© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Ein Volk meldet sich ab
Immer weniger Deutsche werden geboren, immer mehr Zuwanderer sollen kommen
Michael Wiesberg

Am 13. Juni soll im Kanzleramt einmal mehr über die Rente geredet werden. Bundesarbeitsminister Riester (SPD) will die rentenpolitischen Folterzangen ansetzen und wirbt um einen möglichst breiten Konsens bei den im Bundestag vertretenen Parteien. Die Bundesbürger sollen sowohl mehr als bisher für ihre Alterversorgung aufbringen als auch einen "Kürzungsfaktor" in Kauf nehmen müssen. Konkret heißt das: der Durchschnittsverdiener müßte in Zukunft im Monat 180 Mark zusätzlich für eine private Sparrente aufbringen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere rechnete der Verband deutscher Rentenversicherungsträger (VdR) vor: bis zum Jahre 2050 würde, bliebe es bei dem Kürzungsplänen Riesters, das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung auf 54 Prozent absinken. Genau dagegen haben die Unionsparteien in Gestalt des CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz und des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber mobil gemacht. Dies sei für die Union "unter keinen Umständen hinnehmbar".

Ob dieses Modell nun für die Union "hinnehmbar" ist oder nicht, spielt im Grunde genommen kaum noch eine Rolle. Die Union hatte es 16 Jahre in der Hand, durch eine kinderorientierte Renten-, Steuer- und Familienpolitik den bedrohlichen Geburtenschwund in Deutschland zumindest zu lindern. Die Union hat dies nicht nur unterlassen, sondern statt dessen die Kinderlosigkeit auch noch prämiert. Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) belohnte in seiner Ministerära Paare, die bewußt auf Kinder verzichteten, mit einem doppelten Rentenanspruch. Dieser Rentenanspruch wird nun nicht von den eigenen Kindern eingelöst, sondern von den Kindern fremder Leute. Weiterhin hat es der Staat bis heute versäumt, für diese zynische Auslegung von "Solidarität" einen angemessenen Ausgleich einzufordern. Der FAZ-Redakteur Konrad Adam hat deshalb zu Recht von "Solidarbetrug" gesprochen. "Solidarbetrug" war der Kern des Systems Blüm. Und nicht nur das: Blüm hat mit seiner vernunftswidrigen Politik ein System verteidigt, das darauf angelegt war, sich selbst zu ruinieren. Denn ein System, das auf einem Generationenvertrag beruht, ist nun einmal nicht zu retten, wenn sich jede Generation nur zu zwei Dritteln reproduziert. Genau dies ist in Deutschland seit Jahrzehnten der Fall, ohne daß die heutige oder eine der vorhergehenden Regierungen dieser bedrohlichen Entwicklung bisher massiv entgegengetreten wäre. Eine "Bevölkerungspolitik", die für einen rohstoffarmen Staat wie Deutschland unabdingbar wäre, wollte man sich mit Hinweis auf die "Erfahrungen" im Dritten Reich nicht mehr leisten. Diese demographische Schieflage, vor der die Deutschen nach Jahrzehnten des "Solidarbetruges" stehen, wird in Zukunft die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die deutsche Bevölkerungsentwicklung bei weitem übersteigen. Die wohl augenfälligste und irreversibelste Folge des demographischen Schwundes der Deutschen ist die anhaltende Massenzuwanderung nach Deutschland und die damit verbundene ethnische Fragmentierung der deutschen Gesellschaft. Der Bevölkerungstransfer wurde den Deutschen bisher ausdrücklich als Zuwanderung von "Rentenzahlern" bzw. "Steuerzahlern"moderiert.

Wie wenig diese Form von Zuwanderungspropaganda mit der Wirklichkeit zu tun hat, zeigt eine Äußerung der Chefs des Münchner IFO-Institutes, Hans-Werner Sinn, im Zusammenhang mit der Diskussion um die EU-Osterweiterung. "Es geht nicht an", führte Sinn aus, "daß wir nur die Ärmsten der Armen ins Land lassen und nicht die Leute, die die Wirtschaft tatsächlich stärken." Mit anderen Worten: die bisherige unregulierte Zuwanderung nach Deutschland rekrutiert sich keineswegs aus Menschen, deren Staaten sich auf einem mit Deutschland vergleichbaren Entwicklungsstand befinden. Schon jetzt, das zeigt zum Beispiel das geringe Interesse indischer Computerspezialisten an der fälschlich so genannten "Green Card", sind in den deutschen Arbeitsmarkt integrierbare Zuwanderer in der Minderzahl.

Nach Ansicht des Bamberger Bevölkerungswissenschaftlers Josef Schmid bräuchte Deutschland eine Zuwanderung von qualifizierten Menschen von "anfangs 200.000 Einwanderern pro Jahr mit einer allmählichen Steigerung bis zu einer Million in der zweiten Jahrhunderthälfte. Woher diese Menschen mit ausgesuchten Fähigkeiten kommen und wo sie sich sozialverträglich niederlassen sollen, weiß niemand." In der FAZ schreibt Schmid weiter: "Das Dilemma gewinnt Gestalt: die demographische Entwicklung tendiert rechnerisch zum Verschwinden des Staatsvolkes." Und hier liegt die Crux: die unentwegt von der jetzigen und von früheren Bundesregierungen vorgetragene Argumentation, die Zuwanderung liege "im deutschen Interesse", ignoriert neben dem allmählichen Verschwinden des deutschen Staatsvolkes auch das Problem, daß sich die ins Land gebetenen ethnischen Minderheiten zunächst um die Sicherung ihrer eigenen Interessen kümmern. Daß in deren Interessenkanon ausgerechnet die Sicherung der Renten deutscher Anspruchsberechtigter eine Rolle spielen soll, erscheint vollkommen abwegig.

Um keine Mißverständisse aufkommen zu lassen: es steht ja nicht nur die Rente zur Disposition; das gesamte Modell des deutschen Sozialstaates steht vor einer grundlegenden Remedur, weil es nicht mehr bezahlbar ist. Schon jetzt ist das Bild durch verschuldete Staatskassen, drückende Steuerlasten und ständig steigende Sozial- und Gesundheitskosten geprägt. Wie aber steht es mit der Attraktivität des Einwanderungslandes Deutschland, wenn die weltweit beispiellosen Sozialleistungen ausgetrocknet werden müssen, weil die Zahl der Erwerbstätigen immer weiter schrumpft? Um an dieser Stelle noch einmal Josef Schmid zu zitieren: "Wenn alle gesellschaftstragenden Gruppen altern oder kleiner werden", so Schmid, "während alle Aufgaben und Kosten steigen, muß es zu schwerwiegenden Veränderungen in den gewohnten Standards einer Bevölkerung kommen, es sei denn, sie kann mit Qualitätssteigerungen ihrem biosozialen Abstieg wirkungsvoll begegnen." Gerade dies erfordert aber die Zuwanderung qualifizierter Kräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt, die aus den genannten Gründen nicht zustande kommen werden. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, daß deshalb die gesellschaftliche Polarisierung aufgrund härter werdender Verteilungskämpfe in Deutschland Ausmaße annehmen wird, die die Phantasie der heutigen Zeitgenossen weit übersteigt. Unwahrscheinlich ist die Hoffnung darauf, daß die Politikergeneration der heute 30- bis 40jährigen die Kraft findet, die Bevölkerungspolitik zum nationalen Topthema zu machen. Viel wahrscheinlicher ist die demographische Implosion der Deutschen zum Ende dieses Jahrhunderts.


 
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