© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Ein Schlag ins Wasser
Die Amerikaner zweifeln am Sinn ihres Kosovo-Einsatzes
Carl Gustaf Ströhm

War die Nato-Militäraktion gegen Milosevic nichts anderes als ein gigantischer Flop, gewissermaßen ein Schlag ins Wasser? Das US-Nachrichtenmagazin Newsweek spricht von einem "Kosovo-Täuschungsmanöver" (Kosovo cover-up). Die Zeitschrift zitiert aus einem "unterdrückten" Geheimbericht der US-Luftwaffe. Demnach stehen die Resultate der 78 Tage dauernden Luftangriffe in eklatantem Gegensatz zu den Sieges- und Erfolgsmeldungen, mit denen die Medien während und nach der Nato-Kampagne aus dem Brüsseler Hauptquartier gefüttert wurden.

Die Nato rühmte sich, während des Luftangriffes gegen Serbien bzw. die "Bundesrepublik Jugoslawien" keinen einzigen Soldaten verloren zu haben. Gleichzeitig, so sagt der amerikanische Generalstabschef Henry Shelton, habe die (hauptsächlich amerikanische) Luftwaffe des Bündnisses 120 serbische Kampfpanzer, 220 Schützenpanzer und bis zu 450 Geschütze und Mörser vernichtet.

Dagegen behauptete der Befehlshaber der serbischen Truppen im Kosovo, General Nebojsa Pavkovic, er habe nur 13 Panzer durch NATO-Luftangriffe verloren. Intern geben amerikanischen Offiziere zu, daß der serbische General nicht weit von der Wahrheit entfernt sein könnte. In dem verzweifelten Versuch, im Kosovo doch noch Spuren (zum Beispiel Panzerwracks) als Beweis eines Nato-Erfolges zu finden, schickte der inzwischen ziemlich sang- und klanglos abgelöste Nato-Befehlshaber General Wesley Clark eine Untersuchungskommission in die inzwischen von der KFOR kontrollierte Provinz – doch diese fand nichts, was die seinerzeitigen Worte des US-Verteidigungsministers William Cohen hätte auch nur halbwegs bestätigen können. "Wir haben die serbischen Streitkräfte im Kosovo schwer geschlagen, indem wir mehr als 50 Prozent ihrer Artillerie und ein Drittel ihrer gepanzerten Fahrzeuge zerstörten", sagte Cohen – aber diese Worte erweisen sich jetzt als Schall und Rauch. Auch die vollmundigen Ankündigungen amerikanischer Militärexperten, wonach die Kosovo-Kampagne einen Wendepunkt der Militärgeschichte darstelle – und ohne Bodentruppen, nur durch Luftschläge gewonnen werden könne – erwiesen sich als schlichtweg falsch. Die Bilanz des geheimgehaltenen und laut Newsweek sogar unterdrückten Berichtes der US-Luftwaffe zufolge wurden nicht 120 Kampfpanzer abgeschossen und nicht 450 Geschütze – sondern nur 20. Von angeblich 744 Luftschlägen, die von der Nato im Kosovo gegen die serbische Armee geflogen wurden, konnten nur 58 bestätigt werden.

Die Ineffizienz der Luftwaffeneinsätze ist eine Folge der Politik: Clinton und das politische Establishment der USA brauchten dringend "Lufterfolge", um den von Anfang an proklamierten Verzicht auf den Einsatz von Bodentruppen rechtfertigen zu können. So wurde die Luftwaffe dazu animiert, was sie es schon im Zweiten Weltkrieg gerne getan hatte: die eigenen Erfolge zu übertreiben. Da die Maschinen – gleichfalls um Verluste an eigenen Menschenleben zu vermeiden (weil das politisch nicht zu verkraften gewesen wäre) – ihre Ziele nicht im Tiefflug, sondern aus großer Höhe angreifen mußten, war die Treffsicherheit gering. Zum Teil ging die Nato einem alten Trick aus dem Leim: Die Serben hatten Attrappen-Panzer aus Karton und Holz im Gelände aufgestellt, die von der Nato brav "vernichtet" wurden. Sogar eine aus Styropor konstruierte falsche "Brücke" flog nach Nato-Bombardements in die Luft – während über die etwas seitab liegende "echte" Brücke, die unbeschädigt blieb, der serbische militärische Verkehr abrollte. Nur gegen "feste" Ziele wie Bunker und Brücken war die Nato einigermaßen erfolgreich. Wörtlich meint Newsweek: "Die Luftwaffe war im Kosovo nicht so sehr gegen militärische, als vielmehr gegen zivile Ziele erfolgreich. Militärische Planer sprechen nicht gerne von Terror-Bombardements gegen Zivilisten..." Schließlich ging Milosevic in die Knie und räumte das Kosovo, nicht weil seine Armee vernichtet war, sondern weil die Nato die Versorgung Serbiens und Belgrads mit elektrischem Strom zu unterbrechen begann. Ein Land im Finstern aber konnte dem serbischen Diktator gefährliche innenpolitische Probleme bereiten.

Als aber der Rückzug aus dem Kosovo begann, rollten plötzlich Hunderte von jugoslawischen Kettenfahrzeugen über die Straßen in Richtung Altserbien: Sie waren meist unbeschädigt aus ihren Verstecken herausgekommen. Die Lehre vom angeblich "chirurgischen Luftschlag" hatte sich als Fata Morgana erwiesen.

Doch gibt es noch einen Aspekt, den die Newsweek-Enthüllungen nicht berühren. Inwieweit haben die Amerikaner eine Politik verfolgt (und verfolgen sie bis heute), die darauf aus ist, Serbien – bei aller "Strenge" – zu schonen, es für künftige Konstellationen aufzusparen und es womöglich sogar als regionale Macht auf dem Balkan aufzubauen? Man erinnere sich, daß die Amerikaner dem serbisch-jugoslawischen "Chef" Milosevic anfangs freundlich und nachsichtig begegneten. Auf die von unzähligen Kriegsverbrechen begleitete serbische Aggression gegen Kroatien und Bosnien, auf die Belagerung von Dubrovnik und die Massenerschießungen von Vukovar reagierten weder Nato noch EU, weder Washington noch Brüssel. Milosevic wurde von den Amerikanern inzwischen "abgeschrieben" – aber Serbien noch lange nicht.

So paradox es klingt: dieses gleiche Serbien könnte eines Tages mit westlicher Hilfe wieder zur Führungsmacht des Balkans werden.


 
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