© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
PRO&CONTRA
Stasi-Akten von Helmut Kohl sperren?

Natürlich darf bei der Nutzung von Stasi-Akten nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Deshalb darf es prinzipiell keine Unterscheidung zwischen Ossis und Wessis geben. Eine sinnvolle Unterscheidung trifft Opfer und Täter. Soweit westdeutsche Politiker rechtswidrig beobachtet und abgehört wurden, sind sie Opfer. Und Opferakten sollten generell nicht zur Publikation freigegeben werden. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um dienstliche oder private Inhalte handelte. Daß die privaten Teile verschlossen bleiben, versteht sich von selbst. Aber auch dienstliche Gespräche haben in der aktuellen politischen Auseinandersetzung nichts zu suchen.

Dies träfe im übrigen primär oder gar ausschließlich einen westdeutschen Personenkreis. Denn Unterlagen über dienstliche Gespräche der DDR-Größen gibt es nur sehr begrenzt. Insofern wäre die Nutzung der Akten in diesem Sinne einseitig gegen Wessis gerichtet. Für mich ist es eine Horror-Vorstellung, wenn die Akten eines Unrechtsregimes gegen demokratische Politiker verwendet würden. Der Sinn der kostspieligen Aufbewahrung liegt doch wohl darin, die Arbeitsweise der Stasi zu ermitteln und mögliche Täter zu entlarven. Er kann nicht darin bestehen, einen von der Stasi ausgewählten Kreis westlicher Politiker an den Pranger zu stellen oder ans Messer zu liefern. Hinzu kommt die durch partielle Aktenvernichtung entstandene Problematik. Die einen Akten sind – von wem auch immer – vernichtet worden, die anderen blieben oder kommen gerade aus den USA zurück. Auch diese Varianten der Selektion stiften Ungerechtigkeit.

Manche, die sich in diesem Zusammenhang als Wahrheitsfanatiker gerieren, verbergen dahinter nur ihre natürliche Neugier oder parteipolitische Absichten. Besser die Akten vernichten als auf diese Weise den demokratischen Gegner. Sonst bestimmt die Stasi auf eine perfide Weise das Schicksal westlicher Politiker noch ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung.

 

Heinrich Lummer, CDU, war Berliner Innensenator und Bundestagsabgeordneter.

 

 

Die mutigen Bürgerrechtsgruppen des Herbstes 1989 wollten die geordnete Auswertung der erhalten gebliebenen Akten garantiert sehen, um erstens den Opfern die Möglichkeit zu geben, ihre Stasi-Peiniger und die Methoden des SED-Stasi-Terrors dokumentarisch aufzuklären, zweitens Umfang und Bedeutung einer kommunistischen Geheimpolizei als Herrschaftsinstrument der Partei studieren zu können. Diese beiden Motive sind heute noch so gültig wie vor zehn Jahren.

Für das endgültige Wegschließen oder gar die Vernichtung gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Durch das Auftauchen von Abhörprotokollen und durch den massiven Versuch von Helmut Kohl, deren Auswertung durch den Untersuchungsausschuß in Sachen CDU-Spendenaffäre zu verhindern, wird erneut die Diskussion um das Stasi-Material angeheizt, und wieder geht diese in die falsche Richtung. Es ist eine Sache, ob kriminell erlangte Inhalte von Telefongesprächen in welcher Form auch immer öffentlich verwertet werden dürfen, und es ist eine ganz andere Sache, daraus eine Generaldebatte über Aufbewahrung und Auswertung der Stasi-Archive zu machen. Hinzu kommt, daß der fatale Eindruck entsteht, belastende Stasi-Akten könnten selbstverständlich gegen jeden ehemaligen DDR-Bürger verwendet werden. Kommen aber Verstrickungen von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland ans Tageslicht, dann gilt ein Verwertungsverbot. Diese Denkweise reflektiert die Ansicht, die Stasi sei eben eine Sache der DDR gewesen. Journalisten und Spitzenpolitiker mußten wissen, daß die relevanten Telefone von der Stasi abgehört wurden.

Wer sich dennoch am Telefon offenherzig verplauderte, darf sich nicht wundern. Dieser verantwortungslose Leichtsinn mindert jedoch nicht im mindesten den ernsthaften Anspruch derer, die eine gesetzliche Offenlegung der Spitzel-Akten als eines der wesentlichen Ziele ihrer Bürgerechtsbewegung ansehen.

 

Gerhard Löwenthal, Journalist, 1969-87 Chefredakteur des ZDF-Magazins und Präsident des Vereins "Hilferufe von drüben"


 
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