© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Ein anhaltender Frieden ist nicht in Sicht
Israel: Der Rückzug aus dem Libanon ist umstritten – ein neues Blutbad ist nicht auszuschließen
Ivan Denes

Am 6. Juni 1982, also vor 18 Jahren, begann unter der Regierung Menahem Begins das Libanon-Abenteuer der israelischen Armee. Die ständigen Angriffe der Palästinenser aus dem sogenannten Fatah-Land, entlang der libanesischen Grenze, gefährdeten das tägliche Leben in den Städten und Siedlungen Nordgaliläas.

Es endete vergangenen Mittwoch, ungefähr 1.000 israelische Tote und etwa 20 Milliarden Dollar Kosten später. Es begann mit jubelndem Empfang seitens der libanesischen Christen, und es endete mit den Katjuscha-Raketen und dem Siegesjubel der schiitischen Hisbollah. Zum ersten Mal in der länger als ein Jahrhundert alten zionistischen Geschichte stand weder die israelische Öffentlichkeit noch das Weltjudentum hinter dem Vorgehen der israelischen Streitkräfte. Denn, wie ein namhafter israelischer Publizist dieser Tage schrieb, im "Irrenhaus Libanon" bemerkt man nicht, daß – während man aus lauter Willkommensfreude mit Reis über den Kopf bestreut wird – man mit den Beinen immer tiefer in einen ethnisch-politischen Sumpf versinkt, aus dem kaum ein Entkommen möglich ist.

Nach dem Massaker, das die verbündeten christlichen Milizen in den Palästinenserlagern Sabra und Schatilla unter den Augen der israelischen Armee Anfang der achtziger Jahre verübten, war auch die moralische Jungfräulichkeit der Zahal, der Armee zur Verteidigung Israels, verloren.

Im Jahre 1985 entschied die nationale Koalitionsregierung unter Shimon Peres den Teilrückzug bis in die "Sicherheitszone" im Süden Libanons. In der Führung der israelischen Armee gab es einen einzigen General, der gegen diese Lösung stimmte und einen vollständigen Rückzug auf die Grenze von 1982 befürwortete. Er hieß Ehud Barak.

Als sich Barak als Gegenkandidat zu Benjamin Netanjahu für das Amt des Ministerpräsidenten stellte, versprach er, bis zum Juli 2000 die Truppen aus dem Südlibanon heimzuholen. Es war und blieb eine Maßnahme, die von der Mehrheit der Bevölkerung gefordert wurde. Auch jetzt, nach all den demütigenden Fernsehbildern, stimmen 73 Prozent der Israelis dem Rückzug zu, zumal er ohne Verluste vollzogen wurde. Der Rückzug Israels aus dem Südlibanon erfolgte nicht als Sieg der aus Teheran und Damaskus gesteuerten Hisbollah, sondern aus dem erloschenen Kampfwillen der Heimat. Die israelische Gesellschaft von heute trägt nur noch verschwindend wenige Züge der Gründergeneration, erloschen sind die idealistischen, kämpferischen Tugenden, die Militärführer wie Mosche Dayan und Itzhak Rabin zu verhaßten Angstgegnern der gesamten arabischen Welt, vom Persischen Golf bis zur Atlantikküste, werden ließ. Das Land – längst eine Wohlstandsgesellschaft mit all deren moralischem Ballast – ist innerlich gespalten wie nie zuvor seit den Zeiten der Propheten und kann einen Abnutzungskrieg nicht mehr durchstehen. Die pazifistische Propagandawirkung der Mütterorganisation, die ihre Söhne hinter der Grenze in Sicherheit wünschen, hat mehr Echo, mehr Glaubwürdigkeit und höhere moralische Autorität gewonnen als der Generalstab.

Libanon ist längst eine syrische Marionette geworden, und Barak gab sein Wahlversprechen ab, weil er überzeugt war, daß er nach Amtsantritt innerhalb eines Jahres zu einem Friedensvertrag mit Syrien kommen werde und somit auch aus dem libanesischem Sumpf herauskommen könne. Schon unter Netanjahu waren die Geheimverhandlungen mit Syrien – geführt von dem US-Kosmetikmagnaten Ronald Lauder – weit gediehen. Niemand konnte vorausahnen, daß der schwerkranke Hafez el Assad einen tolpatschig nach historischen Großtaten, nach dem Friedensnobelpreis lechzenden Vermittler namens Bill Clinton in Genf nach nur wenigen Stunden ins Leere laufen lassen werde.

Der Traum vom Frieden mit Syrien ist für lange Zeit ausgeträumt, aber Barak, der brillante Taktiker, hatte den strategischen Fehler begangen, einen festen Termin zu nennen, den er nun einhalten mußte, wollte er sich nicht der totalen Lächerlichkeit preisgeben. Damit ließ er aber eine Lage entstehen, in der es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann die Hisbollah oder die inzwischen von den Syrern ausgebildeten palästinensischen Gegner Arafats die ersten Raketen auf Galiläa abschießen werden. Das nächste Blutbad steht bevor.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen