© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Wenn ich Unternehmer wäre ...
von Heinrich Lummer

Der Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter ist nun begründet, die Stiftung steht. Die Bundesregierung ist mehrfach umgefallen und hat "nachgebessert". Erst ging es um die Höhe des Fonds. Mehr als sechs Milliarden Mark sollten es nicht sein. Schließlich wurden es zehn. Schließlich hat die Bundesregierung jüngst auch auf die Anerkennung früherer Zahlungen an die Betroffenen verzichtet. Das ist schwer einzusehen. Nun reichen die Gelder der Wirtschaft noch nicht, und deshalb werden einzahlungsbereite Spender im Bereich der deutschen Wirtschaft gesucht.

Wenn ich ein Unternehmer wäre, der einen Traditionsbetrieb führte, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg existierte, der also möglicherweise auch Zwangsarbeiter beschäftigte, was würde ich jetzt tun? Solche Fälle kommen vor. Die in der dritten Generation in Berlin existierende Kunstgießerei Noak zum Beispiel, ein Familienbetrieb, erfuhr jüngst, daß ihr Unternehmen auf der Liste derer steht, die während des Dritten Reiches Zwangsarbeiter beschäftigt haben sollen. Die jetzigen Firmeninhaber wissen davon nichts. Unterlagen haben sie nicht mehr. Nun müssen sie sich entscheiden.

Zunächst würde ich mich fragen, warum das alles 50 Jahre nach dem Ende des Krieges kommt. Waren die Zwänge der Zwangsarbeiter so bedeutungslos, daß sie 50 Jahre auf eine Entschädigung warten konnten? Warum eigentlich sind sie nicht früher auf die Idee gekommen, dafür eine Entschädigung zu verlangen, wenn die Sklaventreiberei so schrecklich und so gering bezahlt war? Oder waren es vielleicht gar nicht die Zwangsarbeiter selbst, die auf die Idee kamen? Irgend etwas kann da nicht stimmen. Es geschah nicht 10 Jahre nach dem Krieg, auch nicht 20 Jahre danach, als die Wunden noch frisch waren, sondern so richtig begann es erst 50 Jahre danach. Da setzten diverse Kampagnen ein mit dem Ziel, "Schuld und Sühne" in Dollar auszudrücken. Just als man in Deutschland das Gefühl bekam, nun könne man ein normales Mitglied der Völkerfamilie werden, begannen die Aktionen zum Bau von Holocaust-Gedenkstätten. Und es begannen erneut Kampagnen, die Geld zum Ziel hatten.

Ich würde mir also die Frage stellen, warum es zu diesem Zeitpunkt geschieht. Am fehlenden Gedächtnis kann es nicht gelegen haben. So sehe ich nur zwei Erklärungen: Die Entwicklung der Amerikaner jüdischer Abstammung war von einem zunehmenden Verlust der Identität gekennzeichnet. Man brauchte und mobilisierte den Holocaust als identitätsstiftendes Ereignis. Die Opferrolle sollte als entscheidender Prozeß der Selbsterkenntnis und Selbstfindung der Amerikaner jüdischer Abstammung herangezogen werden. Diese Opferrolle kann man wirkungsvoller gestalten, wenn man die Täter erfolgreich identifiziert und für die Schuld einstehen läßt.

Der andere Grund für den späten Zeitpunkt der Forderung ist der Versuch, auf diese Weise eine andauernde Schulddiskussion zu bewirken, um daraus Kapital zu schlagen. Wie es scheint, wird dies auch fürderhin von Erfolg gekrönt sein. Die Bundesregierung tut jedenfalls gut daran, bei den Verhandlungen darauf zu bestehen, daß das Spiel ein Ende findet. Dies ist nicht die Forderung nach einem Schlußstrich in der Erinnerungsdebatte. Es ist die berechtigte Forderung, daß 55 Jahre nach Kriegsende Sühne nicht in Dollar geleistet werden sollte.

Dann würde ich mich wohl auch daran erinnern, daß es im Zusammenhang von Kriegen immer wieder Zwangsarbeit gegeben hat. Kriegsgefangene mußten sie leisten. So habe ich in Eriwan erfahren, daß gefangene deutsche Soldaten Brücken und Straßen errichten mußten. Damals im Jahre 1997 schenkte uns ein armenischer Kollege im Laufe eines Abendessens ein Buch, das er als Neunjähriger von einem deutschen Kriegsgefangenen, von einem Zwangsarbeiter, erhalten hatte. Der hätte eine Mauer bauen müssen. Es handelte sich um den 8. Band einer Enzyklopädie, die 1911 in Berlin im Verlag Bong & Co. erschienen und in Leder gebunden war. Das Thema des Buches war der Mensch und das Feuer. Er wollte diese Rückgabe als einen Beitrag zur Versöhnung verstehen.

So habe ich in Siebenbürgen erfahren, wieviel Deutschstämmige zwecks Zwangsarbeiten verschleppt wurden. Nur ein Bruchteil dieser Verschleppten haben Heimat und Familie wiedergesehen. Viele sind umgekommen. Von einem, Viktor Stürmer, habe ich gerade ein eindrucksvolles Buch über diese Tätigkeit in den sowjetischen Zwangslagern gelesen.

So habe ich von Bekannten gehört, wie viele junge Menschen aus Ost- und Westpreußen verschleppt wurden, um unter gewiß schlimmeren Bedingungen Zwangsarbeiten zu leisten als viele, die es in Deutschland für Deutschland tun mußten.

Und es gab eine beachtliche Zahl von Menschen, die nach dem Kriege in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verhaftet wurden und ohne Prozeß in Workuta zwecks Zwangsarbeiten landeten. Einer meiner sozialdemokratischen Freunde hat Kolbenschläge ertragen müssen und leidet bis heute darunter.

Es gab also auch deutsche Zwangsarbeiter. Und zwar nicht wenige. Da sagt man nun, wir dürften nicht aufrechnen. Also besteht die Gerechtigkeit darin, daß wir unser Unrecht bezahlen müssen und die Sieger es unbeschadet tun durften. Das ist nicht meine Vorstellung von Gerechtigkeit. Die Wahrheit ist wohl, daß es Zwangsarbeiter schon vor den Nazis gab und danach auch. Wenn es also gewissermaßen üblich war, dann leuchtet es mir nicht ein, mit meinen Betriebsmitteln dafür einzustehen. Ich erkenne den Sinn eines solchen Fonds nicht, wenn alle Welt immer wieder Zwangsarbeiter beschäftigte und nur die Deutschen dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollen.

Und dann habe ich immer wieder gelesen, daß Deutschland hohe Summen – inzwischen über 100 Milliarden Mark – an Wiedergutmachung und Entschädigungen geleistet habe. Gut, das waren oft pauschale Leistungen an Regierungen, die aber daraus auch individuelle Entschädigungen leisten sollten. Warum sollen wir eigentlich mehrfach zahlen? Und wie lange noch? Gewiß, die Schuld Deutschlands ist da. Keine Kollektivschuld zwar. Aber wir wollen verantworten, was in deutschem Namen geschehen ist. Und wir wollen uns immer wieder daran erinnern, damit es sich nicht wiederholt. Aber muß die permanente Erinnerung durch ständige Zahlungen geleistet werden? Das eben leuchtet mir nicht ein.

Hinzu kommt noch, daß man bei jenen Leuten die Existenz eines deutschen Volkes kennt, das Verantwortung trägt, weil es schuldig wurde. Ansonsten aber sind die nämlichen Leute geneigt, nur von der "Bevölkerung" Deutschlands zu reden. Und sie fördern alles, was geeignet ist, eben dieses Volk in Frage zu stellen. Man kann nicht auf der einen Seite das Volk als verantwortlich Zahlenden in Anspruch nehmen und andererseits eben dieses Volk negieren. Das reimt sich nicht.

Und dann lese ich, daß ein erheblicher Teil des Geldes gar nicht für die individuelle Entschädigung von Zwangsarbeitern gedacht ist, sondern eine Milliarde zur Entschädigung wegen der Enteignung jüdischen Vermögens und eine weitere Milliarde für einen Zukunftsfonds zur Einrichtung von Begegnungsstätten. Dazu kommen die Anwaltshonorare in Millionenhöhe. Warum werden hier die Begriffe von Zwangs- oder gar Sklaventreiberei strapaziert, wenn eine Zweckentfremdung beabsichtigt ist? Dafür würde ich als Unternehmer nicht zahlen wollen.

Und dann lese ich, daß die Zahl der zu Entschädigenden massiv umstritten ist. Ist es denn nicht die Aufgabe unserer Regierung, erst einmal für Klarheit bei den Voraussetzungen zu sorgen? Es macht schließlich einen beachtlichen Unterschied aus, ob noch 25.000 oder 135.000 zu entschädigen sind. Und wer kontrolliert hier eigentlich die Vergabe unseres Geldes?

Großzügigkeit in Ehren, aber die Regierung ist dem Steuerzahler verpflichtet. Und der Zweck darf nicht verloren gehen. Bei soviel Unklarheit würde ich keine Veranlassung sehen, freiwillig dem Fonds der deutschen Wirtschaft beizutreten. Durch den Umgang der Finanzämter mit den Unternehmen und Steuerzahlern bin ich Genauigkeit und Strenge gewöhnt. Doch hier soll pauschal gehandelt und ohne ausreichende Grundlage gezahlt werden. Das möchte ich nicht.

Nun lese ich von der Absicht von Herrn Gibowski, die Namen der Firmen, die bisher nicht gezahlt haben, zu veröffentlichen, um den Druck auf sie zu erhöhen. Gegen Erpressungen dieser Art bin ich besonders allergisch. Dies bestätigt meine Abneigung genauso wie die Tatsache, daß künftige Forderungen bis hin zu Reparationen noch keineswegs ausgeschlossen sind.

Da die jetzige Zahlungsaktion keinen Einzelfall darstellt, kommt eine weitere Frage hinzu. Inzwischen haben wir viel gezahlt. Die Schweizer Banken wurden zur Kasse gebeten. Demnächst sind andere Länder dran. Muß man nicht fragen dürfen, wie das bei den Menschen wirkt, die letztendlich Zahlmeister sind, weil sie die Steuerzahler sind? Es mag sich bei dieser Frage um die nach einer Nebenwirkung handeln, aber auch diese ist nicht zu vernachlässigen. Nach der Kampagne gegen die Schweizer Banken glaubte der israelische Botschafter, einen wachsenden Antisemitismus feststellen zu können. Das eben ist bei derartigen Aktionen, mehr als 50 Jahre danach, auch nicht anders zu erwarten.

Die Menschen bezweifeln die ehrenwerten Motive bei einigen Beteiligten. Jedenfalls tragen die Tatsachen, wie auch die Art und Weise der Geldeintreibungen dazu bei, antisemitische Strömungen zu fördern oder zu begründen. Nun muß man zwar wegen solcher Begleiterscheinungen nicht auf berechtigte Forderungen verzichten. Aber nach mehr als 50 Jahren und im Hinblick auf die völkerrechtlichen Praktiken in einer langen und oft schlimmen Menschheitsgeschichte erscheinen diese Forderungen durchaus zweifelhaft. Und weil ich eben so viele Zweifel habe, würde ich diesem Fonds nicht beitreten, wenn ich Unternehmer wäre.

 

Heinrich Lummer, ehemaliger Innensenator und Bürgermeister von Berlin, war von 1987 bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordneter.


 
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