© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Das Ende der Billig-Uni
Deutsche Hochschulen planen neue Zulassungsbeschränkungen und Studiengebühren
Bernd-Thomas Ramb

Nach Schröders hochherziger Spende von 100 Millionen Mark für den notleidenden Studiengang Informatik und dem mit der Diskussion um die Green-Card für indische Informatiker einsetzenden Sturm auf die Universitäten, folgt nun die nüchterne Feststellung der Hochschulen, dass die Einführung eines Numerus clausus, eine Zugangsbeschränkung für das Studienfach Informatik, unumgänglich ist. Die Bevölkerung reagiert verständlicherweise entsetzt und empört. Da fehlen zigtausend Computerfachleute in Deutschland und der Bundeskanzler höchstpersönlich erklärt das Anliegen der Informationstechnologie(IT)-Branche zur Chefsache. Er bietet als Soforthilfe die Zuzugsfreigabe für Spezialisten aus fernen Landen, dann den Internetanschluß für jede Schule und künftig den Laptop als Schulranzen. Die Universitäten aber klagen über eine Finanzierungslücke von 20 Milliarden Mark und diskutieren die Einführung von Studiengebühren.

Um mehr als 30 Prozent ist die Zahl der Studienanfänger im derzeitigen Not- und Modefach Informatik kurzfristig angestiegen. In den vorangegangenen Jahren waren in diesem Fach Studienplätze abgebaut worden, weil die Nachfrage nach Absolventen stark nachgelassen hatte. Der plötzliche Wiederanstieg stellt die Hochschulen nun vor erhebliche Kapazitätsprobleme. Bei geringerer Ausstattung an Räumen, Geräten und vor allem Personal kann die Qualität der Ausbildung verständlicherweise kaum aufrecht erhalten werden. Schlecht ausgebildete Informatiker nutzen aber der IT-Branche wenig, schaden möglicherweise sogar. Die Technische Hochschule Darmstadt, die Universität Dortmund und die drei Berliner Hochschulen ziehen folgerichtig mit ihren NC-Plänen die Notbremse. Bis die notwendigen Ausbildungsgrundlagen wieder geschaffen sind, wird einige Zeit vergehen. Die Anmietung von Räumen und die Beschaffung von Geräten stellen dabei das geringere Problem dar, sofern die Gelder zur Verfügung stehen. Weitaus schwieriger gestaltet sich die Personalfrage.

Informatik-Professoren wachsen nicht im Himmel, auch nicht im indischen. Sie sollten zumindest einen Tag Wissensvorsprung vor ihren Studenten haben, was in der schnellebigen IT-Branche nicht immer gelingt. Eine voreilige Professoralisierung von halbgebildeten IT-Spezialisten würde die Wiederholung desselben unheilvollen Fehlers bedeuten, der in den siebziger Jahren begangen wurde. Damals erhielten unzählige Hochschulassistenten in fast allen Fakultäten über Nacht Professorenstellen, weil der politische Beschluss zum sofortigen Ausbau der eher exklusiven Hochschulen zu Massenuniversitäten die traditionellen Kriterien zur Professorenauswahl über Bord warf. Von dieser Absenkung des tradierten akademischen Niveaus haben sich die deutschen Universitäten bis heute nicht erholt. Will man diesen Fehler nicht wiederholen, muß man dem Ausbau von Studienplätzen in der Informatik einige Jahre Zeit lassen. Mit den Plätzen allein ist es aber noch nicht vollbracht. Denn die Ausbildungszeit dauert zusätzliche vier bis fünf Jahre. Eine merkbare Ausweitung des Angebots an fertig ausgebildeten Informatikern ist daher erst in acht bis zehn Jahren zu erwarten, möglicherweise zu spät oder zu einem Zeitpunkt, da Informatiker wieder einmal nicht so gefragt sind.

Die Ausbildung von Informatikern droht damit in einen ausgeprägten Schweinezyklus zu geraten. Der klassische Schweinezyklus, ein Phänomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, beschreibt den Anstieg der Schweinezucht in Zeiten hoher Schweinefleischpreise. Nach der Aufzucht der Schweine zur Schlachtfähigkeit sinkt durch das erzeugte Überangebot der Preis, so daß der Anreiz zur Schweinehaltung wieder zurückgeht. Das dadurch erzeugte Unterangebot in der Folgezeit bewirkt wieder einen Anstieg des Schweinefleischpreises, so daß der Zyklus erneut beginnt. Die Rotation um das Marktgleichgewicht kann kurzfristig nur beendet werden, wenn das Verursachungsprinzip durchschaut und längerfristig geplant wird. Den damaligen Schweinehaltern ist dies weitgehend gelungen. Den kurzatmigen Bildungspolitikern von heute fehlt dafür vielleicht das planerische Feingefühl.

Davon unberührt bleibt die Frage, ob die Bildungspolitik generell modische Ausbildungswünsche der Wirtschaft befriedigen sollte. Die jüngste Errichtung von Studiengängen wie "Wirtschaftsinformatik" und "Informationssystemtechnik", spezielle Fachgebietsmixturen mit enormer Massenattraktion, offenbaren das grundsätzliche Dilemma der deutschen Hochschulen. Möglichst alle Abi-turienten, das sind mittlerweile fünfzig Prozent aller Schulabgänger, sollen ein Studium erhalten, das ihnen nach dem augenblicklichen Stand der Wirtschaft einen Arbeitsplatz, noch dazu einen gutbezahlten, bietet. Damit wird nicht nur das klassische Bildungsideal verlassen, sondern auch eine Erwartungshaltung erzeugt. Junge Menschen werden dazu verleitet, darin einen gesetzlich zu garantierenden Anspruch zu sehen. Die Gefahr wächst, daß dem "Anspruch auf das Abitur" nun der "Anspruch auf einen profitablen Studienabschluss" auf dem Fuße folgt. Wer aber ein vermeintliches Recht einklagt, will sich natürlich um eine Gegenleistung weniger Sorgen zu machen. Schon seit längerem kritisieren Hochschulprofessoren die nachlassende Vorbildungsqualität der Studienanfänger. Die immer geringeren mathematischen Grundkenntnisse haben mittlerweile zu einer Auszehrung der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge geführt, obwohl dort mittlerweile die besten Anfangsgehälter geboten und gerade in der IT-Branche Ingenieure dringend gesucht werden.

Neben dem konjunkturellen Phänomen des Schweinezyklus tritt damit mehr und mehr ein strukturelles Defizit im Bildungsbereich zutage. Die heutigen Studenten suchen verstärkt den modischen Abschluß des aktuell gerade nachgefragten Spezialisten. Dazu aber fehlen allseits die Kapazitäten. Für die weniger begehrte, von den Universitäten aber leistbare Ausbildung zum Generalisten mangelt es dagegen vielfach an der schulische Grundlage. Der Generalist wird jedoch nicht nur von der Wirtschaft verstärkt gesucht, er verfügt gerade in einer Welt des rapiden technologischen Wandels über die einzige Grundlage für eine flexible Anpassung. Es bleibt offen, ob die deutschen Bildungspolitiker in Bund und Ländern nun den nötigen Schneid für zukunftsweisende Weichenstellungen entwickeln, um für den Deutschland-IC die Abfahrt in Richtung Abstellgleis zu verhindern, oder ob nicht doch wieder bloß millionenteure Steuerperlen vor die hochschulpolitischen Schweine geworfen werden.


 
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