© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000


Stuttgarter Sängerstreit
von Dieter Stein

Der deutsche Südwesten ist berühmt für seine Liberalität, Baden und Württemberg sind Wiegen eines demokratischen Befreiungsnationalismus. Die Aufmüpfigkeit haben sich die Völker an Neckar, Rhein und Bodensee bewahrt. Nun feierte in Tübingen am vergangenen Freitag die in der 1848er Tradition wurzelnde Studentenverbindung Landsmannschaft Ulmia ihr 160. Stiftungsfest. Wie es bei dieser Verbindung Brauch ist, wurde das Deutschlandlied des Freiheitsdichters Hoffmann von Fallersleben in seinen drei Strophen gesungen. Nun empören sich wenig liberal landauf, landab Landespolitiker darüber, daß der CDU-Fraktionsvorsitzende Günter Oettinger als Verbindungsbruder und Laudator lauthals mit intoniert habe: "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt, wenn es stets zum Schutz und Trutze, brüderlich zusammenhält". "Geschmacklos", befand der SPD-Fraktionschef Ulrich Maurer, "gerade bei Günter Oettinger enttäuschend". Grünen-Fraktionschef Dieter Salomon sprach von Angepaßtheit und Stimmenfängerei. Sogar Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin schaltete sich in den Sängerstreit ein und wertete das Verhalten Oettingers als "erstaunlich".

Der Vorgang wirft ein Licht auf Aufgeregtheit, Unsicherheit und Servilität als Charaktermerkmale deutschen Nationalbewußtseins. Dabei ist das Deutschlandlied ein wunderschönes Lied, wenn es entsprechend gesungen wird. Weder trotzig-brüllend, noch mißtönend-alkoholisiert, aber auch nicht rotwangig-verlegen, sondern: fröhlich. Wäre das nicht wunderbar?


 
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