© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Neulich im Internet
Alles im Griff
Erol Stern

"Guten Morgen Herr Stern," reißt mich die warme weibliche Stimme meines Auto-Bord-Computers aus meiner allmorgendlichen Lethargie. "Wir haben den 31. Mai 2010. Für heute morgen steht ein Termin bei Ihrem Zahnarzt auf meinem Programm. Dessen Sprechstundenhomepage hat mich informiert, daß sich die Behandlung um etwa 30 Minuten verzögern wird. Es bleibt also noch genügend Zeit, einkaufen zu gehen." Ich befehle meinem Golf VI, den Motor zu starten. "In 2 Km passieren wir einen Blumenladen. Wie viele rote Rosen soll ich für Sie ordern?" fragt mein Auto. "Blumen, wofür?" lautet meine Gegenfrage. "Ihre Frau hat heute Geburtstag" so die fast ein wenig eifersüchtige Antwort. "Ach ja". Nach dem Zahnarztbesuch fahre ich in die Firma. Mein Auto dirigiert mich wunschgemäß um jede Baustelle herum. Leider tun dies auch die Autos der anderen Verkehrsteilnehmer. Ich schwöre mir zum x-ten Male, mir nicht mehr von meinem Wagen in meine Routenplanung reinreden zu lassen, wenn ich es besser weiß. Abends, auf dem Weg nach Hause, versagt mein Auto mir den Dienst. Ich gerate wegen der Formulierung einer Geschäftsmail in verbale Entgleisungen, woraufhin mein aufmerksamer Computer prompt meint, ich sei betrunken. Schließlich beschließt mein Auto selbstherrlich, daß ich urlaubsreif sei, und da die Haushaltskasse leer ist, wird automatisch eine zweite Hypothek auf mein Haus aufgenommen. Wenigstens in Sachen Bankgeschäften haben die Autos dazu gelernt, freut sich Euer Erol Stern


 
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