© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Um Millimeter abgewichen
PDS-Abgeordnete befürwortet Entschädigungen für Enteignungsopfer
Moritz Schwarz

Die durch ihre Anfrage im Bundestag zu den Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zwischen 1945 und 1949 in die Medien gerückte PDS-Abgeordnete Christine Ostrowski (JF berichtete) hat die als spektakuläre Abkehr von der Parteilinie dargestellten Vorgänge relativiert.

Frau Ostrowski wollte von der Bundesregierung wissen, wie diese gegenüber zu Unrecht Enteigneten stehe, die im Gegensatz zu einigen anderen Enteigneten nur entschädigt worden sind, statt ihr Eigentum zurückzuerhalten. Und was einer Rückgabe in den Fällen, in denen die Bundesrepublik mittlerweile Eigentümerin der Grundstücke ist, entgegenstehe.

Darauf hat die Bundesregierung inzwischen mit Verweis auf die bekannten Tatsachen geantwortet: Eine Rückgabe müsse mit verschiedenen politischen Bedingungen vereinbar sein, die in vielen Fällen eben nicht erfüllt seien. Ein Verzicht auf Rückgabe inzwischen in Bundeseigentum befindlicher Grundstücke sei überdies aufgrund der Regelungen im Einigungsvertrag von 1990 rechtens.

Dabei könnte es sich allerdings um sehr fragwürdige Ausreden handeln, hängt diese Argumentation doch davon ab, wer solche Bedingungen für die Rückgabe definiert und auf wessen Initiative hin vor zehn Jahren die entsprechenden Regelungen in den Einigungsvertag aufgenommen worden sind? Die Antwort lautet vermutlich in beiden Fällen: die (damalige) Bundesregierung.

Daß sich eine Institution auf Zwänge hinausredet, die sie selbst über sich verhängt hat, hat inzwischen offenbar auch Frau Ostrowskis staatspolitisches Gewissen aktiviert. Im Gegensatz zur übrigen PDS, die mit Ungerechtigkeiten offenbar kein Problem hat, wenn sie sich mit den eigenen politischen Anschauungen nur decken, bestätigte Christine Ostrowski in einem Interview mit der Sächsichen Zeitung aus Dresden, daß es ihr um Recht für "unrechtmäßige Enteignungen" gehe.

Für diese unbestechliche Sichtweise ist sie offenbar unter erheblichen Druck in ihrer Partei geraten. Tatsächlich hat die Dresdner Abgeordnete nun selbst in einer schriftlichen Stellungnahme ihres Büros festgestellt, daß sie die Darstellung ihrer Aktivitäten in der Welt als eine Abweichung von der Parteilinie "mit einigem Erstaunen" gelesen habe. Und erklärt im Anschluß, sie sehe "keinen Konflikt mit meiner Partei, die eine Revision von Enteignungen ablehnt", habe weiterhin "keine Forderung nach Einzelfallprüfung erhoben" und schon gar nicht "nach einer Rückgabe", da dies neues Unrecht zur Folge hätte. Auch in besagtem Interview mit der Sächsischen Zeitung bekräftigt sie die Übereinstimmung mit der offiziellen PDS-Position.

Ihre schriftliche Verlautbarung schließt aber dann doch damit, es gehe ihr in diesen Fällen um "eine Form der Entschädigung", um die sich "die Bundesregierung bislang ebenfalls herumdrückt." Damit verläßt Frau Ostrowski formal tatsächlich nicht die PDS-Linie, gibt aber jenes moralisches Empfinden zu verstehen, das sie in Gegensatz zu ihren Genossen gebracht hat.

Das beweist auch ein Entwurf für Frau Ostrowskis Anfrage, der der jungen freiheit vorliegt. Im Gegensatz zur tatsächlichen, umfangmäßig wie inhaltlich recht dürftigen Anfrage, listet der Entwurf elf folgerichtige Fragen auf, die klare Rückschlüsse auf Frau Ostrowskis eigentliche Sicht der Dinge zulassen. Während sie sich in der eigentlichen Anfrage zunächst auf durch die Russen rehabilitierten Fälle begrenzt und damit auf Nummer sicher gegenüber Vorwürfen aus den eigenen Reihen geht, ist von solchen Vorsichtsmaßnahmen zwischen den Zeilen in besagtem Entwurf kaum etwas zu finden.

Ohne sich nach russischen Rehabilitierungen zu erkundigen, hatte die Bundestagsabgeordnete darin nicht nur über jene Enteignungen Auskunft verlangt, die nicht den damals von den sowjetischen Besatzern aufgestellten Richtlinien hierfür ("Bestrafung der Kriegs- und Naziverbrecher") entsprechen, sondern auch angefragt, ob die Aufrechterhaltung der Enteignungsregelung 1990 tatsächlich von sowjetischer Seite Voraussetzung für die Wiedervereinigung gewesen sei (oder ob die Russische Föderation dies heute fordere).

Tatsächlich weicht Christine Ostrowski wohl nur Millimeter von der Position ihrer Partei ab. Daß diese Winzigkeit jedoch solche Irritationen auslösen kann, zeigt, daß es entscheidende Millimeter sind.


 
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