© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
PRO&CONTRA
Benzingutscheine für sozial Schwächere?
Walter Hirrlinger / Johannes Hübner

Die Benzinpreise steigen und steigen, und niemand weiß, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Auch wenn die Ölkonzerne jetzt 2,15 DM pro Liter Super-Benzin anpeilen, kann dies in absehbarer Zeit nur eine Zwischenstation darstellen. Natürlich ist der Benzinpreis von einer Vielzahl Faktoren abhängig und die Öko-Steuer-Anhebung nicht allein dafür verantwortlich. Aber damit hat es schließlich begonnen und soll in den nächsten Jahren fortgesetzt werden. Sicherlich liegen in anderen europäischen Staaten die Benzinpreise längst über den deutschen, nur steht fest, daß bei uns die Preissteigerungsraten so überdimensional hoch sind, wie sich das vor wenigen Wochen noch niemand vorstellen konnte. Wen betreffen diese Erhöhungen? Da gibt es mehr als 17 Millionen Rentner in Deutschland, die diese Erhöhungen durchaus am eigenen Geldbeutel spüren. Sie haben durch die Öko-Steuer-Anhebungen bereits erste Erhöhungen zu verkraften gehabt: Bei den Stromkosten, bei den Mietnebenkosten usw. Behinderte Menschen und chronisch Kranke haben höhere Ausgaben durch höhere Benzinpreise, sind sie doch infolge ihres körperlichen Zustandes vielfach auf die Benutzung des Kraftfahrzeuges angewiesen, um zum Arzt oder, sofern sie noch berufstätig sind, zu ihrer Arbeitsstätte zu gelangen. Wohnen sie dazu noch im ländlichen Raum, dann können sie öffentliche Verkehrsmittel nicht so benützen, wie sie es gerne täten. Deshalb trifft sie jede Benzinpreiserhöhung in solchem Rahmen mehr als hart. Auch Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende leiden unter der Benzinpreisentwicklung. In all diesen Fällen würde ein Ausgleich helfen, z.B. in Form eines Kraftfahrzeugsteuer-Nachlasses, oder er könnte in Form von Benzingutscheinen vor sich gehen. Nachdem der Staat zu den Benzinpreis-Erhöhungen beigetragen hat, ist er der Ansprechpartner für eine solche Aktion. Dadurch aber könnte der Staat auch seine Ausgleichsfunktion erfüllen.

 

Walter Hirrlinger, 74, seit 1990 Präsident des VdK Deutschland, war Arbeits- und Sozialminister in Baden-Württemberg.

 

 

Die aktuellen Benzinpreise beruhen auf drei Faktoren: der enormen Steuerlast von rund 80 Prozent, dem hohen Ölpreis samt schlechtem Euro-Kurs und der Preistreiberei der Mineralölgesellschaften. Benzingutscheine für Unterprivilegierte würden an diesen Gründen nichts ändern – im Gegenteil. Der Staat erhöht die Steuer dank sozialem Feigenblatt Benzingutschein. Am Dollar und dem Weltmarktpreis ändert sich hingegen nichts, und den Tankstellen ist es letztlich egal, von wem sie das Geld bekommen.

Benzingutscheine sind ein Zeichen für Resignation vor den Fakten und eine Einladung, immer neue Gruppen einzubeziehen: Alleinerziehende, Kinderreiche, Weitpendler, Studenten und wen immer man als bedürftig einstuft, um ein Wahlgeschenk zu machen. Und: Die Nutzer von Benzingutscheinen schaffen Sozialneid, obwohl sie sich als unterstützungsbedürftig outen müssen. Vor allem aber provozieren sie Fragen, ob der Berechtigte überhaupt Auto fahren muß, denn er könnte doch auch eigentlich umsteigen, verzichten, Fahrgemeinschaften bilden und vieles andere mehr. Deshalb müssen die Forderungen anders lauten: Weg mit der verfassungswidrigen Ökosteuer, die eine überwiegend vom Autofahrer bezahlte Arbeitsmarktstütze ist. Runter mit der Mineralölsteuer, denn die Ölförderländer verstehen nicht, warum der Käuferstaat das Fünffache draufschlägt und die Steuern doch nur zu einem Drittel für Verkehrsbelange einsetzt.

Alle Parteien haben tatenlos zugelassen, daß die Post von der Schiene verschwand, Güterbahnhöfe geschlossen, Alternativen verpaßt und alles sorglos auf die Straße verlagert wurde. Deshalb darf der Staat jetzt, wo fast 90 Prozent des Verkehrs auf den Straßen rollen müssen, ihre Bürger nicht erpressen. Ganz im Gegenteil sollte die öffentliche Hand seine Bürger stützen, bis endlich vernünftige Lösungen für einen gesellschafts- und umweltgerechten Verkehr gefunden sind!

 

Johannes Hübner, 46, ist der Pressechef des traditionsreichsten und ältesten deutschen Automobilclubs, des AvD


 
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