© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Urklänge von Wave und Gothic
Vor 20 Jahren starb Ian Curtis, der Sänger von "Joy Division"
Peter Boßdorf

Es ist nicht schwer, aus der Musik von Joy Division eine Neigung herauszuhören, die posthume Existenz der aktuellen vorzuziehen. Was an der Band bemerkenswert war, hat sich daher konsequenterweise auch erst herumgesprochen, als sie bereits nicht mehr existierte.

Den Zeitgenossen, die damals, an der Wende der siebziger zu den achtziger Jahren, ihre Auftritte oder ihre ersten Veröffentlichungen wahrnahmen, stand allerdings nur selten der Sinn nach so viel Schwermut. Gerade hatte sich die Öffentlichkeit, angeregt durch den Erfolg der Sex Pistols, dazu durchgerungen, Punk von seiner leichten Seite zu nehmen. Der Protest zeigte sich zudem kompromißbereit. Mit der Lebensfreude kehrte auch die Einsicht in die Notwendigkeit des Konsums zurück. Die neue Mode verkaufte sich gut. Die interessantesten Accessoires aus dem frisch überholten Katalog der kanonisierten Rebellion fingen an, solide Stückzahlen zu versprechen. Für Ian Curtis, Bernard Sumner, Peter Hook und Steven Morris, die vier Musiker von Joy Division, wie sie da mit ihren Büroangestelltenfrisuren und einem Hang zur Freizeitkleidung der vierziger Jahre verachtungsvoll-desinteressiert auf der Bühne herumstanden, fand sich kein Zug mehr, auf den sie hätten aufspringen können.

Da sie in ihrer provozierenden Intransingenz kaum begriffen werden konnten, war man für Anlässe dankbar, sie wenigstens mißverstehen zu dürfen. Einen solchen lieferte Bernard Sumner schon in der frühen Bandgeschichte (als man noch unter dem Namen Warsaw auftrat), indem er zu Beginn eines Konzertes dem überraschten Publikum Vorhaltungen machte, weil es den Stellvertreter des Führers einfach seinem Schicksal überlasse. "You all forgot Rudolf Hess" ist auf diese Weise wohl zur meistzitierten Zeile der Band geworden, auch wenn sie gar nicht Bestandteil des eigentlichen Werks ist. Die Musiker haben in diese Richtung zielende Vorhaltungen weder damals noch später kommentiert. Es war ihnen aber offenbar daran gelegen, die Gerüchte nicht voreilig zum Verstummen zu bringen, sondern durch gelegentliche zeitgeschichtliche Bildzitate im Artwork eine grundsätzliche Verunsicherung wachzuhalten. Allerdings blieben sie damit durchaus im Rahmen des in ihrer Zeit üblichen: Auch David Bowie durchlebte damals eine Phase, in der er in Adolf Hitler den ersten Popstar entdeckte, und der frühe Punk ist ohne seine Anleihen bei der NS-Ikonographie sowieso kaum vorstellbar.

Was an Joy Division tatsächlich beunruhigte, war durch solche Ablenkungen nicht zu bannen. Viele Bands haben damals (und schon vorher) gemeint, irgendwelche Existenzbedingungen des urbanen Menschen und vielleicht auch die für diese vermeintlich Verantwortlichen irgendeiner Anklage unterziehen zu müssen, doch waren sie dann wenigstens zu einer Ideologisierung ihrer eigenen Tätigkeit bereit und ließen sich selbst (und ihr zahlendes Publikum) als Lichtblick gelten. Joy Division schien nicht einmal dazu bereit. Das Leben ist nicht erst durch den Tod ausweglos. Nichts läßt sich festhalten. Eine Verständigung zwischen Menschen findet nicht statt. Von einer Band, die sich mit solchen Problemen befaßte, war wirklich nicht zu erwarten, daß sie sich um tanzbare Rhythmen scherte.

Erst in den achtziger Jahren wußte man, was man an Joy Division gehabt hatte. Plötzlich waren die Kategorien und vor allem das Publikum da, um sich eine Vorstellung von dieser Musik machen zu können. Was immer an Begriffen von Independent über Wave bis hin zu Gothic kursierte, ist auch durch diese Band geprägt worden. Joy Division hat der Schwermut ihren Platz im Pop gesichert und dazu außer Iggy Pop und vor allem Velvet Underground keine musikalischen Referenzen benötigt.

Daß das Leben der Ernstfall ist, war der Band auch ohne dramatische Zuspitzung abzunehmen. Diese jedoch, der Freitod des enigmatischen Sängers Ian Curtis am 18. Mai 1980, ließ zumindest die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Joy Division nicht mehr aufkommen. Wieder einmal schienen sich Kunst und Leben auf eine unheimliche Weise nahegekommen zu sein. Die Hoffnung darauf, daß diese Grenze überschritten werden kann, durfte lebendig bleiben.

Das Publikum antwortete mit einer aufmerksamen Nachfrage nach dem kurz darauf erschienenen, zweiten regulären Album "Closer" und wertete dieses als Vermächtnis. Joy Division hörte auf zu bestehen. Die verbliebenen Musiker machten knapp drei Monate später unter dem Namen New Order weiter und verstärkten sich um die Sängerin Gillian Gilbert. Dieser Band reichte die Musik, um ihren Weg zum Erfolg zu finden.


 
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