© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Tierquäler drohen mit der Scharia
Türkei: Das Schächten von Tieren gehört zum Alltag – Tierschützer auf verlorenem Posten
Werner Olles

Zwar hatten die türkischen Behörden in diesem Jahr halbherzige Anordnungen erlassen, daß zum moslemischen Opferfest "Kurban Bayrami" nicht mehr auf öffentlichen Straßen und Plätzen geschlachtet werden dürfe. Auch sollten die Tiere vor dem Schächten wenigstens per Elektroschock beäubt werden. Doch wie vorauszusehen hielt sich niemand daran, und alles spielte sich genauso grauenhaft ab wie immer. Neu war lediglich, daß inzwischen auch angesehene türkische Tageszeitungen in allen Einzelheiten darüber berichtet haben und ihre Leser über besonders schlimme Details dieser Massentierquälerei informierten.

So berichtete zum Beispiel die Zeitung Hürriyet, daß die Tiere wieder wie schon seit jeher üblich überall zum Verkauf und zum Schächten angeboten wurden. Sogar Supermarktplätze, Parkplätze und öffentliche Anlagen wurden zu Tiermärkten umfunktioniert. Hier konnte man so ziemlich alles, was vier Beine hat in aller Öffentlichkeit zu Tode foltern, und tatsächlich hatte es manchmal den Anschein, als ob sich die Menschen für irgend etwas auf grausame Art an den Tieren rächen wollten. Vor allem Schafe und Ziegen, aber auch Kamele wurden wieder an Ort und Stelle geschächtet. Die Zeitung ließ Augenzeugen und Informanten zu Wort kommen, die berichteten, daß viele der Tiere ihr trauriges Schicksal wohl erahnten und sich vor Angst zitternd dicht aneinander drängten. Manche versuchten gar ihren Peinigern zu entkommen, wie ein junger Bulle, der immer wieder ausbrach und seinen Schächtern wegzulaufen versuchte. Nachdem ihn die Männer schließlich wieder eingefangen hatten, wurde er mit Messern traktiert und mit einem Beil an seinem Kopf schwer verletzt. Anschließend hackten ihm die Unmenschen bei lebendigem Leib die Beine ab, damit er nicht noch einmal ausbrechen konnte. Der Informant, der seinen Namen aus Angst vor der Rache der Tierquäler nicht nennen wollte, berichtete weiter, daß das Tier geweint habe, als ihm die Barbaren die Beine abtrennten und es anschließend schächteten.

Die Täter wurden in dem Artikel namhaft gemacht, geschehen ist ihnen jedoch von seiten der türkischen Justiz bis heute nichts. Tatsächlich sind solche entsetzlichen Vorkommnisse, die für die gequälten und geschächteten Geschöpfe die Hölle bedeuten, jedoch keine Einzelfälle. Den türkischen Medien muß man zugute halten, daß im Fernsehen und in den Zeitungen ständig über derart unvorstellbare Grausamkeiten informiert wird. Leider verhalten sich jedoch die Behörden in solchen Fällen außerordentlich indifferent. Bis jetzt ist noch nie einer dieser Tierquäler vor Gericht gestellt und bestraft worden. Ohne hier unser eigenes zwiespältiges Verhältnis zu sogenannten "Nutztieren" zu idealisieren – man denke nur an die quälerische Massentierhaltung, an die schrecklichen Tiertransporte quer durch ganz Europa, die grausame Jagd auf Singvögel in Italien oder die archaischen Stierkämpfe in Spanien – ist es doch notwendig, gegen die besonders üble tierquälerische Praxis des betäubungslosen Schächtens zu prostestieren.

Ob es richtig ist, gegenüber der Türkei oder anderen muslimisch-arabischen Ländern, in denen es zum Teil noch viel schlimmer zugeht, zu einem modischen "Tourismus-Boykott" aufrufen ist zweifelhaft. Aber immerhin drängt ja die islamisch-asiatische Türkei auch darauf, EU-Mitglied zu werden. Hier sind in erster Linie die Tierschutzverbände gefordert, aber auch jeder Einzelne kann in dieser Richtung tätig werden und seinen Protest artikulieren. Inzwischen hat sich neben der bereits seit längerer Zeit existierenden Bundesarbeitsgruppe gegen betäubungsloses Schächten in Stuttgart ein "Anti-Schächt-Bündnis" gegründet, das diese Proteste koordinieren will.

 

Anti-Schächt-Bündnis: Ingeborg Holst, Tel. 071 66 / 14 80, Fax 071 66 / 14 52

Türkische Botschaft: Rungestr. 9, 10179 Berlin


 
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