© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Wirtschaftswachstum und Euro-Fall
Frühjahrsgutachten: Deutsche Konjunkturforscher sind verhalten optimistisch
Ronald Gläser

Vergangene Woche haben die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihr gemeinsames Frühjahrsgutachten veröffentlicht. Während Bundesfinanzminister Eichel ein "gutes Zeugnis" für die Regierungsarbeit sah, schlossen sich die Opposition der mäßigen Kritik der Institute an der Steuerpolitik an. Nachdem die Wirtschaft 1999 nur schwach gewachsen ist, wird für die beiden kommenden Jahre ein Wachstum von 2,8 Prozent prognostiziert: "Die konjunkturellen Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind (...) so günstig wie schon lange nicht mehr ." Allerdings hinkt Deutschland trotz der besseren Aussichten nach wie vor einem Großteil der Welt hinterher: Nach der Überwindung der Finanzkrisen der Jahre 1997 und 1998 spiegelt sich das in einem starken Wachstum in den sogenannten Schwellenländern wider.

Viele Volkswirtschaften Lateinamerikas, Osteuropas und Ostasiens wachsen schneller als die deutsche Wirtschaft. In den Ländern der EWU soll das Bruttoinlandsprodukt 2000 immerhin um 3,2 Prozent steigen. Nur die USA könnten leicht zurückfallen und erstmals seit zehn Jahren von der deutschen Wirtschaft hinsichtlich des Wirtschaftswachstums knapp überholt werden. Allerdings: In der Vergangenheit ist die US-Wirtschaft immer zu pessimistisch beurteilt worden. BDI-Präsident Henkel forderte deshalb weitere Strukturreformen und eine Nachbesserung der Steuerreform. Für den Zeitraum 2000 bis 2001 sieht das Frühjahrsgutachten die Schaffung von 450.000 neuen Arbeitsplätzen vor. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit dürfte noch ein wenig besser ausfallen, da mehr Menschen in Deutschland in Rente gehen, als junge Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen. Zum Vergleich: In den USA sind in den vergangenen Jahren durchschnittlich 200.000 neue Jobs monatlich entstanden.

Im Westen Deutschlands soll die Arbeitslosigkeit dadurch auf 6,8 Prozent fallen, was immer noch 2,2 Millionen Arbeitslosen entspricht. Da die Zahl der Arbeitslosen in Mitteldeutschland nur um 44.000 auf 1,3 Millionen sinken soll, fällt die Quote nur geringfügig auf 16,8 Prozent. Frührentner, Umschüler, Kurzarbeiter und andere "verdeckte Arbeitslose" sind hier noch nicht einmal berücksichtigt.

Ihre sanfte Kritik machten die Volkswirte an der Steuerpolitik fest. Das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform auf 2001 wird begrüßt. Die Umsetzung der Steuerreform ist nämlich auf Jahre angelegt. Das ist allerdings nicht unbedingt Ausdruck einer langfristigen Planung. Im Amerika der 80er Jahre ist die Reagan‘sche Steuerreform sogar rückwirkend umgesetzt worden. Ein weiterer Kritikpunkt sind die "steuersystematischen Mängel". Dieser Begriff wurde von CDU-Fraktionschef Merz auch sofort dankbar aufgegriffen. Es geht dabei um die Entlastung der großen Konzerne einerseits und um die kleineren und mittleren Betriebe andererseits. Aktiengesellschaften zum Beispiel zahlen Körperschaftssteuer. Diese wird nun recht drastisch gesenkt. Andererseits werden viele der kleineren und mittleren Unternehmen, die Personengesellschaften, nach der Einkommenssteuer veranlagt. Diese sinkt längst nicht so stark wie die Steuern für die "Globalen Spieler" unter den deutschen Firmen.

Die Ursachen für die gute Prognose liegen vor allem in dem ausgezeichneten Außenwirtschaftsverhältnis. Der deutsche Export wächst im Jahr 2000 um spektakuläre 9,3 Prozent. Der Grund dafür liegt allerdings in dem weniger günstigen Wechselkurs des Euro. Dieser ist seit seiner Einführung noch schneller gefallen als dies von den größten Schwarzmalern erwartet worden war. Unlängst hat die italienische Regierungskrise den Dollar gegenüber dem Euro – und damit auch der D-Mark – auf ein neues Rekordhoch getrieben: Ein US-Dollar notiert derzeit bei über zwei Mark. Dadurch steigt natürlich auch der Wert der in US-Dollar abgewickelten Geschäfte auf dem Weltmarkt. Auch dies zahlt sich für die Großkonzerne besser aus als für die auf den Binnenmarkt fixierten mittelständischen Unternehmen. Im übrigen sieht das Frühjahrsgutachten eine Abflachung des Exportanstiegs im Jahre 2001 auf 6,4 Prozent voraus.

Zum Thema Inflation sind die Experten ebenfalls optimistisch. Der Trend der letzten Jahre, die von marginalen Preissteigerungen geprägt waren, dürfte sich fortsetzen. Gerade mit Blick auf Amerika sprechen Wirtschaftswissenschaftler über dieses Phänomen einer sehr guten, inflationsfreien Konjunktur von der "Neuen Wirtschaftsordnung" oder "new economy". Amerika ist nach wie vor der Sprinter der Weltwirtschaft, selbst wenn es zu einer Abkühlung auf hohem Niveau kommen sollte. Ohne diese Rückschlüsse hinsichtlich der US-Wirtschaft explizit zu formulieren, scheinen auch die Wirtschaftsforscher gewisse Risiken in der nach wie vor anhaltenden Wachstumsphase zu sehen. Das Wirtschaftswachstum der USA basiert auf dem ausgezeichneten Zufriedenheitsindex der Konsumenten. Die Amerikaner haben mit ihren Gewinnen vom Aktienmarkt in den 90er Jahren ihren privaten Konsum zu einem großen Teil finanziert. Nachhaltig ansteigende Aktienkurse sind der Garant für eine brummende Konjunktur. Bleiben die Gewinne eines Tages aus, stagniert auch die Nachfrage. Dadurch kämen die Kurse weiter ins Rutschen. Eine tödliche Spirale würde beginnen. Der zweite gefährliche Aspekt sind eben gerade die niedrigen Inflationsraten. Obwohl die US-Wirtschaft gut läuft, ist von Preissteigerungen nichts zu sehen. Das liegt den Wirtschaftsforschern zufolge daran, daß im Zeitalter der Globalisierung die große Nachfrage der Amerikaner immer mehr durch Importe gedeckt wird. Und in der Tat erreichte das Handelsbilanzdefizit in den USA gerade wieder eine neue Höchstmarke. Die Exportländer werden dementsprechend stark von einem Rückgang dieser großen Einfuhren betroffen. Diese Gefahren lassen sich zwar ausmachen, müssen aber nicht zwangsläufig eintreten. Ende der 80er Jahre sahen Pessimisten die damaligen Defizite im Handel und im Staatshaushalt der Amerikaner als Auslöser einer neuen Wirtschaftskrise. Was dann aber begann, war die längste Wachstumsphase der US-Wirtschaft überhaupt, in deren Fahrwasser auch europäische Volkswirtschaften trotz ihrer Probleme moderat wachsen konnten. Doch auch die "Neue Wirtschaftsordnung" wird wohl alte Erfahrungen nicht außer Kraft setzen können: Dem Wirtschaftsaufschwung wird zwangsläufig eine Rezessionsphase folgen müssen.


 
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