© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Rot-Grün ohne tragfähiges Umweltkonzept
Umweltgutachten 2000: Unabhängiger Sachverständigenrat kritisiert die Bundesregierung
Volker Kempf

Vor 25 Jahren legte der CDU-Politiker Herbert Gruhl unter dem Titel "Ein Planet wird geplündert" eine ökologische "Schreckensbilanz" vor. Seit 1994 schreibt der "Rat von Sachverständigen für Umweltfragen" die Schreckensbilanz fort. Augenfällige Umweltschäden konnten durch den Bau von Kläranlagen zwar deutlich gemindert werden – nur in Sachsen und Sachsen-Anhalt sei noch Nachholbedarf, so die Umweltsachverständigen in ihrem am 10. März an den grünen Minister Jürgen Trittin überreichten "Umweltgutachten 2000". Die schleichende Umweltzerstörung hat sich unterdessen weiter breitgemacht. Ein tragfähiges Konzept hat die rot-grüne Bundesregierung dagegen nicht vorzuweisen. Vielmehr "wurden durch die besondere Schwerpunktsetzung [der Bundesregierung] auf die Themen Beendigung der Nutzung der Atomenergie und Ökologische Steuerreform andere wichtige Umweltthemen in den Hintergrund gedrängt", heißt es wörtlich im Vorwort des Gutachtens. Deutschland sei bei der Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie international ein Nachzügler. Für eine Regierung unter Beteiligung einer sich grün nennenden Partei wahrlich ein schlechtes Zeugnis.

Der Maßstab, den das Gutachtergremium an die Regierungsarbeit anlegt, ist der der "nachhaltigen Entwicklung". Hiernach muß, wie es die "Agenda 21" der UN-Konferenz von 1992 in Rio de Janeiro vorsieht, das Recht auf Entwicklung (Wirtschaftswachstum) derart verwirklicht werden, daß Bedürfnisse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen auf Entwicklung und Umwelt gerecht erfüllt werden können. Insofern ist der Maßstab im Vergleich zu Gruhls Wachstumskritik pragmatischer angelegt. Denn nicht das unökologische Wirtschaftswachstum wird in Frage gestellt, sondern nur dessen grüne Ausgestaltung angemahnt – Reinhard Falter hat diesen Umstand in seinem Forum-Beitrag "Der ökologische Partisan" in der JUNGEN FREIHEIT vom 24. März ausführlich.

Obwohl das Konzept der nachhaltigen Entwicklung nicht gerade radikalökologisch ist, steht deren "Ausgestaltung und insbesondere deren Umsetzung immer noch mehr auf dem Papier, als daß wirklich etwas geschieht", so die Sachverständigen.

Der Ausstieg aus der Atomenergie , wird von den Gutachtern als umweltpolitisch sinnvoll angesehen, wenngleich Differenzen über den besten Weg bestehen. Verhalten fällt die Einschätzung der ökologischen Wirkung der ökologischen Steuerreform aus, wenngleich deren Einführung an sich begrüßt wird. Effektiver seien Kohlendioxid-Steuern. Wie das schon unter Helmut Kohl angestrebte Klimaziel, 25 Prozent weniger Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) gegenüber 1990 bis zum Jahr 2020 erreicht werden soll, bleibt den Gutachtern angesichts vager Formulierungen und fehlender Quantifizierungen sowie ausbleibender Umsetzungsfristen ein Rätsel. Wird die Absicht der Bundesregierung begrüßt, alternative Energien zu fördern, so erscheint dem Gutachtergremium dazu das 100.000-Dächer-Programm zur Erzeugung von Solarstrom ungeeignet. Kein erwähnenswerter Effekt zum Klimaschutz sei zu erwarten, dafür viel Geld vergeudet worden. Allenfalls Arbeitsplätze habe man auf diese Weise finanziert. Da Arbeitsplätze für sich betrieben aber zum Wirtschaftswachstum beitragen, weil Urlaubsreisen, Autoanschaffung usw. vermehrt finanziert werden können, bleibt der Effekt umweltvernichtend. Die Förderprogramme zur Nutzung der Photovoltaik tragen also nicht wie gewünscht zu einem "ökologischen Wirtschaftswunder" (Franz Alt) bei. Gut inverstiert sei Geld hingegen in die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Die Liberalisierung des Strommarktes wird begrüßt, da sie die notwendige Voraussetzung zu mehr Wettbewerb und damit zu einer effizienteren Stromproduktion sei.

Ein besonderer Dorn im Auge ist den Umweltgutachtern die schleichende Umweltvernichtung durch Flächenversiegelung. Begrüßt wird zwar, daß die Bundesregierung den gegenwärtigen Stand von 120 Hektar Flächenversiegelung pro Tag auf 30 Hektar pro Tag drücken wolle. Doch seien keine Umsetzungsstrategien zu erkennen. Ferner seien 30 Hektar Flächenversiegelung pro Tag eindeutig noch zu viel.

Ein schwerwiegendes und völlig unnötiges Hindernis bei der Umsetzung umweltpolitischer Vorhaben in den unterschiedlichsten Bereichen sei die mangelnde Abstimmung der einzelnen Ministerien und Behörden untereinander. Ein Ministerium oder eine Behörde solle die Koordinierung zur Umsetzung umweltpolitischer Ziele übernehmen.

Man darf gespannt sein, wie lernfähig sich die Bundesregierung allgemein und das Umweltministerium im besonderen zeigen wird. Grund zur Häme haben die alten Regierungsparteien CDU/CSU und FDP nicht. Zu häufig beginnen in dem Umweltgutachten Sätze mit der Feststellung, daß dieser oder jener Ratschlag der Umweltsachverständigen einmal mehr nicht beherzigt wurde. Wenn die Unionsparteien sich aber nun umweltpolitisch profilieren wollen, bleibt das ihnen unbenommen. Einer der schwerwiegendsten strategischen Fehler der Unionsparteien war nach Aussage des Philosophen Günter Rohrmoser ohnehin, die Bewahrung der Natur den politisch links stehenden Parteien überlassen zu haben.

 

Volker Kempf ist Soziologe und arbeitet derzeit an einer Dissertation über Herbert Gruhl


 
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