© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zwischenschritt
Karl Heinzen

Das Beispiel Österreich zeigt, daß die Gefahr für die Souveränität und Integrität eines Landes nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr von Gegnern, sondern von Freunden und Partnern ausgeht. Vor einer solchen Eventualität aber muß sich niemand fürchten. Sanktionen oder gegebenenfalls auch Interventionen können allenfalls dem Zweck dienen, sich der Beachtung jener Grundsätze zu vergewissern, auf die sich der betroffene Staat verpflichtet hat. Jede Demokratie muß ein Interesse daran haben, daß die Staatengemeinschaft diese Bestandsgarantie im Bedarfsfall auch ihr gegenüber mit Leben erfüllen kann. Eine militärische Daseinsvorsorge, die darauf zielt, zur Landesverteidigung imstande zu sein, ist unter solchen Bedingungen grundsätzlich deplaziert.

In der Bundesrepublik Deutschland, die der Nato angehört, kann sogar von einem Zielkonflikt zwischen Landes- und Bündnisverteidigung gesprochen werden. Es ist daher keineswegs nur auf die zufällig in den Vordergrund getretene Maxime einer Konsolidierung der Staatsfinanzen zurückzuführen, wenn darüber nachgedacht wird, was die Bundeswehr in Zukunft leisten darf und was nicht. Gerade in einer Zeit, in der Deutschland international an Gewicht gewonnen hat und Verantwortung übernimmt, ist es von herausragender Bedeutung, unmißverständlich zu signalisieren, daß es nicht die eigenen Interessen sind, denen da Geltung verschafft werden soll. Wie alle Regierungswechsel in der Geschichte der Bundesrepublik zuvor, paßte daher auch jener von 1998 ideal in die Großwetterlage der internationalen Politik. Nur einer sozialdemokratisch geführten Regierung ist es zuzutrauen, daß sie gegenüber der Bundeswehr keine falsche Sentimentalität spürt, wenn es nach einem Jahrzehnt bloßer Korrekturen nun endlich zur Reform kommt.

Was die Sparzwänge alleine nicht leisten können, schafft der Wandel im Selbstverständnis der Bundeswehr. Streitkräfte, die in erster Linie dazu da sind, dort zu intervenieren, wo nach einhelliger Überzeugung der Staatengemeinschaft Frieden und Freiheit bedroht sind, werden in der Öffentlichkeit nicht so schnell als unentbehrlich empfunden. Sollte die Haushalts- disziplin über kurz oder lang weitere Abstriche am Etat des Verteidigungsministers erzwingen, darf auf ein gewachsenes Verständnis der Bürger gehofft werden: Auf eine Interventionsarmee verzichtet man leichteren Herzens als auf Streitkräfte, die Bedrohungen vom eigenen Land abwenden sollen.

Wer grundsätzlich die Berechtigung der Bundeswehr anzweifelt, sollte daher der Politik der Bundesregierung nicht die Zustimmung versagen. Mehr Auslandseinsätze der Streitkräfte sind ein notwendiger Zwischenschritt, um ihnen mittelfristig ihre Legitimationsbasis zu entziehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Verantwortlichen in Berlin dies auch so sehen. Wie sonst wollten sie auch ihre Abkehr von der Friedenspolitik begreiflich machen.


 
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