© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Polen ohne Alliierte
Carl Gustaf Ströhm

Wie wenig man sich noch auf "Erbfreund- und Erbfeind-schaften" verlassen kann, erlebt derzeit Polen, das hoffte, ab 2003 EU-Mitglied zu sein. Davon kann nach den jüngsten Verhandlungen in Brüssel nicht mehr die Rede sein. Hier stießen die Polen auf kühle Ablehnung, vor allem wegen ihrer Agrarpolitik. Der österreichische EU-Agrarkommissar Franz Fischler sagte den Polen, bevor Warschau nicht die Agrareinfuhrzölle streiche, werde nichts weitergehen. Vergeblich wiesen die Polen darauf hin, daß zehn Prozent ihrer Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig seien und ohne Zollbarrieren schwerste soziale Verwerfungen drohen. Polens Präsident Kwasniewski kritisierte die EU wegen ihrer "Selbstsüchtigkeit" und "kurzsichtigen Politik". Im polnischen Sejm scheiterte ein Gesetzentwurf, der die Agrarbesteuerung in Polen an EU-Niveau anpassen sollte. Die Mitte-Rechts-Koalition steht nach dem Auszug der liberalen Freiheits-Union vor dem Ende. Die ursprünglich überwältigende Sympathie der Polen für die EU ist laut Umfragen dramatisch abgesunken.

Besonders enttäuscht Polen die Haltung Frankreichs, das – trotz traditioneller Freundschaft – keinerlei Entgegenkommen zeigte. Paris verlangt von Warschau, eine dichte "EU-Außengrenze" gegenüber der Ukraine aufzubauen. Das aber würde die gesamte polnische Ostpolitik ins Wanken bringen: eine "harte" Grenze würde zwar der Schengen-Regelung nahekommen – aber um den Preis der Isolierung Kiews. Die Ukraine aber spielt als Glacis und Sprungbrett für Polen eine unverzichtbare Rolle. Es zeigt sich, wie unterschiedlich die Gesichtspunkte zwischen den östlichen und den westlichen Ländern Europas heute noch sind.

Hinter der Pariser "kalten Schulter" und der Frage "Wo sind unsere französischen Bundesgenossen aus alten Tagen geblieben?" verbirgt sich aber noch einiges mehr. Schon wird gemunkelt, die Pariser Blockade gegen Polen habe etwas mit dem tiefsitzenden französischen Mißtrauen gegen die wiedervereinigten Deutschen zu tun. Denn Polen und Deutsche arbeiten neuerdings eng zusammen. Deutsche Firmen sind in Polen sehr aktiv. Die polnische Abneigung gegen die Deutschen schwindet – und es heißt, die Franzosen fürchten im Falle einer polnischen EU-Mitgliedschaft die Entstehung eines mitteleuropäischen, deutsch-polnischen "Blocks" – mit einem Markt von 120 Millionen Einwohnern.

Damit würde Frankreich politisch an den Rand gedrängt und das ohnedies notleidende deutsch-französische Sonderverhältnis durch eine deutsch-polnische Allianz abgelöst. Frankreich würde damit in der EU marginalisiert.

Den Franzosen ist auch nicht verborgen geblieben, daß Polen und Deutsche – trotz aller vergangenen gegenseitigen Grausamkeiten – einander in der Mentalität und im Wesen viel näher stehen als etwa Franzosen und Deutsche. Dabei hat die deutsch-polnische Annäherung wenig mit Sentimentalität zu tun: Polen ist für viele deutsche Firmen ein Ausgangspunkt für den russischen und zentralasiatischen Markt. Trotz aller schönen Worte verstehen also Deutsche und Franzosen unter "EU-Osterweiterung" jeweils etwas völlig anderes. Schließlich ist nicht zu vergessen: Frankreich erhält wie andere Mittelmeerländer erhebliche Gelder aus dem EU-Agrartopf. Die Franzosen möchten ungern mit den mitteleuropäischen "Brüdern" teilen. Auch deshalb haben sie dazu beigetragen, Warschau in den EU-Wartesaal zu verbannen.


 
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