© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
CD: Pop
Ein letztes Mal
Holger Stürenburg

Von der schottischen Gitarrenband Big Country hat man viele Jahre nichts gehört. Die vierköpfige Truppe um Sänger und Gitarrist Stuart Adamson galt Anfang der achtziger Jahre mit ihren Erstlingswerken "The Crossing" (1983) und "Steeltown" (1984) als die kommende Sensation am Rockhimmel. Lauter als U2, folkorientierter als die Simple Minds, präsentierten Big Country schnelle, harte, aber immer melodiöse Gitarrenrocker, mit denen sie 1986/87 auch kurzzeitig Gäste höherer Hitparadenränge gewesen sind. Ihre damaligen Hits "Look away" oder "One great Thing" gehören noch heute zu den besten Rock-Klassikern der achtziger Jahre. Das Album "Peace in our Time" (1988) war das letzte echte Hitalbum der Band, die damals erstmals Rhythm‘n‘ Blues- und Countryklänge in ihre Musik einbaute, wie man zum Beispiel an ihrem Singlehit "King of Emotion" deutlich hören konnte. Hier klangen Big Country mehr nach den Rolling Stones als nach schottischer Folklore.

In den letzten Jahren waren Big Country längst keine Stars mehr. Ihre Erfolge mit Alben wie "The Buffalo Skinners" oder "Why the long Face?" blieben im Independentbereich kleben. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wollen es Adamson und seine Rhythmusgruppe jedoch noch ein letztes Mal wissen: Bei SPV/CMM erschient das elfte, aber zugleich letzte Album ihrer Karriere, bevor sich die Band aufzulösen gedenkt.

Und auf "Driving to Damascus" ziehen Big Country noch einmal alle Register ihres Könnens: Lauter, schneller, eingängiger Rock auf Gitarrenbasis bildet die Grundlage. Intelligente, romantische, mal durchaus absurde Texte, größtenteils aus der Feder des Frontmannes, machen auch auf den Blick ins Textbuch neugierig. Zwei Songs ("Somebody Else" und "Devil in the Eye") hat Adamson gemeinsam mit Kinks-Frontmann Ray Davies geschrieben, mit dem er seit einem gemeinsamen und – im wahrsten Sinne des Wortes – stürmischen Auftritt 1997 beim Glastonbury Festival eng befreundet ist.

Auch andere Lieder zeigen deutliche Kinks-Einflüsse, zum Beispiel "Perfect World", das mit einem ähnlichen Hardrockintro versehen ist wie einst das legendäre "You really got me" der Kinks. Unter den insgesamt 16 Stücken des Albums findet sich keine potentielle Hitsingle, viel eher zeigen alle Stücke – die harten Rocker, wie auch die (wenigen) Balladen – eine durchgehend aktive und vor Kraft und Spielfreude nur so strotzende Band. Natürlich bildet Big Country‘s legendärer Folkrock die Basis der Kompositionen, aber immer wieder – und wesentlich häufiger als auf früheren Platten – werden auch andere Stilelemente verwendet: Rhythm‘n‘Blues- oder Countryeinsprengsel verleihen der Musik eine Stilvielfalt, die man bei ihren Frühwerken Anfang der achtziger Jahre noch etwas vermißte.

Big Country gehören, so das Presseinfo, zu den wenigen begnadeten Livebands, die lebend aus der Achterbahnfahrt der trüben Achtziger hervorgegangen sind. Tatsächlich waren schon früher, zu ihren Hitzeiten, Livekonzerte der Band stürmische, laute, mitreißende Aktionen, bei denen der Zuhörer für eineinhalb Stunden ohne Pause in die Untiefen des wave- und folklastigen Gitarrenrock eintauchen konnte – und sich nach 90 Minuten fragte, ob das Konzert nicht eben erst begonnen hatte. Daher soll besonders auf die "Farewell Tour" von Big Country hingewiesen werden, auf der die Band die wichtigsten deutschen Städte bereist und neben den aktuellen Liedern sicherlich auch alle Hits zwischen "Look away" und "King of Emotion" spielen wird.

Was danach aus Big Country wird, steht in den Sternen. Zu hoffen ist nur, daß sich der intelligente Songschreiber Stuart Adamson nicht vollständig aufs Altenteil zurückzieht.


 
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