© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
"Bereitsein ist alles"
General Ulrich K. Wegener über Entstehung, Erfolge und Zukunft der Antiterror-Truppe GSG 9
Moritz Schwarz

Herr General Wegener, nach dem katastrophalen Ausgang der Entführung israelischer Olympia-Athleten 1972 in München kam es zur Aufstellung der Antiterroreinheit "Grenzschutzgruppe (GSG) 9". In München starben alle Sportler und die beiden Helikopter-Piloten des Bundesgrenzschutz. Was lief falsch damals?

Wegener: Das fing an mit den mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen auf rund des Konzepts der Spiele, als die fröhlichen Spiele von München. Der Einsatz der Polizei fiel in die Verantwortung des Freistaates Bayern.

Hat sich die Landespolizei nicht äußerst dilettantisch verhalten?

Wegener: Ja sicher, allerdings darf man der bayerischen Polizei nicht zuviele Vorwürfe machen, denn in der Bundesrepublik Deutschland hatte man ja kaum Erfahrung mit der Terrorismusbekämpfung.

Aber haben die Herrn der bayerischen Polizei damals nicht aus Truppenstolz heraus gesagt, "Das erledigen wir selbst", wozu sie vorhersehbar gar nicht in der Lage waren?

Wegener: Sie haben es halt versucht.

Haben die Bayern leichtfertig den Tod der israelischen Sportler und der deutschen Piloten verschuldet?

Wegener: Die Bundesregierung stimmte ja aus Gründen der Souveränität dem Einsatz einer israelischen Kommandoeinheit, der angeboten wurde, auch nicht zu.

Also der gleiche Fehler auch auf höherer Ebene. Das war keine Lösung im Sinne der Betroffenen?

Wegener: Natürlich sind wir heute schlauer. Ich habe den Einsatz miterlebt, er war taktisch nicht sonderlich professionell.

Also mußten Profis her: Die Anti-Terror-Truppe GSG 9 wurde aufgestellt?

Wegener: Ich war inzwischen Verbindungsoffizier bei Innenminister Hans-Dietrich Genscher. Genscher kannte mich genau, und ich habe mit ihm die schrecklichen Stunden von München mitgemacht. Das war wie ein Trauma. Während München noch lief, tagte das Kabinett. Ich wartete vor der Tür.Wir alle haben uns damals gesagt, so etwas darf uns nicht noch einmal passieren. Drinnen beschloß man die Aufstellung einer Spezialeinheit. Genscher kam heraus und teilte mir den Beschluß mit, ich sagte zu ihm: "Herr Minister, Sie werden mich dadurch zwar los, aber das ist eine Aufgabe für mich."

Aber Sie hatten doch auch keine Erfahrung?

Wegener: Nicht nur das, es konnte mir ja auch kein Mensch sagen, wo es langgeht. Aber die Aufgabe hat mich fasziniert, und ich habe mich intensiv eingearbeitet. Ich bin in Archive gegangen und habe mich umgeschaut. Vor allem aber habe ich die Israelis studiert. Die Israelis hatten die meiste Erfahrung, und diese Erfahrungen habe ich genutzt.

Also hatten die israelischen Spezialeinheiten den größten Einfluß auf die GSG 9?

Wegener: Ohne Zweifel! Natürlich nicht in jeder Beziehung. Die Führungsgrundsätze waren traditionell deutsch, aber taktisch haben wir einiges übernommen. Dazu war ich auch in Israel vor Ort und habe mir alles angesehen.

Gab es nicht auch deutsche taktische Ttraditionen?

Wegener: Was glauben Sie, wo die Israelis das her hatten! Die sagten mir in Israel selbst, wir bräuchten uns doch nur auf unsere eigenen Tradition besinnen. Vieles war typisch deutsche Vorgehensweise.

Die Israelis hatten also vieles von der Wehrmacht?

Wegener: Ja, sicher.

Haben Sie denn in bezug auf Taktik auch deutsche Quellen genutzt?

Wegener: Natürlich habe ich die Archive auch in Hinsicht auf die Division "Brandenburg" der Wehrmacht durchgearbeitet. Aber das konnte man alles nicht so übernehmen. Neben der völlig anderen Situation war die GSG 9 ein Spezialverband des BGS und nicht der Bundeswehr.

Wieso hat man sich überhaupt für den Grenzschutz entschieden?

Wegener: Ja, man hätte die Truppe natürlich auch bei der Bundeswehr ansiedeln können. Aber dem standen Verfassungsbedenken entgegen, der Einsatz der Streitkräfte im Inneren ist ja nicht vorgesehen.

Die Länder haben die Polizeihoheit. Heute verfügt jedes Land über sogennannte Spezialeinsatzkommandos (SEK) Wieso also nicht dort?

Wegener: Die SEKs haben nicht die Bandbreite der Ausbildung und der taktischen Möglichkeiten wie die GSG 9.

Wollte die Bundesregierung dieses Instrument in Ihre Hand bringen?

Wegener: Natürlich war die Bundesregierung daran interessiert, selbst über eine Möglichkeit zu verfügen, um gegebenenfalls eingreifen zu können.

War da auch schon geplant, eventuell im Ausland zu operieren?

Wegener: Nein, an so etwas hat damals mit Sicherheit niemand gedacht.

Wie kam der Name "GSG 9" zustande?

Wegener: Der Grenzschutz war damals in acht Gruppen gegliedert. Wobei die Gruppe etwa dem Regiment entsprach. Und da habe ich vorgeschlagen, nehmen wir doch einfach eine neunte dazu. Das ist unauffällig.

Wann konnten Sie Einsatzbereitschaft melden?

Wegener: Wir haben ein Jahr intensive Ausbildung gebraucht. Natürlich gab es immer wieder Anfragen von seiten der Bundesregierung, vor allem von Minister Genscher, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Er sagte: "Jetzt müßt ihr aber doch mal was zeigen?" Ich sagte ihm, er wolle doch bestimmt nicht wieder eine Katastrophe erleben und ich melde ihm das erst, wenn ich der Überzeugung wäre, daß wir tatsächlich mit den Anforderungen, die auf uns zukommen würden, fertigwerden könnten.

Wie wurden die Männer rekrutiert?

Wegener: Im Bundesgrenzschutz gab es eine Werbekampagne. Doch auch aus der Polizei kamen Männer. Später auch aus der Bundeswehr. Alle waren sie Freiwillige. Natürlich war die Personalauswahl damals noch sehr handgestrickt, wir wußten zwar ungefähr, worauf es ankam: Klar war schon damals, daß diese Männer nicht nur bezüglich ihrer körperlichen Fähigkeiten überlegen sein mußten, sondern auch was Intellekt und Charakter anging. Als wir aber einige Kandidaten wieder rausschmeißen mußten, weil sie mehr der Abenteurertyp waren, entwickelten wir zusammen mit einem Institut ein psychologisches Auswahlverfahren.

Vermittelten Sie den Gegner als militärischen Feind, als Fanatiker, als Kriminellen?

Wegener: Nein. Für uns war der Terrorist ein Gesetzesbrecher. Wir zielten deshalb auch nicht darauf ab, ihn zu vernichten. Grundlage und Ziel unseres Handelns war die Rettung von Leben, nämlich von Geiseln, und die Festnahme der Gesetzesbrecher.

Wie war die Befehlskompetenz im Einsatz geplant?

Wegener: Es war klar, daß die Politiker sich nicht mehr in die Durchführung einmischen würden, nachdem die politische Entscheidung über den Einsatz gefallen war. Damit nicht Katastrophen passieren, wie etwa später den Amerikanern im Iran, wo sich die Politik einmischte.

Hätte sich die Politik eingemischt, hätten Sie den Einsatz dennoch kommandiert?

Wegener: Natürlich nicht. Ich hatte doch Verantwortung für meine Männer.

Als Sie dann damals die entführte "Landshut" in Mogadischu auf der Wüstenpiste stehen sahen, da sagten Sie zu Hans Jürgen Wischnewski: "Das ist zu machen!" Woher nahmen Sie diese Sicherheit?

Wegener: Wir hatten das Hunderte von Malen geübt und wußten genau, wie man das macht. Jeder war präzise vorbereitet. Wir hätten auch schon in Dubai zuschlagen können. Unsere Kommandomaschine stand in Ankara jederzeit zum Abflug bereit.

Aber es hätte auch ins Auge gehen können?

Wegener: Natürlich. Wir wußten, die Terroristen hatten Sprengstoff. Das kalkulierten wir ein und stellten uns auch darauf ein, daß eventuell etwas passieren würde. Was glücklicherweise nicht eintrat.

Ein paar Sekunden Verzögerung hätte den Entführern Gelegenheit gegeben zu sprengen?

Wegener: Ja, aber die Zeit haben wir ihnen nicht gelassen.

Wie konnten Sie das von außen richtig einschätzen?

Wegener: Verstehen Sie bitte, wenn ich Ihnen keine taktischen Details nennen kann, denn diese werden heute immer noch angewandt. Aber worauf es ankommt ist: Präzision! Nur dann läuft alles so ab, daß Sie zum Erfolg kommen. Die heiße Phase des Sturms, also das Eindringen darf nicht länger als sieben bis acht Sekunden dauern. Und genau so haben wir es dann gemacht.

Hatten Sie je Zweifel?

Wegener: Nein, nicht am Erfolg. Aber daß es keine Verluste geben würde, dafür konnte ich nicht garantieren, sowohl unter den Geiseln wie auch unter meinen Männern. Das habe ich vorher auch zu Hans Jürgen Wischnewski, dem Vertreter der Bundesregierung vor Ort, gesagt. Wir rechneten alle damit, daß es eventuell Opfer geben würde.

Sie waren beim Sturm mit in der Maschine. Hätten Sie nicht vom Zuggefechtsstand aus per Funk Ihre Gruppenführer leiten müssen?

Wegener: Nein, eine Spezialeinheit führen Sie von vorne. Das geht nach dem Prinzip "Mir nach!" Das Vorbild des führenden Offiziers ist hier ganz wichtig. Die Führung von einer entfernten Befehlsstelle aus ist in solchen Lagen nicht machbar.

Wie haben Sie den Einsatz erlebt?

Wegener:Ich bin mit einem der Sturmtrupps in die "Landshut" eingedrungen. Die Entführer waren sofort zu identifizieren, weil sie auf uns schossen. Nach einem kurzen Feuergefecht war die Maschine in unserer Hand.

Gab es nicht einen ersten Moment der Verwirrung bei Ihnen?

Wegener: Nein.

Hat die Analyse des Einsatzes hinterher gravierende Fehler ergeben?

Wegener: Bei der Ausrüstung ja. Zum Beispiel sind Funkgeräte ausgefallen, weil sich durch das Klima in Somalia darin Kondenswasser bildete.

Gab es taktische Fehler?

Wegener: Nein, keine. Ich bin heute noch stolz, daß jeder meiner Kameraden so funktioniert hat, wie es seine Aufgabe vorsah.

Zurück in Deutschland haben Sie das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Wegener: Ich sollte es bekommen, habe aber darum gebeten, daß das ganze Kommando so geehrt wird. Schließlich wurde mir das große Bundesverdienstkreuz verliehen, den Einheits- und Truppführern das Erster Klasse und den Mannschaften das Zweiter Klasse.

Nicht nur die GSG 9 war Folge von München, sondern auch die SEKs der Länder. Ist damit nicht bei Einsätzen im Inneren der verhängnisvolle Streit von München, Land oder Bund, schon wieder vorprogrammiert?

Wegener: Nein. Es gibt keine Konkurrenz zwischen den Einheiten, statt dessen inzwischen sogar eine gute Zusammenarbeit. Und für den Ernstfall ist bereits festgelegt, wann die SEKs zum Einsatz kommen und wann die GSG 9.

Die GSG 9 wird inzwischen gegen die organisierte Kriminalität eingesetzt. Wie sieht die Zukunft aus?

Wegener: Ja, dadurch ist sie inzwischen sehr stark einsatzbelastet. Im letzeten Jahr waren es etwa sechzig Einsätze.

Davon kriegt der Normalbürger nichts mit.

Wegener: Nein, das ist ja auch gar nicht notwendig. Ich habe immer gesagt, diese ganze Publizität nach Mogadischu war gar nicht so gut und auch nicht in meinem Sinne.

Nachdem belgische Kommandos in Afrika deutsche Journalisten gerettet haben, hat die Bundeswehr jüngst ihr "Kommando Spezialkräfte" (KSK) aufgestellt. Ist das eventuell eine Konkurenz für Sie?

Wegener: Nein, für die GSG 9 bestimmt nicht. Die GSG hat dem KSK ja anfangs auch Aufbauhilfe geleistet. Ich sehe hier eher eine Ergänzung. Schließlich ist das KSK ein rein militärischer Verband. Die GSG 9 ist eine Spezialeinheit gegen kriminelle Gesetzesbrecher, das KSK ist ein Kommando gegen einen militärischen Feind.

Aber befürchten Sie nicht, daß eines Tages der eine den anderen schluckt?

Wegener: Das glaube ich nicht. Ich glaube sogar, daß die GSG 9 weiter ausgebaut wird. Was durchaus sinnvoll wäre.

Der BGS war anfangs ein stark militärische geprägterVerband. Wie hat er sich verändert und wie sehen Sie die Zukunft?

Wegener: Ja, der Grenzschutz war anfangs eine echte Polizeitruppe und in Ausrüstung, Bewaffnung und Organisation sehr militärisch geprägt. Damals lag ja die Bedrohung der Grenze auch noch in einem feindlichen Staatenbund, mit schweren Waffen. Heute ist die Grenze nicht mehr durch Feinde, sondern durch Grenzverletzer bedroht, etwa Schleuser. Dadurch haben sich die Anforderungen zum Schutz der Grenze und damit auch der BGS grundlegend gewandelt. Dazu kam die Unterstützung der Länder bei der Kriminalitätsbekämpfung und des Zolls bei der Drogenbekämpfung. Inzwischen wurde auch Bahn- und Flughafenpolizei in den BGS überführt. Geschlossene Verbände wurden aufgelöst und polizeilicher organisiert. Diese Umstrukturierung ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Aber der Grenzschutz ist nicht schwächer geworden, im Gegenteil ist er stärker geworden.

Sehen Sie neue Formen des Terrorismus auf uns zukommen?

Wegener: Wenn ich an den Islamismus denke und nach Frankreich schaue, ja. Den "Kalifen von Köln" hat zum Beispiel die GSG 9 festgenommen.

Aber wiegt man sich da nicht in falscher Sicherheit, zu glauben, man könnte so etwas mit Sicherheitskräften lösen?

Wegener: Völlig richtig.

Was halten Sie von dem Vorschlag aus der CDU, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen?

Wegener: Davon halte ich gar nichts, und ich bin überzeugt, davon hält die Bundeswehr auch nichts.

Also Soldaten sollen Soldaten bleiben. Sie sehen Ernst Jünger als Ihr Vorbild?

Wegener: In der Tat ist er ein Vorbild für mich, denn Jünger hat als junger Offizier wohl die schwersten Erfahrungen seines Lebens gemacht. Sowohl in der Führung seiner Kameraden wie auch als Mensch. Das hat mich immer fasziniert.

Sie meinen Jünger den Soldaten?

Wegener: Ja. Es ist das Prinzip der Pflichterfüllung, der Führung und der Bewährung.

Und Jünger der Literat?

Wegener: Auch seine Sprache hat mich beeindruckt. Als Autor gefällt er mir, als Soldat ist mir Vorbild.

Nach Mogadischu ist eine Ruhmeswelle über Sie hinweggeschwappt. Sie waren nicht nur in Deutschland der Held der Stunde, auch im Ausland waren Sie mit einem Schlag hochgeachtet.

Wegener: Ja, wir haben dann auch etwas daraus gemacht: Wir haben viele ausländische Spezialeinheiten mitausgebildet und mitaufgestellt. Wir leisteten Hilfestellung, wo es ging, und so haben wir heute noch hervorragende Verbindungen zu vielen Einheiten im Ausland.

Hatten Sie nie die Angst, daß dieser Ruhm eines Tages zu groß werden könnte, um ihm beim nächsten Einsatz noch entsprechen zu können?

Wegener: Ja, sicher. Deshalb hat sich die GSG 9 auch nie, auch nach Mogadischu nicht, eine Pause gegönnt. Das Ziel war immer, in technischer wie in taktischer Hinsicht up-to-date zu bleiben. Bereitsein ist alles.

 

General a. D. Ulrich K. Wegener, 1929 in Jüterbog in christlich-konservativer Offiziersfamilie geboren, floh er 1952 in den Westen, nachdem er für sein Eintreten für Demokratie und die deutsche Einheit knapp zwei Jahre in Stasi-Haft saß. Er trat dem Bundesgrenzschutz bei. Der Ernst-Jünger-Verehrer Wegener kommandierte den Sturm auf die1977 entführte "Landshut" und erhielt dafür das große Bundesverdienstkreuz.

 

weitere Interview-Partner der JF
 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen