© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Sprache ist unser Bewußtsein
Anglizismen erobern den Alltag der Deutschen und verändern die Kultur
Carola Marcella Hoehne

Was zum Teufel ist nur mit den Deutschen los?" fragt sich der berühmte englische Erfolgsautor Frederick Forsyth in einem Exklusiv-Beitrag für diese Zeitung (siehe auch Seite 11). Seit Jahren verfällt ihre nationale Kultur "und jetzt geben sie auch noch ihre Sprache preis!" Wie Forsyth wundern sich viele ausländische Beobachter darüber, daß sich die Deutschen als Kulturnation offenbar aufgeben. Ihre Sprache – nach humanistischer Überzeugung erster und wichtigster Indikator für das kulturelle Selbstverständnis einer Nation – genießt hierzulande nur noch geringes Ansehen und wenig Pflege. Mit freudiger Hingabe wird sie zur Disposition gestellt.

Einzig der 9.000 Mitglieder starke "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache e.V.", Dortmund, gibt Laut. Seit 1997 setzt er sich dafür ein, daß Deutsch als selbständige Kultursprache erhalten bleibt. In der vergangenen Woche nominierte er seine Kandidaten für den "Sprachpanscher 2000". Mit diesem Negativpreis werden seit drei Jahren Personen des öffentlichen Lebens bedacht, die sich "anpasserisch aus der deutschen Sprache verabschiedet haben und – mangels Empfindung für deren Ausdruckskraft und Schönheit – gedankenlos auf Anglizismen stürzen."

Frühere Preisträger waren die Hamburger Modeschöpferin Jil Sander, Te-lekom-Chef Ron Sommer und Ex-Bundesbahn-Chef Johannes Ludewig. An preiswürdigen Kandidaten mangelt es aber auch heuer nicht, zum Beispiel Jürgen Rüttgers, CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagwahl Nordrhein-Westfalen. Mit dem Hinweis "This soap was made today" bestätigt er täglich die Aktualität seiner Internet-Informationen.

Gute Aussichten auf den diesjährigen Sprachpanscher hat auch Jürgen Weber, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG: Er ließ den Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft abmahnen, weil der "im Bodendienst in seiner Muttersprache spricht".

Auch Rolf Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, darf sich Hoffnungen auf die Auszeichnung machen. Zur Fusion mit Bankers Trust gab er den erhellenden Kommentar: "Wenn der eine relationship-orientiert und der andere business-orientiert gewesen wäre, hätte es einen clash of cultures gegeben." – Donnerwetter!

Spitzenkandidat allerdings ist die TUI Touristik Union. Ihr Free-World-Guide (powered by IQ) ist neben dem 1996 geführten Jil-Sander-Interview in der FAZ bisheriger Gipfel der Sprachverhunzung in der Bundesrepubik Deutschland.

Trotzdem ist auch der Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, Andreas Heldrich, nicht chancenlos. Hat der habilitierte Jurist doch zugelassen, daß die Fakultäten und Institute dieser traditionsreichen deutschen Universität demnächst "departments" heißen.

Wie man sieht, kommen die sprachlichen Ärgernisse fast nur aus Männermund. Das begründet der Vorsitzende des Vereins zur Wahrung der deutschen Sprache Walter Krämer damit, daß Frauen auf sprachliches Imponiergehabe offenbar nicht angewiesen sind.

Während die Lufthansa auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT nicht in der Lage war, Gründe für die sprachlichen Sturzflüge ihres Vorstandsvorsitzenden zu nennen, bemühte sich die Deutsche Bank immerhin, ihre Position der JF plausibel zu machen. Demnach sieht sie in der Übernahme von Fremdworten eine stets geübte Praxis, die die Sprache lebendig hält. Sie glaubt sogar, daß man ohne diese Anpassung irgendwann einmal nicht mehr miteinander kommunizieren können wird, weil die Worte fehlen.

An dieser vollmundig gepriesenen Entwicklungshilfe ist allerdings nichts dran. Es geht ja gar nicht um die prinzipielle Abwehr fremder Vokabeln.

Niemand hat etwas einzuwenden gegen die Fachsprache bestimmter Berufe oder Fachausdrücke. Auch früher haben mit neuen Entwicklungen und Erfindungen immer wieder lateinische, italienische, französische und englische Worte Eingang ins Deutsche gefunden, ebenso wie deutsche Worte in viele andere Sprachen.

Verurteilt wird vielmehr, daß Tag für Tag treffende, aussagekräftige deutsche Wörter von nichtssagenden Anglizismen verdrängt werden. Was das der deutschen Sprache bringen soll, bleibt im dunkeln. Unter den kritisierten Anglizismen ist beim besten Willen kein Wort auszumachen, das die Sprache bereichert. Oder ist es etwa ein Gewinn, wenn es outfit heißt statt Kleidung, operator statt Vermittlung und basement statt Erdgeschoß?

Trotzdem stehen den Anglizismen in Deutschland Tür und Tor offen. Keiner hat die Schuld, jeder beugt sich nur dem Zeitgeist. Und so ist es heute schon eine Selbstverständlichkeit, daß alteingesessene deutsche Geschäfte ihre Kunden per Plakat oder Inserat in der lokalen Tageszeitung ungeniert auf Englisch ansprechen.

Neu ist die Anbiederung der Deutschen an andere Sprachen und Kulturen nicht. Der Mangel an sprachlichem und nationalem Selbstbewußtsein steht in engem Zusammenhang mit ihrer Geschichte. Während man im Königreich Frankreich schon im 16. Jahrhundert die lateinische Sprache für den amtlichen Verkehr verbot und damit die französische aufwertete und förderte, akzeptierte man im kleinstaatlichen Deutschland noch Mitte des 19. Jahrhunderts die sprachliche Fremdherrschaft. 1830 mußte Jakob Grimm seine Antrittsvorlesung in Göttingen über das bodenständige Thema "Heimweh" in Latein halten. Deutsch galt als grob und ungeistig.

Aber auch Englisch und Französisch hatten hierzulande immer leichtes Spiel. Der Adel und die ihn später kopierenden Bürger nutzten die fremden Idiome, um Exklusivität herzustellen. Sprache diente nicht vornehmlich der Verständigung, sondern auch der Abgrenzung vom Volk hin. Schließlich betrafen die französischen und lateinischen Einflüsse vergangener Jahrhunderte nur die oberen zwei bis drei Prozent .Und so kam es bekanntlich einer demokratischen Revolution gleich, als der alte Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte.

Und heute wieder will man sich über eine abweichende Sprache definieren und abgrenzen: die Jungen von den Alten, die Weitgereisten von den Unbeweglichen, die Internet-User von den IT-Analphabeten, die vermeintlichen Weltbürger von ihren vermeintlich unbeliebten, schuldbeladenen Landsleuten und die Erfolgreichen von den Losern.

Fragt sich nur, wer hier am Ende der Loser ist. Denn ein vollwertiger Ersatz ist das Englische nicht. Warum sonst hätte die jüdische Dichterin Mascha Kaléko in der amerikanischen Emigration geschrieben: "Gewiß, ich bin sehr happy, aber glücklich bin ich nicht."


 
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