© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Heldenmut und Erlösung
Kino: "Brokedown Palace" von Jonathan Kaplan
Claus-M. Wolfschlag

In asiatischen Ländern ist es auf Märkten Sitte, gefangene Singvögel gegen etwas Geld in die Freiheit zu entlassen. Die gequälten Kreaturen fliegen von dannen, kehren allerdings oft wieder in ihre Käfige zurück, so sehr scheint ihnen die Unfreiheit zur Normalität geworden.

Nach dem bestandenen High School Abschluß überredet ie aufmüpfige Teenagerin Alice (Claire Danes) ihre beste Freundin Darlene (Kate Beckinsale), den Beginn ihrer neuen Freiheit als Erwachsene mit einer aufregenden Reise zu krönen. Sei sind flügge geworden, wollen dem Käfig der Behütung endlich entfliehen. Den besorgten Eltern gegenüber wird vorgetäuscht, man reise ins sichere Hawaii, doch heimlich fliegen die beiden Mädchen nach Thailand, um ihren Traumurlaub zu verbringen. Selbst das Zimmer in einer Low-Budget-Absteige kann die beiden Abenteuerlustigen nicht davon abhalten, sich voller Begeisterung in das bunte Treiben der asiatischen Lebenswelt zu sürzen. Die buddhistischen Tempel leuchten im Glanz der goldenen Sonne, und sämtliche Schönheit der Welt scheint den Jugendlichen zu erstrahlen. All dies ändert sich erst, als sie den verführerisch wirkenden Australier Nick Parks (Daniel Lapaine) kennenlernen. Ihre Urlaubsbekanntschaft schlägt einen kurzen Abstecher nach Hongkong vor, doch am Flughafen in Bangkok werden die Mädchen aus ihrem romantischen Traum der unbegrenzten Freiheit herausgerissen. Die thailändische Polizei und Drogenfahnder verhaften die beiden, weil Heroin in ihrem Gepäck gefunden wird. In einem abgekartet erscheinenden und undurchsichtigen Prozeß werden die Mädchen, weil sie ihre Unschuld nicht beweisen könnten (was nach thailändischem Recht notwendig wäre), zu 33 Jahren Haft in einem trostlosen Frauengefängnis verurteilt. Bald kommen noch einmal 15 Jahre nach einem mißglückten Fluchtversuch hinzu. Ein in Bangkok lebender amerikanischer Anwalt nimmt sich nach längerem Zögern des Falles an, doch kann er keine grundlegende Änderung der verfahrenen Situation herbeiführen. Da entschließt sich die stärkere Alice zu einem selbstlosen Opfer, um wenigstens ihre nervlich und körperlich angeschlagene Freundin zu retten.

Regisseur Jonathan Kaplan inszenierte einen Film, der zwischen Thriller, Mädchenromanze und Drama angesiedelt ist. "Brokedown Palace" ist für das Genre des Krimis sicher nicht sonderlich interessant. Auch die vordergründige Konzeption als herzerweichender Streifen über eine Mädchenfreundschaft sollte nicht zur voreiligen Abwertung verleiten. "Brokedown Palace" muß unter dem Aspekt des (Gefängnis-)Dramas betrachtet werden, um für den Betrachter zu funktionieren und nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Offen bleibt die Frage nach der Schuld. War es nur der smarte Australier, der die Mädchen als Drogenkuriere mißbrauchen wollte? Steckten korrupte thailändische Polizeikreise hinter der Aktion? Oder ist doch die risikofreudige Alice verantwortlich für das Desaster, da sie sich etwas von einer Liaison mit Nick versprach? Doch spielt das alles wirklich eine Rolle? Sind wir nicht alle schuldig und unschuldig zugleich, ausgesetzt den grausamen Kräften des Schicksals, das mit uns in jedem Moment zu spielen beginnen kann?

Produzent Adam Fields jedenfalls bezeichnet "Brokedown Palace" als eine "Reise der Selbstfindung jenseits der Dimensionen von Schuld und Unschuld". Es drehe sich um Heldentum und Erlösung in einer ungewöhnlichen Umgebung.

Fields war früher selber auf Low-Budget-Reisen in der Welt unterwegs. Dabei fielen ihm immer wieder Flugblätter in Cafés und auf Marktplätzen auf, in denen amerikanische Touristen dazu aufgefordert wurden, inhaftierte Landsleute zu besuchen, die – zu Recht oder Unrecht – aufgrund von Drogendelikten in Gefängnissen gelandet waren. Erschüttert von der Verzweiflung der Menschen und ihrem Schicksal, begann sich Kaplan vor zehn Jahren mit der Not von im Ausland inhaftierten jungen Amerikanern zu beschäftigen, die unter primitivsten Bedingungen elend vegetieren müssen: "Auf einer Reise nach Thailand traf ich 15 junge amerikanische Frauen, die wegen Heroinschmuggels langjährige Haftstrafen in einem Gefängnis in Bangkok absaßen", berichtet Fields. Nachdem er die Akten in der US-Botschaft studiert hatte, stellte er fest, "daß sie sich allesamt schuldig gemacht hatten – der Armut, der Unschuld, der Naivität oder der Verzweiflung". Alle waren Opfer von manipulierenden Männern geworden. Aus diesen Schicksalen entwickelte Fields als Drehbuchautor seine fiktive Geschichte.

Die beiden Mädchen durchlaufen mehrere Stadien ihrer Beziehung zueinander. Die Schulfreundschaft wendet sich in Mißtrauen und Aggression, schließlich in Fürsorge und erreicht letztlich eine Tiefe, bei der der eigene Tod weniger wichtig als das Glück des anderen erscheint. In dieser Situation steigt Alice zu einer Heiligen auf. Durch ihr Selbstopfer kann diejenige, deren eigenes Leben verwirkt ist, dennoch Leben schenken und durch das Dasein ihrer Freundin in der "Außenwelt" eine Spur im Lauf der Zeiten hinterlassen. Kein offensichtliches "Happy-End", wenngleich die Hoffnung mitschwingt, daß die befreite Freundin ihrer "zweiten Mutter" ihr Leben lang treu ergeben bleiben wird.

Das Projekt von Fields und Kaplan muß als überaus gelungen bewertet werden. Läßt man die vordergründigen Aspekte fort und steigt in die Tiefe von "Brokedown Palace" ein, so wird man auf einen der bewegendsten und erschütterndsten Filme der letzten Monate treffen, der den Zuschauer auch noch lange Zeit nach dem Verlassen des Kinos in seinem Bann halten wird.

Der Film startet am 8. Juni in den Kinos.


 
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