© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Mann über Bord
Thomas Mann und die Konservative Revolution
Tobias Wimbauer

Thomas Mann (1875–1955), der Meister kunstvoll verschachtelter Sätze, die jeder Liebhaber der deutschen Sprache Seite um Seite mit Verzückung liest, und dessen literarisches Schaffen, insbesondere "Die Buddenbrooks" (1901), mit dem Literaturnobelpreis 1929 gewürdigt wurde, Thomas Mann also wäre am 6. Juni 125 Jahre alt geworden.

Im "offiziellen" Denken wird Thomas Mann meist als der Liberale dargestellt, der er selbst, im Rückblick, gern stets gewesen wäre. Thomas Mann aber ist nun einmal nicht zeitlebens ein solcher gewesen, wie seine ihm ergebene Anhängerschaft glauben will. Die "Betrachtungen eines Unpolitischen" (1918) etwa, geschrieben in einem "mehr als zweijährigen Gedankendienst mit der Waffe", werden als kurze Episode, als kleiner, somit verzeihlicher Fehltritt bewertet. Daß der frühe Thomas Mann ein einflußreicher Vordenker und Vorläufer der Konservativen Revolution war, wird meist gern unter den Teppich der Schönen Neuen PC-Welt gekehrt.

Als 1914 der Große Krieg, den Thomas Mann – zumindest zwischen Deutschland und Frankreich – als Bruderzwist betrachtete, ausgebrochen war, wurde auch er von der Welle der nationalen Begeisterung ergriffen. In diesem Krieg gegen "äußere Einschnürung und innere Verdüsterung" sah Thomas Mann die Chance für Deutschland, "das Weltvolk der Wirklichkeit" zu werden, Deutschlands Ehrstunde war gekommen, "die Stunde der Heimsuchung und Größe". Er erhoffte sich "keinen demokratischen, sondern einen deutschen Frieden", denn "Deutschlands Selbstbehauptung und Selbsterfüllung ist der Friede".

In dem Essay "Friedrich und die große Koalition" (1915) verteidigte Thomas Mann den Einmarsch Friedrichs II. in das Königreich Sachsen, die Analogie zur derzeitigen Kriegssituation war unübersehbar. In diesem Büchlein sind auch die feurigen "Gedanken im Kriege" und der "Brief an die Redaktion des Svenska Dagbladet" abgedruckt, in dem er sich sein "Drittes Reich" ersehnt, das die "Synthese von Macht und Geist" darstellt.

Manns Bruder Heinrich stand auf der anderen Seite der, nicht nur geistigen, Frontlinie und bezog, ebenfalls historisch bemäntelt, in seinem Zola-Essay (1915) Gegenposition. Dies führte einstweilig zu einem Bruch zwischen den Brüdern, der bis in die zwanziger Jahre währen sollte.

Die "Betrachtungen eines Unpolitischen" richten sich gegen die "Feinde Deutschlands in seinen eigenen Mauern" und zwar zuvorderst gegen den Zivilisationsliteraten, hinter dem unschwer Heinrich Mann zu erkennen ist. Dieser Zivilisationsliterat ist eigentlich ein Vertreter des "geistigen Franzosentums" im Sinne der Ideen von 1789, der auf der Seite der feindlichen Entente steht und also einen Beitrag auch zum innerdeutschen Bruderzwist leistet, indem er sich "unnational", "antideutsch" aber "national französisch" gebiert. Letztlich ist das Ziel des Zivilisationsliteraten die Demokratisierung Deutschlands und damit seine "Entdeutschung", d. h. "die Verdummung des Deutschen zum sozialen und politischen Tier", ein "Unfug", an dem Thomas Mann natürlich nicht teilhaben will.

Das Zerwürfnis zwischen den Brüdern Mann sollte auch nach dem Krieg bis 1922 fortdauern. So begrüßte Thomas Mann den Stimmenzuwachs der Rechtsparteien bei der Reichstagswahl im Juni 1920 als Hieb gegen "die Demokratie", als "Protest gegen den gegenwärtigen Saustall", indes Heinrich Mann zu Ehren des ermordeten sozialistischen bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner sprach. Thomas Mann befürwortete einen Anschluß Österreichs an Deutschland und rief zur Revision der Verfassung von Weimar auf, "die eine nationale Fälschung ist", gleichfalls äußerte er den Wunsch nach einem weitverbreiteten deutschen Nationalismus. Mehrten sich seine Zweifel schon nach dem Kapp-Putsch, gab es nach der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau, mit dem Mann bekannt war, keinen Zweifel mehr für ihn. Die Wende vollzog er in der Rede "Von deutscher Republik" im Oktober 1922, Thomas Mann ist zum Republikaner geworden. Diese Rede wirkte wie eine "Brandbombe ins eigene Haus" (Erika Mann), Friedrich Georg Jünger schrieb hierüber 1929 im Widerstand, der nationalrevolutionären Zeitschrift Ernst Niekischs: "Man kann nicht unpolitische Betrachtungen schreiben und dazu demokratische Kulturpropaganda betreiben. Klarer – es ist nicht gut, wenn man es kann." Eines der gängigen Worte anläßlich Thomas Manns Wandlung zum liberalen Bejaher der Republik lautete: "Mann über Bord". Nahezu alle Spektren der politischen Richtungen hat er durchlaufen.

Daß Thomas Mann die "Betrachtungen" später selbst unangenehm wurden – so kürzte er 1922 die Zweitauflage um die "kompromittierenden" Stellen –, verwundert kaum, wurde er schließlich doch alsbald schon zur Verkörperung des von ihm zuvor geschmähten Typus des Liberaldemokraten, ja, Thomas Mann war der Zivilisationsliterat des Zweiten Weltkrieges. Er saß im sicheren amerikanischen Exil und feilte an seinen Ansprachen, die zwar oftmals wie eine retrospektive Selbstkritik klangen, aber auch eine gewisse "negative Faszination" am Nationalsozialismus durchaus verspüren lassen. Hierzu Ernst Jünger in einem Spiegel-Interview 1982: "Ich habe mich immer geärgert, wenn ich den englischen Sender hörte, eine deutsche Stadt war wieder in Flammen aufgegangen, und Thomas Mann hielt seine Reden dazu."

Mit einer Zuordnung des frühen Thomas Mann zur Konservativen Revolution tun sich viele schwer. Stefan Breuer beispielsweise spricht von Berührungen und Affinitäten, versucht aber nachzuweisen, daß Mann doch eigentlich für eine "liberale Restauration" stehe. Andere wiederum sprechen von Mann als einem "der wichtigsten Stichwortgeber" (Hermann Kurzke), "geistigen Wegbereiter" (Hans Mayer, Edmond Vermeil) und "Paten" (Armin Mohler) der Konservativen Revolution. Mann selbst immerhin äußerte über die "Betrachtungen", sie seien eine "lange Erkundung der konservativ-nationalen Sphäre in polemischer Form" gewesen. Später wollte er davon nicht mehr viel wissen, er gehörte zu jenen, "die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind" (Jünger), viele seiner Apologeten folgten Manns Selbstdarstellung.

Aber, da sich Thomas Mann zu einem Zukunftskonservatismus bekannte, wie kann dies etwas anderes sein, als der Wunsch nach und der Wille zu einem noch zu schaffenden Zustande, den zu bewahren sich lohne, kurzum: zu einer Konservativen Revolution.

 

Tobias Wimbauer, 23, Student der Germanistik und Philosophie, veröffentlichte 1999 das "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers".


 
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