© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
UMWELT
Gefühlvoll statt grausam
Volker Kempf

René Descartes‘ Todestag jährte sich kürzlich zum 350. Mal. Wenn die Kalenderjournalisten Descartes Todestag vergessen haben, so nicht, weil er sich aus dem Geistesleben verabschiedet hätte, sondern genau umgekehrt, weil er längst Gemeingut geworden ist, ohne daß sich jemand noch eigens an den Urheber erinnern würde – das sind die erfolgreichsten Denker.

Descartes hat sich mit der Ausgrenzung der Emotionen in Philosophie und Wissenschaften durchgesetzt. Seine Rationalität ohne Gefühl bestraft die Tiere mit dem Verlust von Leben und Empfindung und stellte sie auf eine Ebene mit Maschinen. Der praktische Erfolg von Descartes‘ Lebensanschauung reicht heute von der legalen Degradierung der Hühner zu Legemaschinen bis hin zu den Versuchsaffen, die zu wissenschaftlichen, nicht einmal unbedingt zu medizinischen Zwecken malträtiert werden.

Diese Herzlosigkeit monierte 1648 Descartes‘ Zeitgenosse, der Brite Henry More, in einem Brief: "Im übrigen ist meinem sanften Gemüt keine Ihrer Ansichten so zuwider wie der Tod und Verderben stiftende Satz, den Sie in ihrem ’Discours de la méthode’ aufgestellt haben –Tiere besitzen keine Seele, womit Sie allen Tieren Leben und Empfindung von vornherein absprechen. Hier schaue ich nicht so sehr bewundernd auf zu der glänzenden Schärfe Ihres Geistes, sondern schrecke vielmehr davor zurück, in Sorge um das Schicksal der Tiere."

More hat durchschaut, daß Descartes mit seinem "Ich denke, also bin ich" den Tieren eine Seele abspricht, um den Menschen zum Ausnahmegeschöpf zu machen. Dem stellte der deutsche Johann Gottfried Herder später sein "Ich fühle mich! Ich bin!" entgegen. Gefühlvolle und frohe Ostern!


 
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