© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Max Weber
Deutungen zum Werk eines Gründervaters der Soziologie
Michael Wiesberg

Friedrich Tenbruck (1919–1993), ein Soziologe, der seiner Disziplin kritisch gegenüberstand, hat sich bleibende Verdienste um die Erforschung des Werkes von Max Weber erworben. Die wichtigsten Beiträge dazu sind nun in einem Sammelband vereinigt. Webers Werk, dies ist die Quersumme aus Tenbrucks Deutungen, bildet eine Schnittstelle in der Genese des heutigen Wissenschaftsbegriffes der Sozialwissenschaften. Grob gesagt gingen die Sozialwissenschaften im 19. Jahrhundert von der Unterscheidbarkeit von Sein- und Sollensaussagen aus. Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte man, diese Unterscheidung theoretisch zu untermauern. Von Anfang an jedoch war die Begründung werturteilsfreier Wissenschaft heftig umstritten. Weber unterscheidet Werturteile und Sachaussagen und spricht sich für eine Objektivität im Sinne der Werturteilsfreiheit aus. Als eine Wurzel seines Denkens bezeichnet Tenbruck die Bekämpfung des Naturalismus. Weber lehnt die Vorstellung ab, daß Wirklichkeit deduzierbar und damit vorhersehbar sei. Strittig war dabei die Möglichkeit objektivierbarer Werturteile über das Sein. Weber sprach sich gegen Urteile über das Sein aus, da aus dem, was sei, nicht abgeleitet werden könne, was sein soll.

Weber definiert die Soziologie als Wissenschaft, die soziales Handeln deutend verstehen will. Entscheidend ist für ihn, daß der Gegenstand des Verstehens nicht ein richtiger oder metaphysisch "wahrer" Sinn, sondern der vom Handelnden subjektiv gemeinte Sinn sei. Von hier aus entwickelt er seine vier Typen des Handelns (zweckrational, wertrational, traditional, affektuell), die Typen legitimer Ordnung, die Formen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung, die Begriffe Macht und Herrschaft. Sie eröffnen ihm die Entfaltung seines wissenschaftlichen Hauptanliegens, das in der Aussage gipfelt, moderne Gesellschaften seien das Ergebnis durchgreifender Rationalisierungsprozesse. Wer die Genesis dieses bis heute maßgebenden Denkgebäudes verstehen will, dem bieten die Gedanken Tenbrucks eine ideale Einführung. Michael Wiesberg

 

Harald Homann (Hg.): Friedrich Tenbruck, Das Werk Max Webers. Gesammelte Aufsätze. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1999, 259 Seiten, 128 Mark


 
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