© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Nur noch Tauben am Trafalgar Square
Ein Gespräch mit dem Verhaltensforscher und Bestsellerautor Desmond Morris über die Ursachen des Sterbens der Wildtiere
Moritz Schwarz/ Volker Kempf

Herr Morris, das Artensterben geht rasanter vor sich als zur Zeit des großen Sauriersterbens. Was heißt das Ihrer Einschätzung nach?

Morris: Das bedeutet für uns, die menschliche Bevölkerungsentwicklung genau zu beachten, denn obwohl wir dies und das tun, um zu verhindern, daß Arten aussterben, ist das Hauptproblem schlicht die Verdrängung der Tiere durch den Menschen. Selbst wenn es uns gelingt, bedrohte Arten zu retten, wohin sollen diese letzlich ausweichen, wenn wir ihren Lebensraum besetzen? Nehmen Sie nur Afrika als Beispiel, dort verdoppelt sich die menschliche Bevölkerung innerhalb von zwanzig Jahren! Schließlich wird es Wildtiere nur noch in Nationalparks geben, und diese schrumpfen dann auch noch Jahr für Jahr. Was in Afrika gar langfristig droht, ist, daß sich Nationalparks in Großzoos verwandeln.

Also entweder Mensch oder Tier?

Morris: Natürlich sollen sich die Menschen fortpflanzen. Nur gilt es Umfang und Geschwindigkeit zu bedenken. Haben wir eine hohe Fortpflanzungsrate, sinkt im übrigen ja auch der mögliche Lebensstandard für das einzelene Individuum. Wir vertreten aber die Auffassung, der Mensch habe ein Recht, seinem Leben eine gewisse Qualität zu verleihen. Biologisch gesehen, führten die Menschen prähistorischer Zeiten ein wesentlich qualitätvolleres Leben als die Leute heute in Afrika, denn sie hatten enormen Raum zur Verfügung. Viele Mensche Afrikas leben in Armut und überfüllten Slums heute schlechter als ihre steinzeitlichen Vorfahren. Wenn zwei Menschen zwei Kinder haben, ersetzen sie sich selbst. Haben sie aber, wie in Afrika, im Schnitt acht Kinder, so vervierfachen sie sich innerhalb einer Generation. Da nicht alle Nachkommen einer Population überleben, müßte man einen Schnitt von drei Kindern etwa für Afrika anpeilen, um eine stabile Bevölkerungszahl zu erreichen. Acht Kinder aber bedeutet nicht nur, daß diese in Überbevölkerung leben müssen, sondern langfristig auch die Auslöschung anderer Arten. Alle größeren Formen von Wildtieren werden dann früher oder später vom Antlitz unseres Planeten weitgehend verschwinden. Das Problem ist, daß die Leute, die sich um die Bewahrung des Wildlebens gekümmert haben, sich nicht trauten, auch von einer Eindämmung der Menschen zu sprechen. Als ich diese Forderung in den sechziger Jahren in meinem Buch "Der nackte Affe" das erste Mal aufstellte, war ich ja fast allein mit dieser Meinung. Dabei hatten wir damals nur drei Milliarden Menschen Weltbevölkerung. Inzwischen sind es sechs Milliarden. In Europa ist die Rate ja akzeptabel, denn hier verdoppelt sich die Bevölkerungszahl lediglich in einem Zeitraum von etwa fünfhundert Jahren. Aber dort, wo tatsächlich die Wildtiere leben, galoppiert das Bevölkerungswachstum davon.

Dann sind alle Pflegemaßnahmen zum Erhalt bedrohter Arten nur Kosmetik?

Morris: Angesichts dieser Bedrohung helfen auch alle noch so gut gemeinten Wildschutzmaßnahmen nichts. Natürlich muß auch das Wildern und die Ausbeutung der Wildtiere aufhören, als Stichworte nenne ich nur etwa Elfenbein für den Westen oder Tigerknochen als begehrtes Aphrodisiakum in China. Doch auch durchgreifende Maßnahmen hier verblassen vor der Bedrohung durch menschliche Überpopulation.

Wie kann der Überbevölkerung wirksam entgegengetreten werden?

Morris: Um dieses Problem zu bewältigen, ist es in erster Linie notwendig, die Haltung der Menschen zu verändern. Welche Kultur Sie auch immer in der dritten Welt betrachten, immer haben sie das Problem, daß viele Kinder als Reichtum und Stolz angesehen werden. Einmal sah ich einen Mann weinen, weil er nur zwei Kinder vorweisen konnte und sich damit nicht als Mann definieren konnte. Da half auch nicht, ihm zu versichern, gerade er hätte die richtige Zahl an Kindern. Das ist diesen Leuten auch nicht beizubringen. Wenn irgend etwas funktioniert, dann nur, sie davon zu überzeugen, daß es männlicher ist, zwei Kinder zu haben als acht.

Wie wirkt sich die Überbevölkerung auf die menschliche Population aus?

Morris: In der Tat, sie begünstigt die Anfälligkeit für einen Virus, dem theoretisch große Teile der Weltbevölkerung zum Opfer fallen könnten. Denn Überpopulationsstreß beeinträchtigt das Immunsystem. Denkbar ist durchaus ein Aussterben von neunzig Prozent der Population. Dann wären wir die Dinosaurier. Ehrlich gesagt, wenn man die Läufe der Natur studiert, ist es erstaunlich, daß das noch nicht passiert ist. Bedenken Sie, wir haben inzwischen schon Städte mit zwanzig Millionen Einwohnern. Die Viren mutieren ständig, irgendwann wird sich darunter auch eine Form finden, die uns verhängnisvoll angreifen kann. Dem gilt es durch Verhinderung menschlicher Überbevölkerung vorzubeugen, sonst werden diese Viren der Zukunft reinen Tisch mit uns machen.

Sie plädieren aber neben einem neuen Bewußtsein gegen Überbevölkerung auch für ein neues Bewußtsein für die Natur?

Morris: Ja, entscheidend ist, das Bewußtsein der Menschen zu verändern. Es muß völlig uninteressant werden, Pelze zu tragen, Elfenbein-Schnitzereien zu kaufen oder obskure Aphrodisiaka zu verlangen. Solange ein Bedürfnis nach diesen Dingen besteht, solange helfen Gesetze nicht wirklich, denn sie werden umgangen werden. Polizeikontrolle ist zweifelsohne unverzichtbar, doch keine Lösung. Notfalls werden Wildhüter und Busch-Polizei selbst liquidiert , um an die heiße Ware zu kommen. Nein, es hilft nur ein Sinneswandel. Verkauft zum Beispiel den Chinesen Viagra, macht ihnen klar, daß Viagra hundertmal wirksamer ist als ihre traditionellen Mittelchen, dann können wir vielleicht die Tiger retten. In den traditionellen Ländern sind Aberglaube und Religion die größten Feinde der Naturerhaltung. Denn nicht nur, stempelt so manche Religion Tiere zu wilden Bestien ohne Seele, sie predigt auch noch den Segen der Fruchtbarkeit und die Ausbreitung des Menschen über die Erde.

Aber gerade die christliche Wahrheit, die auch in Afrika verbreitet ist, gibt doch den klaren Auftrag zur Verantwortung für die Schöpfung. Allein der Begriff "Schöpfung" weist darauf hin, daß Mensch, Tier und Natur Teil ein und desselben Gedanken Gottes sind.

Morris: Feind der Naturerhaltung ist Religion insofern, als sie Ausbeutung und Überbevölkerung Vorschub leistet. In der christlichen Religion sind Tiere wilde Bestien ohne Verstand. Und der Katholizismus stellt sich gegen jede Eindämmung der Bevölkerung. Sicher gibt es aber auch andere christliche Glaubensgemeinschaften. Religionen ist es eben eigen, den Menschen gesondert zu betrachten. Sie sehen ihn nicht als Tier. Als ich mein Buch "Der nackte Affe" veröffentlichte, sah ich mich schwerer Vorwürfe von religiöser Seite ausgesetzt. Diese religiösen Überzeugungen sind einfach gefährlich für die Erhaltung der Natur.

Das Christentum hat die Wahrheit Gottes in Europa und in Afrika offenbart. Das Überpopulationsproblem existiert aber nur in Afrika. Also ist es doch ein Frage der Kultur?

Morris: Oh, ich wollte nicht den Eindruck erwecken, Religion verursache diese Probleme. Religion ist ein Faktor, der das Problem verursacht. Kultur oder Gewinnstreben sind weitere Faktoren, ich hatte das bereits angesprochen. Sie alle sind nicht das Problem, sondern verursachen es. Das Problem ist das mangelnde Bewußtsein für die Notwendigkeit der Erhaltung der Natur. Ich möchte dies mal als "Schlüsselproblem" kennzeichnen. Meine Erkenntnis ist eben, daß wir die Erhaltung der Natur nicht werden durchsetzen können, wenn wir nicht zu der Einsicht gelangen, daß der Mensch ein Tier unter vielen ist.

Was erhoffen Sie sich von der Artenschutzkonferenz in Nairobi?

Morris: Ich würde mir wünschen, daß die Konferenz von Nairobi nicht in den genannten Nebensächlichkeiten steckenbleibt, sondern das schon dargestellte Schlüsselproblem, die Überbevölkerung, endlich klar benennt.

Das ist von einer Artenschutzkonferenz wohl nicht zu erwarten.

Morris: Ja, so ist es wohl. Doch herumdoktern an den Symptomen beseitigt die Ursache nicht. Die Wildnis der Welt wird in Gefahr bleiben. Der Überzeugungswandel ist machbar, sehen Sie doch nach Europa, dort ist es inzwischen unmöglich, Pelz auf der Straße zu tragen. Da hilft es auch nicht, Wildpelz durch Zuchtpelz zu ersetzen. Ökologisch gut gemeint, funktionierte aber nicht, denn es war kein grundsätzlicher Bewußtseinswandel.

Ist es nicht an der Zeit, eine allgemeine Charta für den Umgang mit Tieren zu verabschieden. Sie haben etwas derartiges bereits in Ihrem Buch "Der Vertrag mit den Tieren" 1993 vorgeschlagen?

Morris: Ich habe mal sozusagen "Zehn Gebote" für das Zusammenleben mit Tieren zusammengefaßt. Ob das Wikung hatte, weiß ich nicht. Ich rede und schreibe schon seit so vielen Jahren und kann nicht erkennen, daß sich etwas Entscheidendes getan hätte. Meine Bücher werden eben auch immer wieder nur von denen gelesen, die sowieso schon unserer Meinung sind. Die, die es sich mal hinter die Ohren schreiben sollten, interessieren sich doch wie immer nicht im mindesten dafür. Es sieht nicht gut aus für die Wildtiere unserer Welt. Am Ende bleiben vielleicht nur die Tauben am Trafalgar Square.

 

Desmond Morris, britischer Zoologe, wurde 1928 in Waltshire/England geboren. Er gehört mit seinen Studien zu den bedeutendsten Verhaltensforschern der Gegenwart. Durch seine zahlreichen Veröffentlichungen, darunter der Bestseller "Der nackte Affe" (1970), "Der Vertrag mit den Tieren. Mensch und Tier als Schicksalsgemeinschaft für das Überleben auf unserer Erde" (1993) sowie Ausstellungen und die TV-Serie "Das Tier Mensch" (1996) wurde er international einem breiten Publikum bekannt.

 

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