© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Fusionen: Die deutsche Rocker-Szene ist in Bewegung
Erinnerung an wilde Zeiten
Werner Olles

Der 7. November 1999 gilt in der deutschen und internationalen Rocker-Szene als ein denkwürdiges Datum. An diesem Tag fand nämlich die Vereinigung eines der größten deutschen Clubs, der vor dreißig Jahren in Frankfurt am Main gegründeten "Bones", mit den weltberühmten und -berüchtigten und seit Jahrzehnten international agierenden "Hells Angels" statt. Über die Einzelheiten der Vereinigung gibt es allerdings bis heute so gut wie keine Informationen, die Clubs schweigen beharrlich und öffnen sich nicht einmal gegenüber der Fach- und Fan-Zeitschrift Biker News oder der Biker-Union, dem Dachverband aller Motorrad-Clubs.

Nur wenige Wochen später fusionierten die "Gelben Ghostriders" aus Nordrhein-Westfalen mit den skandinavischen "Bandidos", die sich Mitte der neunziger Jahre mit den "Hells Angels" einen blutigen Bandenkrieg um Einflußgebiete in den nordeuropäischen Metropolen geliefert hatten. Die Befürchtungen, die anläßlich dieser Fusion im Wiesbadener BKA laut wurden, ähnliche gewaltsame Auseinandersetzungen könnten nun auch in Deutschland stattfinden, sind in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen. So hatte CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann die "Angels" 1983 in Hamburg als kriminelle Vereinigung verboten, nachdem geheime Ermittler aufgedeckt hatten, daß die Gang im Waffen- und Frauenhandel und in Sachen Schutzgelderpressung aktiv war.

Dabei sind die Rocker-Kriege in Deutschland eigentlich schon lange vorbei. In den achtziger Jahren stand eine Gruppe "Hells Angels" in Frankfurt am Main vor dem Richter, weil sie die Macht im Rotlicht-Milieu übernehmen wollte und junge Mädchen mit Gewalt zur Prostitution gezwungen hatte; ein "Bone", der auf ein Mitglied der "Gelben Ghostriders", die sich im Rhein-Main-Gebiet ausdehnen wollten, geschossen hatte, wurde in Darmstadt zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt; in Hanau standen mehrere Mitglieder einer Rockergruppe wegen Kneipeneinbrüchen und ähnlichen Delikten vor Gericht, und in Mainhausen zettelten die "Skull Spiders", ein Offenbacher Club, eine Festzeltschlägerei an und verprügelten anschließend die herbeigerufenen Polizeibeamten.

All dies ist wie gesagt lange her, und zumindest in der hessischen Rocker-Szene ist es seitdem relativ ruhig und friedlich geblieben. Ortsansässige Clubs wie die "Skull Spiders" oder die Frankfurter "Lawmen" engagieren sich heute sogar im sozialen Bereich. So stiften zum Beispiel die Offenbacher einen Teil des Erlöses aus den von ihnen veranstalteten Open-Air-Konzerten für Behinderteneinrichtungen und andere wohltätige Zwecke. Eine Ursache für diesen erstaunlichen Gesinnungswandel sehen die südhessischen Behörden darin, daß die Clubs unter einem enormen Mangel an Nachwuchs zu leiden haben, die Mitgliederstruktur sich demgemäß in den letzten zehn, zwanzig Jahren kaum verändert hat, die Aktiven inzwischen älter und gesetzter geworden sind, vielfach Verantwortung für eine Familie tragen oder sich um ihren Job kümmern müssen und sich zwar hin und wieder noch etwas wehmütig an die wilden, alten Zeiten erinnern, naturgemäß aber keine Lust mehr auf Randale und Gewalt verspüren.

Beim Bundeskriminalamt ist man trotz solcher eher optimistischen Einschätzungen seit den Großfusionen von "Bones" und "Hells Angels" und "Ghostriders" und "Bandidos" mißtrauisch, ob diese Clubs, die sich nur ungern in die Karten schauen lassen, sich mit nostalgischen Reminiszenzen an die eigene heroische Vergangenheit zufriedengeben werden. Hier erinnert man sich immer noch mit einigem Schrecken an die mit Raketen, Maschinenpistolen und Handgranaten ausgetragenen Schlachten zwischen den verfeindeten Banden in Skandinavien. Und selbst interne Kenner der Rocker- und Biker-Szene sind von den Fusionen einigermaßen überrascht worden und kritisieren vor allem die Abschottung der großen Clubs, die zu keinerlei Auskünften bereit sind, während die kleineren Gruppen nach Ansicht der "Biker-Union" zunehmend um ihre Unabhängigkeit fürchten. So soll es auch eine ganze Reihe unfreiwilliger Beitritte kleinerer Motorrad-Clubs gegeben haben, andere hätten sich aus Angst vor Repressalien dazu überreden lassen, ihre eigene Identität und die eigenen Farben und Embleme aufzugeben. Auch darüber existieren jedoch keine offiziellen Informationen, vielmehr werden solche Vorkommnisse als "interne Angelegenheiten" bewertet.

Immerhin haben die "Hells Angels" nach ihrer Vereinigung mit den "Bones" in Deutschland nun über zwanzig Ortsgruppen, die Unter-Chapter gar nicht einmal mitgezählt. Eine derartige Stärke könnte – so lauten jedenfalls die Befürchtungen der BKA-Spezialisten – die "Angels" dazu verführen, sich neue kriminelle Betätigungsfelder zu suchen, indem sie versuchten die Macht in den Rotlicht-Milieus deutscher Metropolen zu übernehmen. Dies würde wiederum mit Sicherheit die bislang dort dominierenden türkischen, albanischen und russischen Zuhälterbanden und Frauenhändlerorganisationen auf den Plan rufen, die natürlich ihre Domänen mit allen zur Verfügung stehenden Mittel verteidigen würden. Ein Bandenkrieg nach bewährtem skandinavischen Muster könnte die Folge sein.

Zumindest im Rhein-Main-Gebiet sind diese Sorgen des BKA für die Polizei aber derzeit noch kein Thema. Ein "Rockerproblem" gibt es hier zur Zeit nicht. Auch dafür, daß die diversen Clubs sich mit Waffen aufrüsten, existieren keinerlei Anzeichen. Dennoch kann von einer generellen Entwarnung auch keine Rede sein. Man hält die Augen und Ohren offen, verdeckte Ermittler sollen angeblich im Einsatz sein. Die Milieus der Rocker-Szene, die in den fünfziger Jahren als eine Form der proletarischen Jugendbewegung entstand, sind durch die Fusionen jedenfalls in Bewegung geraten. Offenbar will man jetzt auch international agieren, obwohl zu den eigentlichen Gründen der Vereinigungen in den betreffenden Clubs weiterhin eisern geschwiegen wird und die "Hells Angels" zum Beispiel selbst den Biker News "keine Rechenschaft schuldig sind". Ob die wilden Zeiten also tatsächlich endgültig vorüber sind, kann nur die Zukunft zeigen.


 
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