgen Trittin Umweltminister ist, wird selbst den gläubigsten Zeitgenossen klar, daß sie es bei den Grünen mit einer Herrschaftspartei, aber längst nicht mehr mit einer Oppositionsbewegung zu tun haben. Die FDP hat den Kampf gegen den politischen und gesellschaftlichen Mainstream aufgenommen und entdeckt damit ihre 1848er Wurzeln wieder, die in Jahrzehnten Bonner Regierung verschüttet worden waren.

Westerwelle hat ein positives Bild von der jungen Generation gezeichnet: "Die junge Generation ist keine no-future-Generation, sondern eine leistungsbereite, einsteigefreudige, tolerante und weltoffene Generation." Und Gerhardt trifft mit seiner Aussage, Autofahren mache Spaß, das Gefühl nicht nur dieser Generation wie den Nagel auf den Kopf.

Die Grünen, aber auch große Teile der SPD und der CDU, haben kein Ohr mehr für die junge Generation. Dazu bemerkte Westerwelle in Nürnberg treffend: "Wenn im Deutschen Bundestag von der jungen Generation die Rede ist, dann schauen sich Rezzo Schlauch und Joschka Fischer an und denken, sie seien gemeint." Dabei drohe der Ein-Generationen-Partei Grüne bald die feindliche Übernahme durch die Grauen Panther.

Möllemann hat der FDP gezeigt, wie man mit Tabubrüchen eine Wahl gewinnen kann. Er schreckte vor nichts zurück – nicht einmal vor einem Hitler-Konterfei auf einem Wahlplakat. In seiner Nürnberger Rede forderte er für die kommenden Wahlen eine Kampagne, "die anders ist als alle anderen, die alte Regeln bricht: überraschend fröhlich, unterhaltsam, politisch spannend, provokativ einfach und einfach provokativ." Kritiker bemängelten sofort, daß dem Spaßkanzler Gerhard Schröder damit der Spaßkanzlerkandidat Jürgen Möllemann entgegentreten wolle.

Doch Möllemann ist "trendy". Er ist der Beweis, daß immer größere Teile der Bevölkerung zum Tabubruch bereit sind: Es ist – besonders in der jungen Generation – einer bekennenden Minderheit klar, daß Rente und staatliche Umlagesysteme vor dem Konkurs stehen. Das auszusprechen ist der Tabubruch – und die FDP tut es. Die staatsnahen Parteien Union und SPD setzen dagegen immer noch auf die bürokratischen Sozialsysteme und wollen den Bürgern vorschreiben, welche Arzneimittel sie bekommen, statt ihnen die Freiheit zu geben, sich entweder vollkasko oder mit Selbstbeteiligung versichern zu können.

Möllemann hat noch ein Tabu gebrochen: Es sprach aus, was in der deutschen politischen Szene selten diskutiert worden ist. In ganz Europa sind die christdemokratischen Volksparteien erodiert: Österreich, Belgien, Niederlande und nicht zuletzt Italien sind die Beispiele, daß es "nach dem Kollaps des Sowjet-Imperiums den christdemokratischen Limes nicht mehr" braucht (Möllemann). Die deutsche politische Einstellung der letzten Jahrzehnte beschrieb Möllemann treffend wie kein Zweiter: "Der Antimarxismus hatte im Westen bei den Massen machtpolitisch gesiegt, der Antifaschismus im Zeitgeist der Eliten." Auch die SPD nehme Abschied von ihrem Milieu und entwickle sich zu einer den amerikanischen Demokraten ähnlichen Partei.

Möllemann wittert 18 Prozent für die FDP neben den bisherigen "Großen", die er bei über 20 bis 30 Prozent sieht. Vielleicht sind in diesem neuen Parteiensystem auch noch Grüne und PDS mit jeweils fünf Prozent möglich. Nur eines haben die Möllemänner übersehen: Tritt diese Entwicklung ein, ist rechts noch jede Menge Platz.


 
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