© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
"Achtlos und unterwürfig"
Walter Krämer über den Umgang der Deutschen mit der eigenen Sprache und seinen Kampf für die Erhaltung des Deutschen
Moritz Schwarz

Herr Professor Krämer, die Durchsetzung des Deutschen mit vornehmlich englischen Vokabeln nimmt stetig zu. Wie sieht der "Verein deutschen Sprache" diese Entwicklung?

Krämer: Mit großer Sorge, sonst gäbe es uns ja nicht.

Welches Anliegen verfolgt Ihr Verein?

Krämer: Ich zitiere aus unserer Satzung: "Der Verein verfolgt das Ziel, die deutsche Sprache als eigenständige Kultursprache zu erhalten und zu fördern. Insbesondere tritt er dafür ein, daß sich die deutsche Sprache gegen die Überhäufung durch Wörter aus dem Englischen behauptet."

Es gibt bereits andere Vereinigungen zur Sprachpflege. Was war der konkrete Anlaß, den VDS zu gründen? Wie unterscheidet er sich von den anderen Vereinigungen?

Krämer: Der konkrete Anlaß zur Gründung des "Vereins deutsche Sprache e.V." war das Buch "Deutsch und anders" des ZEIT-Autors Dieter E. Zimmer im Verein mit einem inzwischen notorischen Interview der Hamburger Modeschöpferin Jil Sander in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das zeigt, wohin die deutsche Sprache eines Tages kommen könnte ("Die audience hat das alles von anfang an supportet"). Das Buch von Zimmer zeigt, daß diese "Sanderisierung" der deutschen Sprache mehr ist als nur affiges Imponiergehabe, daß davon eine echte Gefahr für die Sprache als solche ausgeht. Von anderen deutschen Sprachvereinen unterscheiden wir uns durch unser tätiges Eingreifen und das Überwinden der andernorts so beliebten neutralen Beobachterrolle.

Konkurrieren oder kooperieren Sie mit anderen Vereinigungen?

Krämer: Wir kooperieren mit der "Bubenberg-Gesellschaft" in der Schweiz, der "Interessengemeinschaft Muttersprache" in Österreich und der "Arbeitsgemeinschaft Deutsche Sprache" in Südtirol. Mit diesen haben wir im September letzten Jahres in Graz ein internationales Sprachbündnis mit dem Ziel geschlossen, gemeinsam gegen die Verhunzung der schönen deutschen Sprache vorzugehen. In Deutschland konkurrieren und kooperieren wir derzeit mit keinem weiteren Verein. Für eine Kooperation sind uns die anderen überregionalen Sprachvereine entweder zu betulich oder zu sehr weltanschaulich festgelegt. Der VDS ist strikt überparteilich und vermeidet jede weltanschauliche Festlegung, die über das Eintreten für die deutsche Sprache und Kultur hinausgeht, und für eine Konkurrenz sind alle anderen Vereine inzwischen im Vergleich zu uns zu klein.

Wie reagieren die "Preisträger" darauf, wenn Sie die von Ihnen alljährlich verliehene Sprachpanscher-Auszeichnung erhalten?

Krämer: Unterschiedlich, Frau Sander hat offiziell nicht reagiert, inoffiziell schon: Sie spricht seitdem ein viel besseres Deutsch. Ron Sommer hat es ebenfalls offiziell ignoriert, inoffiziell nicht: er war sehr wütend. Ich weiß das, denn ich habe neulich einen von denen getroffen, die sich diese Tarifstruktur ausgedacht haben. Bahnchef Ludewig war sehr souverän, er hat uns zur Preisverleihung eingeladen und hat den Preis in Gegenwart des Fernsehens jovial und mit Humor entgegengenommen. Wahrscheinlich hat er schon gewußt, daß er drei Tage später bereits nicht mehr Chef der Bahn sein würde.

Ihr "Verein deutsche Sprache" kämpft gegen "Denglisch", der "Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e. V." (VRS), der sich in der vergangenen Woche in der "Jungen Freiheit" vorgestellt hat, gegen "Engleutsch". Warum bemüht man sich nicht zusammen?

Krämer: Ich weiß, daß es den VRS gibt, kenne ihn aber nicht näher. Wir sind inzwischen der mit Abstand größte Verein und haben mit unseren Aktionen die Öffentlichkeit auf uns und unseren Verein aufmerksam machen können. Die Broschüre des VRS "Engleutsch? Nein danke!" kenne ich, erscheint mir aber etwas übertrieben.

Wie beurteilen Sie die Rechtschreibreform?

Krämer: Dazu habe ich eine persönliche Meinung: Ich richte mich nicht danach. Und ich habe eine "amtliche": Unser Verein ist in dieser Frage neutral.

Diese Angelegenheit gehört also nicht zum Schutz der deutschen Sprache?

Krämer: Einige sehen das so. Wir haben in unserem Verein in dieser Frage Befürworter und Ablehner, demzufolge ist der Verein hier neutral.

Wieso richten Sie sich privat nicht danach?

Krämer: Ich habe einfach keine Lust, noch einmal umzulernen auf meine alten Tage.

Wie werten Sie die doch erheblichen Proteste gegen die Reform?

Krämer: Ich wundere mich etwas darüber, daß diese Frage solche Emotionen auslöst. Allerdings ist es auch wiederum erfreulich zu sehen, daß doch so viele Leute bereit sind, für ihre Sprache auf die Straße zu gehen. Dieser Aspekt hat mich sehr hoffnungsvoll gestimmt.

Wie kamen Sie persönlich dazu, sich für dieses Anliegen zu engagieren? Schließlich sind SieProfessor für Mathematik und Wirtschaft.

Krämer: Als Hochschullehrer achte ich schon immer auf eine verständliche Ausdrucksweise und gutes Deutsch. Ich verehre die großen Meister der deutschen Sprache wie Lessing, Schopenhauer, Nietzsche oder Thomas Mann und fühle mich persönlich angegriffen, wenn das von diesen Sprachgenies gepflegte Kunstwerk heute mit Füßen getreten wird.

Was für Leute engagieren sich sonst in Ihrem Verein?

Krämer: In unserem Verein sind jeweils mehrere hundert Hochschullehrer, Rechtsanwälte, Ärzte und auch Unternehmer, auch viele Schüler und Studenten (etwa 1.000) engagiert.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf der "Deutschtümelei" oder gar des "Rechtsradikalismus" um?

Krämer: Hier halte ich es mit dem guten Konrad Adenauer: So etwas ignoriere ich noch nicht einmal.

Welcher Art sind die Aktionen, die der VDS durchführt? Haben Sie schon erste Erfolge zu verbuchen?

Krämer: Unsere spektakulärsten Aktionen sind wohl zweifellos die jährlichen Sprachpanscherwahlen. Darüber hinaus organisieren wir Unterschriftenaktionen (Beispiel: unsere erfolgreiche Abwehr der geplanten Umbenennung von Frankfurt in "The City of the Euro") und gehen direkt und oft erfolgreich sprachverhunzende Unternehmen und Privatpersonen an.

Sprache hat sich immer verändert, ist die gegenwärtige Veränderung anders?

Krämer: Ja. Die Latein- und Französischwellen vergangener Jahrhunderte erfaßten nur wenige Prozente der Gesamtbevölkerung, das Sprachvolk als ganzes blieb davon im wesentlichen unberührt. Die aktuelle "Denglischwelle" dagegen erfaßt vor allem das "gemeine" Sprachvolk, während gerade die Eliten weiter gutes Deutsch zu sprechen suchen. Auf keinen Fall wollen wir den aktuellen Zustand der Sprache für alle Ewigkeiten zementieren. Wir reden ja heute auch nicht mehr wie die Minnesänger. Die Frage ist nur, in welche Richtung eine Sprache sich verändert, ob sie flacher, ausdrucksärmer, weniger flexibel oder ob sie facettenreicher, ausdrucksstärker und flexibler wird.

Welchen Stellenwert messen Sie der Sprache als Kulturgut bei?

Krämer: Einen sehr hohen. Ohne eine Kultursprache gibt es keine Kultur. Und die moderne deutsch-englische Schimpansensprache ist für eine Vermittlung kultureller Werte ungeeignet.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Sprache und Identität?

Krämer: Hier halte ich es mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt: "Sprachen sind bei weitem das wichtigste Vehikel kultureller Entfaltung und zugleich das wichtigste Element nationaler – übrigens auch persönlicher – Identität."

Die Idee der Kulturnation als Prinzip, das sich heute allgemein durchgesetzt hat, basiert auf der Sprache. Werden wir nicht mit unserer Sprache allmählich auch unsere Grundlagen verlieren?

Krämer: Eine gemeinsame Sprache vereint mehr als eine gemeinsame Regierung, sie ist sozusagen eine von allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft geteilte Brille, durch die man die Welt betrachtet. Dazu nochmals der nicht nur in Sprachangelegenheiten sehr couragierte Helmut Schmidt: "Ein Gemeinwesen, das seine Sprache aufgibt, gibt auch seine Seele auf. Es hört auf, ein Gemeinwesen zu sein."

Geht mit der Banalisierung der Sprache auch eine Banalisierung des Denkens einher?

Krämer: Ja. In Jil-Sander-Deutsch kann man keine Gedichte oder philosophischen Traktate schreiben.

Vorreiter der Auflösung der Sprache sind die Industrie und die Werbung. Welche Motive haben diese? Geht es bei der Verdrängung des Deutschen darum, Kosten zu sparen?

Krämer: Es mag durchaus sein, daß Daimler-Chrysler kurzfristig Kosten spart, wenn alle Mitarbeiter nur noch eine Sprache sprechen; langfristig werden diese eingesparten Kosten durch entgangene Produktivitätsgewinne wieder aufgefressen. Sprache ist auch ein Produktionsfaktor, und kreativ denken können die meisten Menschen nur in ihrer Muttersprache. Wer aber keine guten Sätze bauen kann, kann auch keine guten Autos bauen.

Betreibt nicht inzwischen die Werbung de facto die Kulturpolitik?

Krämer: In gewisser Weise ja. Bekanntlich ist Kulturpolitik in Deutschland großteils Ländersache, die großen Werbeagenturen dagegen bearbeiten die ganze Republik.

Wie würden Sie heute das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Sprache, wie zu Sprache im allgemeinen, beschreiben?

Krämer: Achtlos gegen die eigene Sprache, unterwürfig gegen andere. Die Londoner Times hat dazu den Ausdruck von der "linguistic submissiveness" der Deutschen geprägt.

Gibt es eine Sucht der Deutschen nach Fremdsprachen, bzw. nach fremdsprachigen Ausdrücken? Wie deuten Sie dies?

Krämer: Als eine ungute Mischung von Imponiergehabe und der eben zitierten "linguistic submissiveness".

Warum sind die Deutschen nicht bereit, für Ihre Sprache zu kämpfen?

Krämer: Weil sie Angst haben, dafür automatisch in eine bestimmte politische Ecke gestellt zu werden.

Ist die Mißachtung der deutschen Sprache Teil des deutschen Problems mit der eigenen Nationalität? Fremdsprache als Flucht vor "dem Eigenen"?

Krämer: Zum Teil auch das. Ich zitiere einen anderen großen deutschen Kanzler, Bismarck, der das einmal so formulierte: "Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung leider auf Deutschland beschränkt ist."

Wie ist die Situation in anderen europäischen Ländern? Die Anglizismen sind auch Ausdruck der Globalisierung. Handelt es sich also um ein europäisches Problem?

Krämer: Anderswo sieht man die Anglisierung der Sprache nicht als Schicksal, sondern als Herausforderung. Es gibt Sprachengesetze in Polen und Finnland, es gibt Terminologiekommissionen in Island, Spanien und zweifellos auch noch in vielen anderen Ländern dieser Erde, wo systematisch versucht wird, die eigene Sprache als Kultursprache lebendig zu erhalten.

Gibt es Kontakte mit Gleichgesinnten bei den europäischen Nachbarn?

Krämer: Wir haben sehr gute Kontakte zu verschiedenen einschlägigen Initiativen in Frankreich, etwa der "Defense de la langue française".

Ist eigentlich auch das Englische als Volkssprache von Verhunzung durch das Globalisierungsenglisch bedroht? Gibt es auch in England und Amerika Unbehagen deswegen?

Krämer: Ja, es gibt auch in England viele Stimmen, die ihre eigene Sprache vor der globalen Vermantschung bewahren würden.

Was halten Sie von den Maßnahmen, die in Frankreich zum Schutz der Sprache getroffen werden?

Krämer: Ein Sprachgesetz à la Toubon halte ich für überzogen. Nach meinem Weltbild sollte es auch weiterhin für Privatpersonen und Firmen erlaubt und möglich sein, sich in der Öffentlichkeit durch übertriebene Anglizismen lächerlich zu machen. Etwas anderes ist dagegen der alleinige Gebrauch des Englischen in Gebrauchsanweisungen, Garantiebedingungen und Inhaltsangaben. Diese sollten zumindest auch in Deutsch vorliegen, wenn nötig durch Gesetz erzwungen.

Werden die Sprachschützer in Deutschland langfristig Erfolg haben, oder werden Ihre Bemühungen vergebens sein?

Krämer: Der allgemeine Unwille gegen die aktuelle Verhunzung unserer Sprache hat inzwischen Ausmaße angenommen, die auch von den hartleibigsten Werbefuzzis nicht mehr übersehen werden können. Man muß nur den Menschen, denen das Schimpansendeutsch der Werbung und der Wirtschaft auf die Nerven gehen, eine Stimme geben, dann wird der Spuk verschwinden.

Inwiefern ist die Politik in dieser Frage gefordert? Vernachlässigt sie nicht in dieser Hinsicht ihre Pflichten auf das Sträflichste? Mehr noch: Hat die Politik hier nicht schon längst abgedankt?

Krämer: Leider sind die Einflußmöglichkeiten der Politiker beschränkt, denn Kulturpolitik ist in Deutschland Ländersache. Aber immerhin haben es unsere Kultusminister ja auch geschafft, sich auf eine Empfehlung zur Rechtschreibung zu einigen, warum nicht auch auf eine Empfehlung zum Fremdwortgebrauch. Und auf internationaler Ebene hat ja Bundeskanzler Schröder mit seinem mutigen Eintreten für die deutsche Sprache als Amtssprache der EU schon ein erstes positives Zeichen gesetzt.

 

Prof. Dr. Walter Krämer geboren 1948 in Ormont/ Eifel, Professor für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften in Dortmund. Vorsitzender des 1997 als "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache e.V." (VWDS) gegründeten, inzwischen umbenannten "Vereins deutsche Sprache e. V." (VDS). Der Verein hat 7.000 Mitglieder jeden Alters. Er verleiht den "Sprachpanscher des Jahres" an Personen, die sich besonders an der deutschen Sprache vergangen haben. Bisherige Preisträger waren Modeschöpferin Jil Sander, Telekomchef Ron Sommer und der ehemalige Bahnchef Johannes Ludewig.

Seit Januar 1999 informiert der VDS in seiner Vereinszeitung "Sprach-Nachrichten" über die jeweils jüngsten Verfehlungen gegen die deutsche Sprache und die Arbeit des Vereins. Informationen: VDS, Postfach 104 128, 44041 Dortmund.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen