© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
CD: Jazz
Phantasievoll
Michael Wiesberg

Japan ist zum Ort einer besonders aktiven "Blue Note"-Gemeinde geworden, findet sich dort doch nicht nur ein rühriger "Blue Note"-Club, sondern auch mehr oder weniger alle Alben, die zum legendären Blue Note-Katalog gehören. Blue Note, 1939 von Alfred Lion und Francis Wolff gegründet, gehörte zu den ersten Plattengesellschaften, die sich ausschließlich dem Jazz widmeten. Seinen Ruf erwarb sich "Blue Note" zwischen 1955 und 1965, in der Hochzeit des Hardbop also. In Erinnerung an den "Blue Note"-Gründer Lion hat die japanische Firma Toshiba (Vertrieb in Deutschland: EMI-Elektrola/IRS) eine Neuauflage der 200 wichtigsten "Blue Note"-Einspielungen in 24 Bit-Format gestartet.

Den Anfang machen die Musiker Hank Mobley (Tenorsaxophon) und Horace Parlan (Piano), zwei der exponiertesten Künstler der großen "Blue Note"-Ära. Die Karriere des 1931 in Pittsburgh geborenen Horace Parlan begann mit einem großen Handicap: Aufgrund einer Kinderlähmung kann Horace Parlan die rechte Hand nur teilweise einsetzen. Doch er münzte diesen Nachteil zum Vorteil um, indem er seinen blues-, funk- und soulgeladenen individuellen Stil mit dominierender linker Hand entwickelte. Das Quartett-Album "Headin’ South" aus dem Jahre 1960 enthält deutliche Anleihen an Blues- und Gospeltraditonen und ist damit ein besonders expressives Dokument für Parlans Stil, der sich in seiner Eigenwilligkeit keiner Schule zuordnen läßt. Parlan hat für dieses Album den Conga-Trommler Ray Barretto hinzugezogen, der das Trio Parlan, George Tucker (Baß) und Al Harewood (Schlagzeug) hervorragend ergänzt. Höhepunkt von "Headin’ South" ist zweifelsohne Parlans Version des Gershwin-Klassikers "Summertime", das sich durch die exzellente Baß-Arbeit von George Tucker auszeichnet.

Über den im Mai 1986 im Alter von 56 Jahren in Philadelphia verstorbenen Tenorsaxophonisten Hank Mobley bemerkte dessen englischer Kollege Ronnie Scott einmal: "Er ist ein sehr melodischer Spieler mit einem perfekten Geschmack." Kein Wunder, da Hank Mobley, der neben dem Trompeter Lee Morgan, dem Pianisten Horace Silver und dem Schlagzeuger Art Blakey wie kaum ein anderer zu dem legendären "Blue Note"-Ruf beigetragen hat, eine Reihe von Tenorsaxophonisten beeinflußt hat. Drei der vier genannten Musiker sind auf dem Album "Hank Mobley Quintet" neben Art Farmer (Trompete) und Doug Watkins (Baß) zu hören. Mobleys Quintett-Album sollte aus einer Reihe von Gründen die Aufmerksamkeit des Jazz-Freundes finden: einmal aufgrund des phantasievollen Spiels von Art Farmer, der hier einen seiner ersten Karrierehöhepunkte zu verzeichnen hatte. Und natürlich wegen Mobey selber, dessen vergleichsweise lyrisches Spiel diesem Album Glanzpunkte aufsetzt.

In lateinamerikanische Sphären führt das Album "Heart of a Legend" des nahezu 80jährigen Kubaners Chico O’Farrill (Milestone MCD; Vertrieb ZYX-Musik Merenburg). Mit dem Verfasser des Booklets dieses Albums, des Schriftstellers Oscar Hijuelos, muß man sich fragen, wie es O’Farrill in einem Alter, in dem sich andere längst zur Ruhe gesetzt haben, gelingen konnte, ein derart phantasievolles und vor Leben sprühendes Album vorzulegen. Natürlich, O’Farrill hat eine ganze Ansammlung herausragender lateinamerikanischer Musiker, von denen der Tenorsaxophonist Gato Barbieri und der Trompeter Arturo Sandoval nur die bekanntesten sind, um sich gescharrt. Das als Erklärung reicht für die ungebrochene Kreativität O’Farrills nicht aus. Er ist und bleibt ein Phänomen und zieht auf "Heart of a Legand" das ganze Register seines Könnens von afro-kubanischem Jazz bis hin zu Mambo- und Cha Cha Cha-Rhythmen. Herz, was willst du mehr!?


 
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