© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Wiedergeburt eines Genres
Kino: "Gladiator" von Ridley Scott
Claus-M. Wolfschlag

Es ist mittlerweile wohl 40 Jahre her, daß man in den Lichtspielhäusern Gladiatorenarenen, marschierende Legionäre und dem Irrsinn nahe Herrscher in Togen bewundern durfte. Klassiker wie "Ben Hur" oder "Spartakus" prägten über Jahrzehnte hinweg beim gemeinen Bürger das Bild von der römischen Antike, von markigen Reden, Intrigen und Kämpfen um Leben und Tod. Nach diesen Kinoerfolgen war es viele Jahrzehnte still um das Genre. Die Zeit stand nicht mehr auf den oberflächlich wirkenden Monumentalfilm, in dem die Zeichnung des menschlichen Charakters oft hinter dem Spektakel der beeindruckenden Masse an Marschierenden, Schreienden oder Blutenden verschwand.

Nun hat sich Erfolgsregisseur Ridley Scott ("Alien", "Blade Runner", "Thelma & Louise") des längst vergessenen Genres wieder angenommen und bekennt freimütig: "Diese Filme gehörten zu meiner Jugend, aber in der heutigen Zeit des neuen Jahrtausends sollte man sich mit einem der wichtigsten Zeitabschnitte der letzten zwei Jahrtausende wieder einmal beschäftigen – mit der größten militärischen und politischen Stärke, die die Welt jemals erlebt hat."

Die Geschichte dreht sich um Maximus (Russell Crowe), der sich Lorbeeren als einer der siegreichsten und anerkanntesten Generäle des römischen Kaisers Marcus Aurelius (Richard Harris) verdient hatte. Der alte Kaiser liebte seinen Feldherren wie einen eigenen Sohn und hatte ihn gar als seinen Nachfolger auserkoren, damit er Rom aus der Dekadenz und hin zu alter Tugend führe. Doch im politischen Geschäft wurde Maximus jenes Zögern zum Verhängnis, das er sich als Soldat niemals erlaubt hätte. Bedenkzeit erbat er sich, da er eigentlich kein Kaiser werden wollte, sondern nur in seine Heimat zurück, aus dem kalten Germanien wieder auf den kleinen Landsitz in der italienischen Sonne, zu seiner auf ihn wartenden Frau und seinem kleinen Sohn.

Das Zögern zerstörte alles. Commodus (Joaquin Phoenix), der machtgierige Sohn des Marcus Aurelius, riß blitzschnell die Herrschaft an sich und erteilte den Befehl, den eben noch gefeierten General und potentiell gefährlichen Widersacher umzubringen. Geistesgegenwart und die Reaktionsschnelligkeit heutiger Leinwand-Action-Helden bewahren Maximus aber vor dem Tod. Weder Ruhm noch Macht, noch Haß treiben ihn an, als er mühevoll bis zur Erschöpfung über die Alpenpässe flüchtet. Nur in die Heimat zurück möchte er, auf den kleinen Landsitz, in die Sonne und die Arme der wartenden Frau. Doch die Schergen des neuen Kaisers sind schneller als er, und so findet Maximus nur noch rauchende Ruinen und die bestialisch geschändeten Körper seiner Liebsten in dem nun unwirklich erscheinenden toskanischen Hügel-Liebreiz vor. Was zählt das Leben noch, wenn einem durch Grausamkeit alles genommen, wofür man lebte, wonach man sich sehnte?

Maximus ist dabei zu sterben, und nur noch Traumvisionen des einstigen Glücks bestimmen sein Bewußtsein, als er von umherziehenden Sklavenhändlern aufgegriffen und in ein nordafrikanisches Gladiatoren-Lager verschleppt wird. In der Glut des Sahara-Sandes erhält sein Leben wieder ein Ziel: Die Rache an Commodus, den er von dessen goldenem Thron zu stürzen gedenkt. Nach Jahren der Ausbildung zum Arenenkämpfer schließlich erhält er Gelegenheit dazu, als er unerkannt in die Weltmetropole Rom zurückkehrt und dort nach Kämpfen voller Blut und Gefahr mit seinen Gefährten Juba (Djimon Hounsou) und Hagen (Rald Moeller) zum umjubelten Show-Star der Massen aufsteigt.

Zwar hat sich Scott bewußt nicht vom Genre des Monumentalfilms abgewandt, doch gewährt er durch eine professionelle Ausstattung und Computerbearbeitung auch durchaus faszinierende Einblicke in die ganz persönliche Lebenswelt des Menschen vor 2000 Jahren: Das kleine Landhaus, die wartende Frau, der winkende Junge, das Treiben auf den Marktstraßen der Millionenstadt, die dunklen Katakomben unter der gewaltigen Arena mit ihrer modernen Technik, die Patrizier beim Gänsefüttern, die aus den nebligen Wäldern hervortretenden Germanen.

Scotts Film ist leider keine sehr tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Denken des antiken Menschen geworden. Dennoch vermag er durch dezente Hinzunahme der Darstellung privater Lebenswelten und durch einige Dialoge über die problematischen Beziehungen der Menschen zueinander erste Ansätze zu einem neuen Antike-Historienfilm jenseits prügelnder Kämpfer in schimmernden Rüstungen und kreischender Massen zu bieten.

Am stärksten wird "Gladiator" dann, wenn er sich vom Erscheinungsbild des herkömmlichen Monumentalfilms am weitesten entfernt, wenn er sphärisch wird. Dann, wenn er vermittelt, daß auch die uns so unbekannten Menschen vergangener Jahrtausende wohl von ganz ähnlichen Wünschen und Träumen geleitet waren, wie wir es heute sind. Dann, wenn der Tod ganz nahe erscheint und alles Irdische belanglos. Dann, wenn die Visionen kommen, von dem kleinen Haus in der gleißenden Sonne, von der wartenden Frau und dem winkenden Jungen, den im Wind ewig wogenen Feldern und von der Tür, die man vielleicht nur durchschreiten muß, um zu finden, wofür man die Suche und den Kampf eigentlich begonnen hat.


 
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