© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Konkurrenzfähig bleiben
Richard Stolz

Eine Novellierung des strengen deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESG) ist überfällig, sonst drohen der deutschen Medizinforschung schwerste Nachteile und hoffnungsloses Zurückfallen im internationalen Feld. Das ist das eindeutige Ergebnis eines dreitätigen Symposions über "Fortpflanzungsmedizin in Deutschland", das auf Einladung des Bundesgesundheitsministeriums letzte Woche in Berlin stattfand.

Zur Zeit ist in Deutschland jegliche Forschung an Embryonen, auch wenn sie im Reagenzglas erzeugt wurden, verboten. Jedem Erarbeiten neuer, erfolgverheißender Gen- oder Keimbahntherapien gegen Leiden wie Parkinson, Alzheimer, Krebs oder Diabetes ist ein strafbewehrter Riegel vorgeschoben.

Begründet wird die Strenge des Gesetzes mit dem Verfassungsgebot, die Würde des Menschen zu achten. Aber was ist Würde, wurde in Berlin gefragt, und was ist der Mensch? Sind künstlich befruchtete menschliche Eizellen im Frühstadium des bloßen Zellhaufens denn schon Menschen? Diese Zellhaufen empfinden nichts, denken nichts, sind unbeseelt, und die meisten von ihnen gehen schnell auf natürlichem Wege zugrunde. Verletzt es die Würde von irgend jemandem, solche "embryonalen Stammzellen" zu erforschen?

Hunderttausende von Föten, die viel weiter entwickelt sind als die embryonalen Stammzellen, werden in Deutschland tagtäglich abgetrieben, und zwar mit ausdrücklicher gesetzlicher Erlaubnis und mit in der Regel schwächeren Moralgründen, als sie die Verfechter der Keimbahnforschung zu therapeutischen Zwecken ins Feld führen. Wieso soll der Status eines Stammzellhaufens auf der Würdeskala höher sein als der eines abgetriebenen Fötus?

Die rot-grüne Bundesregierung hat nicht die geringste Chance, das im deutschen Gesetz fixierte totale Forschungsverbot zum internationalen Standard aufzubauen. Nicht einmal innerhalb der EU kann sich ihr bisher bezeugter Fundamentalismus durchsetzen, d. h. die deutsche Forscherszene wird bei aufrechterhaltenem Status quo austrocknen, einheimische Forscher werden das Land verlassen, um in Amerika, England oder Frankreich zu arbeiten.

Was nottut, sind neuartige gesetzliche Regelungen, die sich nicht an abstrakten, letztlich unentscheidbaren philosophisch-theologischen Fundamentalsätzen festmachen, sondern ein zeitgemäßes, international konkurrenzfähiges Forschungsfeld abstecken sowie wirksame Maßnahmen gegen möglichen, zum Beispiel ökonomischen oder versicherungstechnischen, Mißbrauch der Forschungsergebnisse vorsehen. Alles andere führt in die Isolation.


 
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