© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Staatsparteien
Karl Heinzen

Nicht einmal die Schamfrist von einem Jahr scheinen die Menschen in unserem Land einhalten zu wollen, bevor sie sich nach kurzer Besorgnis über das, was sich hinter den Kulissen unserer Republik so alles zutragen mag, erneut den Unionsparteien zuwenden. Der jüngsten allwöchentlich von der "Bild"-Zeitung und dem MDR durchgeführten Umfrage zufolge, haben CDU und CSU mit zusammen 39 Prozent die SPD mit 38 Prozent wieder auf den zweiten Platz verwiesen. Die rot-grüne Koalition alleine wäre nicht mehr mehrheitsfähig.

Die Zeiten, in denen man Wähler durch Skandale enttäuschen konnte, sind offenbar vorbei. Heute verhalten sich die Menschen politisch klüger und entscheiden nicht mehr anhand abstrakter Vorstellungen über ein nebulöses Gemeinwohl, sondern mit dem Blick auf ihre ganz private Interessenlage. Sie sind daher zum Beispiel auch nicht mehr gewillt, die Entwicklung der Benzinpreise – noch dazu in der Urlaubssaison – als Nebensache zu betrachten. Da sie die Beweisführung der Boulevardpresse nicht wahrhaben wollen, daß nämlich der saudi-arabische König die Mehreinnahmen braucht, um mitten in der Wüste ein Schwimmbad für seine Pferde zu bauen, halten sie sich an den Nächstbesten, an dem sie ihr Mütchen kühlen können – und das ist, wie immer in solchen Fällen, nun einmal die rot-grüne Bundesregierung.

Gerhard Schröder und sein Team kommen also nicht so schnell in die Verlegenheit, wirklich ernsthaft fragen zu müssen, was sie denn falsch gemacht haben könnten. Es ist nicht ihre Politik, die da abgestraft wird. Es sind die Verhältnisse, unter denen sie selbst leiden, die ihnen aber zum Vorwurf gemacht werden, weil sie ihren guten Namen für sie hergeben. Die durch sehr lange Opposi-tionsjahre verwöhnten Sozialdemokraten und Grünen erfahren nun am eigenen Leibe, was die in dieser Hinsicht nicht weniger verwöhnte FPÖ in Österreich schon nach einigen Wochen zu spüren bekommen hat: In einer modernen Demokratie lohnt sich Regieren nicht – weder für die Regierten noch für die Regierenden.

Die neue Zuneigung zur Union ist aber nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, daß des einen Leid des anderen Freud bedeutet. Während die SPD, egal, welche Verfassung gerade Gültigkeit hatte, nie so ganz aus der Rolle eines Fremdkörpers im Gemeinwesen hinauswuchs, während Grüne und FDP bürgerliche Klassenparteien darstellen und die PDS lediglich die schlechte Laune von Zwangseinwanderern artikuliert, sind CDU und CSU die einzigen wirklichen Staatsparteien der Bundesrepublik Deutschland. In einer Zeit raschen und von niemandem zu beeinflussenden Wandels auf allen Gebieten sind sie die letzten, die noch glauben machen können, daß eigentlich immer alles beim alten geblieben ist. Andere Staaten leisten sich zu diesem Zweck den Luxus eines Königshauses. Ein wenig Sehnsucht nach der Union, wie irrational sie auch sein mag, wird also den Deutschen gestattet sein.


 
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