© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
PRO&CONTRA
Trennung von Staat und Kirche?
Klaus Rösler/ Pater Lothar Groppe SJ

Die strikte Trennung von Kirche und Staat ist der biblischere Weg. Davon sind alle Freikirchen in Deutschland überzeugt. Sie wollen die Gemeinde Jesu Christi nach dem Vorbild des Neuen Testaments leben. Die ersten Gemeinden setzten ganz auf Freiwilligkeit. Eine praktische Konsequenz heute: Die Freikirchen verzichten auf die Erhebung von Kirchensteuern, obwohl sie rechtlich dazu in der Lage wären. Statt dessen betonen sie die Freiwilligkeit, auch in der Mitgliedschaft. Was man liebt und wovon man überzeugt ist, das kommt zuerst. Das hat Auswirkungen bis hinein ins Portemonnaie. In unserem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden spenden die Mitglieder im Jahr im Westen etwa 1.800 Mark, im Osten 1.500 Mark. Bezogen auf das Familieneinkommen entspricht dies in vielen Fällen dem "biblischen Zehnten". Wo wir allerdings Leistungen für die Allgemeinheit erbringen, greift das Subsidaritätsprinzip. Diese Leistungen werden vom Staat ersetzt.

Mit der Nähe von Kirche und Staat hat unser Bund keine guten Erfahrungen gemacht. Am Anfangszeit der dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden unsere Mitglieder von Kirche und Staat verfolgt, nicht selten inhaftiert. Inzwischen gibt es Religionsfreiheit. Doch auch in Deutschland besteht sie mitunter nur auf den Papier. Wie anders ist es zu erklären, daß Baptistinnen und Baptisten nicht in allen Bundesländern Religionsunterricht erteilen dürfen? Eine bedrohliche Entwicklung zeichnet sich auch im früheren Ostblock ab. Staat und orthodoxe Kirchen arbeiten eng zusammen – mit fatalen Konsequenzen für die Religionsfreiheit. Baptisten und andere protestantische Gruppierungen werden vielerorts diskriminiert: Sie dürfen keine Gemeindehäuser bauen, erhalten Versammlungsverbot, werden oft geschlagen oder sogar inhaftiert. Änderungen dieser mißlichen Lage kann nur eine echte Religionsfreiheit bringen. Die Trennung von Kirche und Staat ist dazu der erste wichtige Schritt.

 

Klaus Rösler ist Sprecher des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland.

 

 

Papst Leo XIII. (1878 – 1903) bestimmte das grundsätzliche Verhältnis von Kirche und Staat dahingehend, daß beide ihrem Wesen nach souverän und selbständig sind. Die Kirche soll die Menschen befähigen, ihr ewiges Ziel zu erreichen. Der Staat soll seinen Bürgern ermöglichen, ihre natürlichen Kräfte zur persönlichen Vervollkommnung wie zum Dienst an der Gemeinschaft zu entfalten.

Bei Wahrung ihrer Souveränität sollen sich Kirche und Staat dort zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden, wo es sinnvoll ist und den Menschen dient. Gibt es verschiedene Religionsgemeinschaften, muß sich der Staat neutral verhalten. In einem "Land der tausend Sekten" wie den USA, ist wohl nur eine friedliche Trennung von Kirche und Staat möglich. Aus katholischer Sicht ist dies aber nicht ideal, da Kirche und Staat einander zum Wohl der Menschen unterstützen können und sollen. Ganz konkret erfahren unsere Soldaten, besonders bei Auslandseinsätzen, wie Kirche und Staat segensreich zusammenwirken können. Kirche wie Staat sind durch die ihnen eigenen Ziele bestimmt und gehorchen ihren eigenen Regeln. Grund, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Bemühungen ist jedoch der Mensch. Wenn Staat und Kirche zusammenwirken, gründet dies auf der natürlichen Neigung der Menschen, sich zusammenzuschließen, um Ziele zu erreichen, welche die Kräfte des Einzelnen übersteigen.

Die Präambel unseres Grundgesetzes betont die Verantwortung vor Gott und den Menschen. Diese Verantwortung insbesondere den Entscheidungsträgern in Kirche, Staat und Gesellschaft immer wieder bewußt zu machen, ist ganz wesentlicher Beitrag der Kirche in ihrem Verhältnis zum Staat. So vermag sie den sittlichen Wertvorstellungen von allgemeiner Gültigkeit Gehör zu verschaffen und ermöglicht ein geordnetes und menschenwürdiges Miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft.

 

Pater Lothar Groppe SJ war Militärpfarrer sowie zeitweise Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.


 
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