© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
CD: Pop
Konzertgefühl
Holger Stürenburg

Die Münchner Spider Murphy Gang ist untrennbar mit ihrem "Skandal im Sperrbezirk" verbunden. Mit diesem grandiosen Beitrag zur Neuen Deutschen Welle konnte die Truppe um Sänger und Bassist Günter Sigl 1981/82 ihren großen Durchbruch erzielen. Das Lied handelte von den zur Olympiade 1972 in München eingeführten "Sperrbezirksregeln", nach denen Prostituierte nur außerhalb des Stadtgebietes ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen. Dieser keyboardbetonte Synthi-Wave-Knaller erweckte fälschlicherweise den Eindruck, die Spider Murphy Gang sei eine der vielen belanglosen New-Wave-Combos damaliger Zeiten. Weit gefehlt. Denn die Spider Murphy Gang hatte sich von jeher viel eher dem klassischen Rock‘n‘Roll verschrieben, dem sie mit bayerischer Mundartlyrik seit über 25 Jahren neue Frische verleiht. Nachdem die Spiders in den vergangenen zehn Jahren hauptsächlich als Live-Band unterwegs waren und nur noch sporadisch Platten veröffentlichten, war es nun an der Zeit, die Konzertqualitäten auf CD festzuhalten. Unter dem Titel "Live – das komplette Konzert" liegt nun genau das vor. 70 Konzerte geben die Spiders pro Jahr, meist natürlich im bayerischen Raum, wo sie nahezu auf jedem besseren Volksfest aufspielen. 24 Titel beinhaltet diese Doppel-CD (im Vertrieb von Carlton Records) und zeigt damit die gesamte Spannbreite des musikalischen Könnens der Spider Murphy Gang. Alle Hits der letzten 25 Jahre sind auf diesem Doppelalbum vorhanden. Anfangswerke wie "Rock‘n‘Roll Schuah" (das zweite bayerische Rock‘n‘Roll-Stück der Spiders in ihrer Geschichte, nachdem sie zuvor ausschließlich englische Lieder geschrieben und gesungen haben) oder der legendäre "Autostop nach Schwabing", hier in einer über 12minütigen Fassung, garniert mit lauten Zuschauerchören, sind genauso versammelt wie unbekanntere, aber wunderschöne Spätwerke wie "Fürstenfeldbruck" oder "Was ist passiert?", bei denen die Spiders deutlich in Richtung Pop blickten.

Auch drei Lieder aus dem ziemlich untergegangenen 97er-Album "Keine Lust auf schlechte Zeiten" sind auf der Live-Doppel-CD zu hören: "Liebe machen", "Du macht mi high" und "Die schöne Münchnerin" zeigen, wie die Spiders in den neunziger Jahren, mehr als zehn Jahre nach ihren Tophits, klangen. Aber diese Tophits aus den Achtzigern machen natürlich den Großteil des Liveprogrammes aus: "Mir san a bayerische Band", die pop-rockige Single aus dem Herbst 1983, der schnelle Rock‘n‘Roll "Vis-a-Vis", der, obgleich damals nur B-Seite der "Skandal"-Single, ebenfalls ein Allzeithit der Spiders geworden ist, die synthilastige 84er-Nummer "Pfüati Gott, Elisabeth" und der schnelle Wave-Song "Wo bist Du?" begeisterten die Fans beim mitgeschnittenen Konzert. Und diese Begeisterung, die zum Schluß der Show mit dem unumgänglichen "Skandal im Sperrbezirk" ihren Höhepunkt findet, überträgt sich beim Hören dieses Albums auch auf den CD-Käufer.

Die Spider Murphy Gang war nie eine politische Band, die den Zeigefinger erhob oder linke Phrasen drosch. Dennoch spiegeln sehr viele ihrer Texte, die zumeist aus der Feder von Frontmann Günter Sigl stammen, den Zeitgeist der achtziger Jahre wider – vor allem natürlich den in Bayerns Landeshauptstadt. So verhöhnten die Spiders bereits 1981 die heute unerträgliche Arroganz der "Schickeria", beschrieben Mitte der Achtziger einen Münchner Sommertag in "Sommer in der Stadt" oder nahmen Stellung zu Peter Gauweilers damaligem Verbot der Peep Shows in "Ich schau Dich an". Somit bekommt der Hörer dieser Live-CD nicht nur hautenges Konzertgefühl vermittelt, sondern erhält zusätzlich einen Einblick in den Zeitgeist der achtziger Jahre, der von der Spider Murphy Gang auf charmante Weise, niemals bierernst, niemals belehrend beschrieben und karikiert wird.


 
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