© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
UFO über den Elbwiesen
Aus der Werkstatt des politisch korrekten Revisionismus
Irene Casparius

Daß die Vergangenheit nicht vergehen will, war jetzt bei der Präsentation zeithistorischer Detailforschungen in Dresden zu erleben. Großes Publikumsinteresse erregte die These des in Dresden geborenen Koblenzer Geschichtslehrers Helmut Schnatz. Er will herausgefunden haben, daß Überlebende des völkermörderischen Terrorangriffs auf das mit Flüchtlingen vollgestopfte Elbflorenz im Februar 1945 nicht auch noch von US-Jagdflugzeugen beschossen worden seien. Schnatz traf nach seinem Vortrag im Festsaal des Stadtmuseums auf die emotionale Abwehr von Zeitzeugen, die sich an Tieffliegerangriffe sicher zu erinnern meinten und die doch gleichwohl wie UFO-Phantasten nur "Truggespinsten" erlegen sein dürften. Die westdeutschen Medien denunzierten deren Kritik flugs als Fortleben eines DDR-spezifischen Anti-Amerikanismus. Schnatz, so hätten ihm die Dresdener politisch unverzeihlich inkorrekt vorgehalten, betriebe Nato-konforme Imagepflege, wenn er die Kriegsverbrechen des heutigen Bündnis-"Partners" leugne. Nach dem, was Schnatz an Fakten bietet, wird man die Angriffe jedoch wirklich ins Reich der Legende verweisen müssen.

Bemerkenswert ist an dieser Kontroverse daher nur, welchen Themen sich deutsche Historiker angesichts schmerzlicher Desiderata, etwa bei der Erforschung der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, widmen.

Bemerkenswert ist auch das Medienecho, auf das ein solch politisch erwünschter "Revisionismus" stößt. Man erinnert sich an die fast jubelnden Mehrspalter, auf die ein Büchlein des PDS-nahen Amateurhistorikers Bernd Fisch 1998 stieß, der die Opfer des sowjetrussischen Massakers im ostpreußischen Nemmersdorf herunterrechnete. Und an die Begeisterung der FAZ über den scheinbar fehlenden Vorsatz bei der Bombardierung von Monte Cassino (JF 17/00). Gleichzeitig wird bei jedem Jahrestag des Angriffs auf Dresden eine Opferzahl lanciert, die am untersten Rand des gerade noch Glaubhaften liegt.

Bemerkenswert ist dies schließlich auch vor dem Hintergrund, daß Schnatz die von Tieffliegern verschonten Zivilisten auf den Elbwiesen herausstellt, um nicht von der unübersehbaren Zahl von Frauen, Kinder und Greisen zwischen Flensburg und Passau reden zu müssen, die den Piloten der RAF und US-Air Force noch bis zum 8. Mai 1945 als Zielscheiben dienten.


 
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