© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
"Keine nationalliberale Tendenz"
Der bayerische FDP-Chef Hermann Stützer über die Nähe zur SPD, Volksbefragungen und die EU-Erweiterung
Jörg Fischer

Herr Stützer, bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in NRW hat die FDP beeindruckende Wahlerfolge erzielt. War das nicht vor allem der CDU-Spendenaffäre zu verdanken?

Stützer: Das mag ein Grund gewesen sein, aber der Zuwachs kommt von woanders her: Wenn Sie sich die Wählerstromanalyse anschauen, ist sehr deutlich, daß wir von der CDU, von der SPD und insbesondere von den Grünen gleichermaßen Stimmenanteile gewonnen haben.

Trotz Ihres Stimmenzuwachses regiert in Kiel und Düsseldorf weiterhin Rot-Grün. Ist Rot-Gelb nicht allein ein Schreckgespenst, damit Kanzler Schröder in Berlin komfortabel regieren kann?

Stützer: Ich denke, die Zeit ist dafür wahrscheinlich noch nicht reif. Das Anwachsen der FDP in der Wählergunst in ein oder zwei Bundesländern allein reicht nicht, obwohl das in NRW wünschenswert gewesen wäre. Das wird aber der Wähler in der Weise kritisieren, daß er die FDP bei den kommenden Bundestagswahlen und zuvor bereits in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz nochmals zunehmen lassen wird. Das führt zum Anwachsen der FDP in Richtung zur dritten Kraft in Deutschland.

Die CDU hat auf Jürgen Möllemanns Angebot an Ministerpräsident Wolfgang Clement verärgert regiert, und die CDU-Linke hat Schwarz-Grün ins Spiel gebracht. Als Sieger bleibt die SPD: Mit ihr wollen inzwischen alle Bundestagsparteien koalieren – von der PDS bis zur CDU. Lediglich die CSU bleibt – noch – standhaft. Auch die FDP kann sich womöglich bald den Partner aussuchen. Was soll der Wähler von solch Austauschbarkeit halten?

Stützer: Man muß daraus einfach die Erkenntnis ziehen, daß die Parteienlandschaft profund im Umbruch ist. Uns freut dabei insbesondere die Erkenntnis der jungen Generation, sich der Freiheitsbotschaft der FDP zuzuwenden, weil sie mit den alten Botschaften der anderen Parteien nicht mehr so viel anfangen kann. Und insofern ist die FDP natürlich bestätigt in ihrer langfristigen liberalen Strategie, die sie immer gefahren hat. Die Rede von Wolfgang Gerhardt auf dem Parteitag war ein umfassendes liberales Programm: Da geht es um Leistung, um Chancengleichheit, um Wettbewerb, da geht es um Leistungsbereitschaft. Das sind die Attribute, denen die junge Generation heute nachhängt. Die FDP ist abgedockt von der CDU und in Marschrichtung auf die punktgenaue Mitte des politischen Spektrums.

Inhalte sollten die Politik bestimmen. Die FDP wird daher auf ihrem 51. Ordentlichen Bundesparteitag zwar keine neue Führung wählen, aber um so intensiver das politische Programm diskutieren. Hauptstreitpunkt mit der SPD ist die Sozialpolitik. Wird die "Partei der Besserverdienenden" jetzt aus Koalitionsgründen "sozial-liberal"?

Stützer: Ich sehe das ganz anders: Die FDP war immer eine Partei der Grundlagenpolitik, die beste Sozialpolitik ist eine gute Ordnungspolitik. Das weiß man seit Ludwig Erhard. Die FDP war immer der Meinung, daß Verteilen allein nicht die Antwort sein kann, sondern das Ermöglichen von Wertschöpfung, um dann verteilen zu können. Und dafür ist der politische Ansatz der FDP allemal der bessere. Wir werden weniger Koalitionsaussagen machen, sondern wir sind mit dieser selbstbewußten Botschaft offen nach allen Seiten.

Die FDP will "mehr Demokratie" wagen und "vom Parteienstaat zur Bürgerdemokratie" wechseln. Was bedeutet das? Sind Volksabstimmungen wie in der Schweiz oder jetzt in Österreich geplant?

Stützer: Wir werden plebiszitäre Elemente auf allen Ebenen vorschlagen. Es gab eine Reihe von sehr interessanten Anträgen dazu. Das ist nun mal auch der Wesenszug einer liberal empfundenen Politik: Das Volk soll regieren, und die Bundestagsabgeordneten, Landtagsabgeordneten und Kommunalvertreter sind so etwas wie die leitenden Angestellten des Volkes, die den Volkswillen näher und transparenter zu vollziehen haben. Das sind Elemente, die nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ein durchaus hilfreiches Mittel darstellen. Ich will das nicht mit der Schweiz oder mit Österreich vergleichen, aber wir wollen versuchen, speziell auf Länderebene, aus bayerischer Sicht, noch mehr Bürgerbeteiligung durchzusetzen, dafür steht die FDP. Das hat sie rechtzeitig entdeckt. Man mag daran kritisieren, daß uns das nicht schon früher eingefallen ist. Jetzt aber ist es soweit.

Also keine Volksabstimmung auf Bundesebene?

Stützer: Auch das wird diskutiert. Es wurde auch die Frage von Amtszeitbegrenzungen, etwa des Bundeskanzlers, oder die Frage der Direktwählbarkeit des Bundespräsidenten diskutiert.

Die FDP bekämpft die Ökosteuer. Das ist ein Konfliktpunkt zur SPD. Wie sieht es beim Atomausstieg aus? Die Union und die Wirtschaft wollen an Kernkraft festhalten. Sie auch?

Stützer: Es ist doch so, daß die Atomkraftwerke jetzt solange laufen, wie sie technisch ohnehin laufen würden. Wir haben eigentlich kein echtes Ausstiegsszenario. Wenn Sie mal daran denken, daß die FDP bereits vor 20 Jahren einen Atomausstieg in ihrem Parteiprogramm gefordert hat, wenn die Ersetzbarkeit der notwendigen Energiemengen durch regenerative Energien gesichert ist, dann sind wir auch hier 20 Jahre früher dran gewesen mit diesem Vorschlag.

Aber die Ökosteuer ist doch ein eindeutiger Unterschied zur SPD, oder?

Stützer: Das ist richtig. Wir wollen die Ökosteuer abschaffen. Insbesondere kritisieren wir daran: Wenn schon Ökosteuer erhoben wird, dann gefälligst für ökologisch sinnvolle Investitionen und nicht für die Rentenkassen. Das ist ein vollkommen falscher Ansatz. Die FDP ist dagegen.

Peter Müller, CDU-Ministerpräsident des Saarlandes, hatte in einem Interview des Deutschlandfunkes angeregt, das nationalkonservative Element solle in der CDU-Führung vertreten sein. Das ist mit der neuen CDU-Führung nicht mehr der Fall. Bei allen unseren Nachbarn gibt es nationalliberale oder national-konservative Parteien. In Deutschland bleibt jetzt nur noch die bayerische CSU. Von welchen Parteien sollen diese Wähler erreicht werden, wenn die FDP jetzt ins sozialliberale Lager wechselt?

Stützer: Die FDP ist und bleibt eine liberale Partei, allerdings eine mit Ecken und Kanten. Wir werden uns auf gar keinen Fall mit links, rechts, oben oder unten definieren. Die Partei ist sehr offen. Wir werden auch ein neues Ausländerzuwanderungsgesetz vorlegen. Ich habe kein Problem damit, wenn es rechtsliberale Tendenzen in dieser Partei gibt.

Befürworten Sie auch nationalliberale Elemente in der FDP?

Stützer: Nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Die FDP hat nationalliberale Tendenzen eigentlich gar nicht, die sehe ich überhaupt nicht. Ich denke mal, die FDP besinnt sich auf die punktliberale Mitte und das ist richtig so. Alles andere wäre ein Fehler.

Wolfgang Gerhardt, Klaus Kinkel, Walter Döring – viele deutsche Liberale haben die EU-14-Sanktionen gegen Österreich verurteilt. Hätte eine sozialliberale FDP ebenso klar gehandelt, oder wären Sie dann den belgischen Liberalen gefolgt, die ja in einer "Ampelkoalition" regieren?

Stützer: Auf gar keinen Fall. So eine unverständliche und unkluge Maßnahme wäre mit uns Liberalen nicht zustande gekommen. Das ist auch von Wolfgang Gerhardt wieder ganz deutlich gesagt worden: Es ist insbesondere ein falsches Signal für alle kleinen Staaten, für alle, die bei der EU jetzt vor der Tür stehen. Das ist das letzte, was wir in Europa wollten. Und deshalb wird sich die FDP weiter gegen die Sanktionen aussprechen.

Gibt es noch Kontakte zur FPÖ, die ja bis Ende der achtziger Jahre Ihr Partner war?

Stützer: Es gibt keine Kontakte zur FPÖ. Graf Lambsdorff hat das schon in den achtziger Jahren klargestellt. Das ist erneut bekräftigt worden, auch wieder aus Bayern. Wir unterstützen das Liberale Forum. Das ist unser liberaler Partner in Österreich. Heide Schmidt war erst vor ein, zwei Wochen wieder bei uns in Bayern zu Gast. Wir haben diese Kontakte immer gepflegt. Meine Kontakte bestehen speziell zu den Salzburgern, das ist und bleibt so, das ist unser liberaler Ansprechpartner.

Die Schrödersche "Green Card" kommt. Wie hätte die "FDP-Card" ausgesehen?

Stützer: Eine "FDP-Card" hätte es vermutlich nicht gegeben. Wir beklagen, daß man dabei nur das Symptom vor Augen hatte. Die Ursache liegt aber in einer falschen Bildungspolitik. Das muß man eigentlich als Warnung verstehen, für das, was jetzt notwendig geworden ist. Schröder hatte als Ministerpräsident einen Informatik-Lehrstuhl geschlossen. Und wir sehen jetzt, daß eine rote Bildungspolitik vollkommen an der Zukunft vorbei geplant worden ist.

Die FDP hat mit dem Thema Bildung den Wahlkampf bestritten. Wie sollen die vier Millionen Arbeitslosen qualifiziert werden? Wie sollen Menschen ab 40 in den Arbeitsprozeß zurückkehren? Wo sollen die Millionen beschäftigt werden, die bei einer Verschlankung des Öffentlichen Dienstes nicht mehr gebraucht werden?

Stützer: Unser Bildungsangebot soll ein breitgefächertes, wettbewerbsfähiges, durchlässiges für alle Generationen sein. Wir stehen dafür, daß die Bildungspolitik endlich als langfristige Politik begriffen wird. Es muß Wettbewerb und eine moderne Eigenständigkeit geben, an den Schulen, an den Hochschulen. Auch der Wettbewerb unter den Schulen und zwischen allen Universitäten muß ermöglicht werden. Wir stehen für Chancengleichheit am Anfang, aber wir sind durchaus bereit unterschiedliche Qualifikationen entstehen zu lassen, unterschiedliche Eliten zu fördern. Und das ist ja ein vollkommen anderer Ansatz als der jetzige. Was die Arbeitsplätze anbelangt, so muß man in diesen Land wieder einmal sagen, wie sie entstehen. Sie entstehen durch private Investitionen, das hängt wiederum sehr stark zusammen mit der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Steuerreform, die ja bei der fdp am eindeutigsten ist: mit 15, 25 und 35 Prozent Steuersatz, Abschaffung aller Ausnahmetatbestände. Somit kommt bei niedrigeren Steuersätzen mehr Geld in der Kasse, weil gezahlt wird. Und dann ist das Geld für die Investitionen da, die die Betriebe brauchen, um Arbeitskräfte einstellen zu können. Wenn Investitionen nicht da sind, um Arbeitsplätze zu schaffen, werden weder die Jungen und schon gleich gar nicht die "Mittelalterlichen" in den Genuß dieser neuen Arbeitsplätze kommen.

Die SPD hat deutschlandweit Beteiligungen an Tageszeitungen in Höhe von mehreren Millionen Mark. Kein Chefredakteur wird dort ernannt, ohne daß er der SPD nicht genehm wäre. Warum verhält sich die FDP als Partei der Marktwirtschaft so still bei diesem Thema? Ist das vorauseilende Koalitionsdiziplin?

Stützer: Nein, das ist ein Fehler. Das ist ein Diskussionsprozeß, der bei uns gerade beginnt. Wir haben uns zunächst hier in Bayern immer auf die CSU konzentriert, die da sehr ähnlich ist, denken Sie an den Bayerischen Rundfunk. Aber da gebe ich Ihnen mal selbstkritisch recht. Das ist ein Fehler, das muß angepackt werden. Jedenfalls ist es nicht so, daß es ein vorauseilender Gehorsam wäre, zumal wir ja alle sehr auf politische Distanz setzen und Koalitionsaussagen, wie ich Ihnen vorher schon gesagt habe, tunlichst vermeiden werden, auch das haben wir jetzt gelernt. Aber Sie haben recht, es ist ein Thema, dem sich die FDP offensiv widmen muß.

Also jetzt mit der FDP gegen Rotfunk in Düsseldorf und Schwarzfunk in München?

Stützer: Was mir in München dabei gelingen kann, das werde ich machen, und in NRW, das sind Dinge, da fragen Sie den Jürgen Möllemann.

Hans-Dietrich Genscher wurde in Kroatien ein Denkmal gesetzt – für seinen Einsatz bei der Erlangung der Unabhängigkeit Kroatiens. Auch andere mittelosteuropäische Länder hatten in der FDP immer einen Fürsprecher. Seit dem Berliner Regierungswechsel – speziell im Auswärtigen Amt – stockt die EU-Osterweiterung. Was halten Sie von dem ehemaligen Taxifahrer im Auswärtigen Amt?

Stützer: Den Mief, den man unter den katholischen Kutten vermutet hat, den sieht man jetzt unter den Designeranzügen des Herrn Außenministers. Da ist auch in der Rede von Wolfgang Gerhardt massiv kritisiert worden. Doch ich bin der Meinung, daß wir, was die Osterweiterung anbelangt, etwas vorsichtig sein müssen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierbarkeit. Das hat ja auch Romano Prodi thematisiert. Da ist Edmund Stoiber skeptisch. Das ist ein Punkt, wo ich ihnen beipflichten kann. Wir müssen insbesondere die überzogene Subventionspolitik im Agrarbereich überdenken und verändern. Wenn die großen Vegetationsflächen Polens, Ungarns oder Tschechiens dazukommen, geht es ohne Änderungen nicht. Deshalb müssen wir in Brüssel dafür sorgen, daß die Weichen dort richtig gestellt werden. Die Re-Regionalisierung der EU-Landwirtschaft muß einfach passieren. Wenn eine Subvention ausgeworfen wird, dann kann der Landwirtschaftsminister in Bayern besser entscheiden, wo sie hin soll, als der Kommissar in Brüssel. Das meine ich damit. Die Erweiterung der EU ist aber auch ein friedenspolitisches Anliegen, insoweit stehen wir natürlich nach wie vor zu unseren alten Grundsätzen.

 

Hermann Stützer wurde 1952 in Teisendorf im Berchtesgadener Land geboren. Er studierte in München Gartenbau und in Regensburg Recht sowie Politologie, mußte aber wegen Betriebsübernahme nach dem Tod des Vaters sein Studium abbrechen. Ausbau des Familienbetriebes zum Zierpflanzen-Spezialbetrieb. Später Arbeit im Immobiliengeschäft und als Kulturjournalist, Studienabschluß in Kunst- und Medienmanagement an der Uni Linz. Nach Jahren bei den Freien Wählern 1997 Eintritt in die FDP, Kreisvorsitzender im Berchtesgadener Land; seit 1998 ist er Landesvorsitzender der bayerischen FDP und seit 1999 Mitglied im FDP-Bundesvorstand.

 

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