© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Versunken, nicht vergessen
Martin Freksa: Das verlorene Atlantis - Die Geschichte der Auflösung eines alten Rätsels
Werner Olles

Vor 2.360 Jahren schrieb der griechische Philosoph Platon in seinen Timaios- und Kritias-Dialogen auf 20 Papyrusseiten die Geschichte eines Stadtstaates, der seitdem die Phantasie der Welt beflügelt. Allerdings wurde Platon damals beschuldigt, lediglich eine spannende Geschichte erfunden zu haben und sie nur interessanter machen zu wollen durch die Behauptung, sie beruhe auf Tatsachen.

Platon beschreibt Atlantis und sein Zeitalter mit Worten, die, obwohl vor so langer Zeit im alten Griechenland geschrieben, auch heute noch eine geheimnisvolle Faszination ausstrahlen: "Auf dieser Insel Atlantis bestand eine große und bewundernswerte Königsgewalt, die der ganzen Insel, aber auch vielen anderen Teilen des Festlandes gebot; außerdem reichte ihre Macht über Libyen bis nach Ägypten und von Europa bis über Tyrrhenien." Dieses schöne Land ereilte nach Platons Worten ein jäher Untergang: "Später entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und im Verlauf eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht versank die Insel Atlantis im Meer."

Platons detaillierte Schilderung von Atlantis ist seit jener Zeit durch alte Überlieferungen bestätigt worden: durch übereinstimmende Legenden und Bräuche vieler Völker, durch die weltweite Sage von einer Großen Flut, der nur wenige Auserwählte entkamen. Eine weitere Bestätigung liefern sprachliche Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, die ohne die Annahme eines einst bestehenden Kontaktes unerklärlich wären, sowie präkolumbianische auf beiden Seiten des Atlantiks gefundene schriftliche Hinweise auf einen Kontinent oder eine riesige Insel im Atlantik.

Seit 5.000 Jahren wird nun nach Atlantis geforscht, doch erst jetzt stehen die Erkenntnismittel und Forschungsergebnisse zur Verfügung, die erforderlich sind, um sich ein klares Bild von den Ereignissen zu machen, die vermutlich zum Untergang dieses sagenhaften Kontinents führten. Martin Freksa, (1945 in Tübingen geboren, Studium der Soziologie und Geschichte in Tübingen, München und Berlin), hat auf der Basis der bisherigen Atlantisforschung die zahlreichen Hypothesen, historischen Hinweise und die Berichte der großen Mythen der Welt ausgewertet und beschreibt die Kultur von Atlantis und ihre Wirkungen auf andere Hochkulturen. Dies erklärt so mancherlei Gemeinsamkeiten: Die Pyramiden in Ägypten im Vergleich mit denen der Mayas. Freksa bietet nicht nur wichtige Beweise für die Existenz jener Kultur, die sich auf einer erstaunlich hohen Entwicklungsstufe befand, sondern auch eine Erklärung für ihren plötzlichen Untergang. Er weist nach, daß es bereits vor der uns bekannten Steinzeit eine ältere Metallzeit gegeben haben muß, und bringt diese Erkenntnis mit einer schriftlich überlieferten globalen Katastrophe in Verbindung. So wird schon im rund 2.000 Jahre alten indischen "Mahabharata-Epos" eine Waffe geschildert, die aus unserer Sicht einer Atombombe verblüffend ähnlich ist. Als Ursache, die zum vermutlichen Untergang dieses sagenhaften Kontinents führte, wird ein Lichtblitz beschrieben, der heller als tausend Sonnen war; auch eine geheimnisvolle Strahlenkrankheit wird erwähnt, sowie die Druckwelle und die Verseuchung durch den radioaktiven Fallout.

Freksa setzt sich jedoch auch mit anderen Theorien auseinander, wie mit der Kontinentalverschiebungstheorie des deutschen Geophysikers Alfred Wegener. Dieser ging davon aus, daß sich im Laufe der Erdgeschichte die Kontinente horizontal verschoben haben. So lösten sich die Antarktis, Australien und Vorderindien von Afrika und Amerika vom euroasiatisch-afrikanischen Block. In den Trennungszonen entstanden Atlantik und Indischer Ozean. Schiebt man die Kontinente wieder aneinander, so entdeckt man, daß auf der nordatlantischen Hälfte ein mächtiges Loch zwischen den Schelfen klafft.

Der deutsche Geologe Hartung, der um 1860 die Azoreninsel beschrieb, war hingegen der Auffassung, daß es zu einer Absenkung kam, die sich langsam und schleichend vollzog. Laut Hartung lassen die geologischen Urkunden den Schluß zu, daß das Gebiet, wo man Atlantis vermutet, am Ende des Quartärs plötzlich abgesenkt wurde und zwar desto tiefer, je näher es an dem Katastrophenherd lag, der irgendwo südlich des Azorenraumes vermutet wurde. Ähnliches berichtete auch Platon über das Verschwinden der legendären Insel. Was waren jedoch die Ursachen dieser Absenkung?

Eine oft vertretene Ansicht ist der Einschlag eines Planetotiden oder Meteors und einer damit verbundenen Polverlagerung, wobei dies eine Schwenkung der Erdachse um zirka 20 Grad bewirkte und zu einem plötzlichen Klimawechsel führte. Diese Erklärungen einer Reihe von Wissenschaftlern über den plötzlichen Untergang von Atlantis decken sich auch mit den Sagen der Völker über dieses Ereignis vor mehr als 11.000 Jahren.

Aristoteles, ein Schüler Platons, war nachweislich einer der ersten, die nicht an die Atlantis-Theorie glaubten, obwohl er selbst über eine große, den Karthagern bekannte Insel namens Antilia im Atlantik schrieb. Krantor, ein Nachfolger Platons, berichtet, er habe ebenfalls Papyrusrollen gesehen, auf denen die Geschichte von Atlantis aufgezeichnet worden sei. Plutarch erzählt von einem Kontinent im Ozean namens Saturnia. Marcellinus, ein römischer Historiker, berichtet davon, daß die Gelehrten und Gebildeten von Alexandrien die Vernichtung von Atlantis für eine historische Tatsache hielten.

Nach der Entdeckung Amerikas flammte auch das Interesse an Atlantis wieder auf. Der Jesuitenpater Athanasius Kircher verfaßte ein interessantes Buch mit dem Titel "Untergegangene Welt". Unter anderem entwarf er eine Karte der Insel Atlantis, die sich vollkommen mit der Beschreibung Platons deckte. Kircher brachte die Auseinandersetzung mit Atlantis wieder auf ein Niveau, das den von Platon gesetzten Maßstäben entsprach. Zu den Philosophen, die Platons Atlantis-Bericht rezipierten, gehörte auch Michel de Montaigne. Er interpretierte den platonischen Text in der Weise, daß Atlantis bis zur Zeit der Großen Flut als eine bis in die Nähe von Gibraltar reichende Insel im Atlantik existierte und eine Weltmacht war.

Der Pfarrer Jürgen Spanuth fand nach dem Zweiten Weltkrieg vor der Küste Schleswig-Holsteins Ruinen, die er in mehreren Schriften als Reste von Atlantis ausgab. Spanuth hat sich gewiß viele Verdienste um die Archäologie seiner Heimat erworben, seine Auffassung eines rein nordischen Atlantis steht jedoch auf schwachem Boden.

Inzwischen sind mehr als 25.000 Bücher zum Thema "Atlantis" geschrieben worden, und Martin Freksas Buch bietet hier die wohl umfassendste Übersicht über den aktuellen Wissensstand der ernstzunehmenden Atlantis-Forschung. Es ist gleichzeitig ein Lesebuch und ein Studierbuch. Vor allem aber ist es eine überaus spannende und interessante Reise durch die Weltgeschichte.

 

Martin Freksa: Das verlorene Atlantis. Die Geschichte der Auflösung eines alten Rätsels. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1999, 274 Seiten, 25 Mark


 
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