© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Gottesdienstbesuch
Hände in den Hosentaschen
Dieter Stein

Am Ostersonntag war ich wieder in der Kirche. Mit einem katholischen Freund besuchte ich den Gottesdienst im Berliner Dom. Prächtig erstrahlt der wilhelministische Bau, dessen Instandsetzung noch zu DDR-Zeiten begonnen hatte. Von der Kuppel blicken die Reformatoren (Luther, Calvin Zwingli, Melanchthon) auf die zu Ostern zahlreiche Gemeinde hinab. Der Organist Michael Pohl eröffnet den Gottesdienst mit Präludien von Johann Sebastian Bach, kraftvoll singen Gemeinde und Chor (prominentes Mitglied: Regine Hildebrandt) "Christ lag in Todesbanden" und "Auf, auf, mein Herz, mit Freuden".

Der Pfarrer muß der Gemeinde sagen, wann sie aufzustehen und wann sie sich zu setzen hat. Viele Gelegenheitsbesucher kennen die Liturgie nicht mehr. Beim Gang zum Abendmal steht vor mir ein älteres Ehepaar. Der Mann dreht sich mehrmals lässig schlendernd um sich selbst und begutachtet neugierig Kuppel und Säulen. Dabei hat er die Hände gemütlich in den Hosentaschen versenkt.

Ich spreche den Mann an und bitte ihn, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Auf seinen fragenden Blick hin weise ich auf den Altar. Verdutzt zieht er die Hände heraus und hält sie hinter seinen Rücken. Es handelte sich um einen kanadischen Touristen. Ich mußte die Aufforderung auf englisch wiederholen. Ein deutsches Ehepaar, das die Szene mitbekam, musterte mich kopfschüttelnd von oben bis unten.

Ist es gleichgültig, wie wir vor den Altar in einer Kirche treten? Soll man kaugummikauend zum ersten Besuch bei den künftigen Schwiegereltern erscheinen? Ist es angemessen, in die Oper mit Jeans und Turnschuhen zu gehen? Viele wissen nur mehr instinktiv, daß sie sich unpassend verhalten, nicht aber, wie sie dem anderen nun tatsächlich begegnen sollen. Eine Kirche ist dafür nur ein besonderer Ort. Wie unschlüssig und unbeholfen schlurfen Besucher mit schlenkernden Armen durch die großen Museen, zu denen sie ebenfalls an Ostern zu Tausenden in klimatisierten Reisebussen gekarrt werden. Gleichgültig streifen die Augen über die ausgestellten Werke. Die Nachlässigkeit, mit der zivile Wachschützer vor der Berliner "Neuen Wache" als zentralem Ort zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft herumlungern, weckt ähnliche Gefühle wie der Gottesdienstbesucher, der mit Händen in den Hosentaschen vor dem Altar steht.

Ich höre, wie mich jemand darauf hinweist, ich solle erst einmal an den Balken im eigenen Auge denken, bevor ich an anderen herummäkele. Nun gut, ich erinnere mich an eine Szene aus dem Lieblingsfilm meiner Schulzeit, "Blues Brothers". In einer Szene lümmeln Jake und Ellwood Blues in der Nobelkneipe eines Ex-Band-Kollegen und wollen den Freund durch schlechtes Benehmen erpressen, daß er wieder mitspielt. "Das falsche Glas, Sir!" mahnt der Kellner und Jake ignoriert dies mit vollem Mund. Aber: Sie haben Erfolg, der Mann steigt wieder in die Band ein. Die Moral von der Geschichte: Bruch der Etikette ist nur für einen guten Zweck erlaubt oder wenn man im Auftrag des Herrn unterwegs ist.


 
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