© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Zeitschriftenkritik: Aletheia
In Verbindung mit dem Sein
Werner Norden

Seit 1992 erscheint Aletheia (Entbergung/Wahrheit/Unverborgenheit) in dem von der Arbeitsgruppe Sozialökologie an der Berliner Humboldt-Universität gegründeten gleichnamigen Verlag. Daneben präsentiert der kleine Verlag verschiedene Editionen: "Von Studenten – Für Studenten", "Renaissance des Denkens", "Hochschulschriften", "Denken 2000", "Geschichte und Kultur" und "Kunst und Literatur".

Das Herzstück ist jedoch Aletheia – Neues Kritisches Journal für Philosophie, Theologie, Geschichte und Politik, zur Zeit als Doppelheft in jeweils einem Jahresband erscheinend. Die Autorenliste ist beachtlich: Augstein, Bahro, Biedenkopf, Gadamer, Galtung, Nolte, Sloterdijk, Agnes Heller, Otto Pöggeler und Roman Herzog, die ausgewählten Themen – Hölderlin und Hegel, Heidegger und Nietzsche, Ökologie, Anthropologie und Humanität, Zukunft, Ende und System der Philosophie, um nur einige zu nennen – nicht minder.

Mit der im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb üblichen Links-Rechts-Dichotomie hat das alles selbstverständlich nichts zu tun, denn Aletheia erhofft sich "von verschiedenen Seiten Beiträge, die zu Entscheidungen für die Menschlichkeit des Menschen beitragen". Wenn die Redaktion also feststellt, daß "die Epoche bloßer Gegenutopien genauso abgelaufen ist wie die Epoche geistlosen Positivismus des Bestehenden", darf man dies ohne weiteres als ontologisches, allgemeinmenschliches Moment werten, das den Menschen in Verbindung treten läßt mit den Tiefen des Seins. Diese Gnoseologie ist jedoch kein System, sondern verfügt über eine innere Logik, durch die man erst zu einer Vorstellung der ganzheitlichen Idee von Denken und Sprache gelangt. Und wenn die Erkenntnis nicht mehr auf die äußere Form gerichtet ist, sondern auf das Wesen der Dinge selber, kann man einen solchen Philosophietyp auch Dialektik nennen.

In Hölderlin etwas anderes zu erkennen als den eigenen Irrtum oder in Heidegger nicht nur den Funktionär der Antirationalität zu sehen, ist in Deutschland heute kaum noch möglich. Aletheia widersetzt sich diesem häßlichen Konformismus, der – 54 Jahre nach Hitler und ohne diesen – das deutsche Geistesleben zu einem der neurotischsten und hysterischsten in der Welt gemacht hat. Dafür verehrten die heimischen Intellektuellen Mao wie einen Gott, der die Klosterstädte der Tibetaner zerstören ließ. Es gibt die Tränen des Eros, aber auch den Eros der Tränen, sich dazwischen zu behaupten, gleicht einer Gratwanderung, deren Ausgang ungewiß ist.

Rudolf Bahros Erinnerung an Platon und den "Homo integralis" ist in diesem Sinne als eine Abrechnung mit der "Multiplikation von Infantilismus, Dummheit und Gewalt" zu verstehen. Die technizistische und praktizistische Rationalität vergewaltige unsere Seelen, als Rückschlag sei die Rache der Seele an der Ratio jedoch noch gefährlicher. Ob eine kulturelle Selbstbesinnung und der Kontakt "zu dem uns zugänglichen Welt- bzw. Naturganzen" uns noch retten kann, ist jedoch nach wie vor eine offene Frage. Aber Aletheia beweist schon im Namen, daß nur die Wahrheit frei macht.

"Aletheia"erscheint jährlich als Doppelheft im Aletheia-Verlag, Reiherweg 2, 14532 Stahnsdorf bei Berlin, Preis 19,80 Mark


 
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