© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Moskau gab den Ton an
Heike Amos: Die Westpolitik der DDR 1948/49–1961
Detlef Kühn

Die politische Geschichte der vor zehn Jahren verblichenen DDR ist bald besser aufgearbeitet als die der alten Bundesrepublik. Das liegt zum einen an dem oft leichteren Zugang zu den DDR-Archiven, vor allem aber an dem Reiz, den ein vermeintlich oder wirklich abgeschlossener Teilbereich der Geschichte auf viele Historiker ausübt.

Jetzt hat die ehemals Leipziger Historikerin Heike Amos, Jahrgang 1962, ein gewichtiges Werk zu einem auch für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen Teilbereich der Politik vorgelegt. Sie ist dafür durch einschlägige Studien noch in der DDR, vor allem aber durch ein verwaltungswissenschaftliches Aufbaustudium und ein anschließendes Postdoktorandenstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer qualifiziert. Hier hat sie auch das Buch "Die Westpolitik der SED" im Rahmen ihrer Tätigkeit als Forschungsreferentin erarbeitet. Dabei erlaubt ihr Alter ihr einerseits noch genügend eigene Erinnerungen an und Erfahrungen mit den Strukturen der DDR. Andererseits ist sie durch ihre relative Jugend gegen Versuchungen der Nostalgie oder gar der Apologetik gefeit.

Nur noch den älteren Lesern dürfte bewußt sein, daß die Deutschlandpolitik der SED in den vierziger und fünfziger Jahren von einem starken deutsch-nationalen Pathos, verbunden mit einer Wiedervereinigungspropaganda, getragen war, hinter der die kommunistische Zielsetzung zeitweise deutlich zurücktrat. Die SED-Führung, die natürlich alles bis ins Detail steuerte, trieb dabei einen erheblichen finanziellen und personellen Aufwand. Sie setzte nicht zuletzt auf massenhafte Begegnungen von Deutschen aus beiden Teilen des geteilten Landes, was in der damals durchaus noch nicht sehr selbstbewußten Bundesrepublik mit großem Mißtrauen verfolgt wurde. Mit umgekehrtem Vorzeichen ist diese Politik durchaus vergleichbar mit der westdeutschen Begegnungspolitik in den siebziger und achtziger Jahren, die bei der DDR-Führung ebenfalls nur Mißtrauen erregte.

Heike Amos verfolgt die SED-Politik bis zur Errichtung der Mauer 1961, gelegentlich sogar noch darüber hinaus, bis in alle Einzelheiten. Die ständig wechselnden organisatorischen Strukturen der "Westarbeit" werden so genau geschildert, daß manchmal selbst die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers zu erlahmen droht. Insofern hat das Buch auch den Charakter eines Nachschlagewerks für Fachleute.

Auf ein breiteres Interesse kann die Autorin jedoch vor allem deshalb rechnen, weil sie anhand einer Fülle von Einzelbeispielen die Verschränkungen der offiziellen DDR-Politik mit der Deutschlandpolitik westdeutscher Parteien, Organisationen und Persönlichkeiten schildert. Farbe bekommt dieser Teil vor allem dann, wenn sie sich auf Akten der SED-Parteiführung und des Ministeriums für Staatssicherheit stützen kann. Dabei wird deutlich, daß die "Westarbeit" der SED stets fest in die sowjetische Deutschlandpolitik eingebunden war. Eigenen Spielraum hatte sie allenfalls in den Details der Umsetzung. Allerdings erscheint die Sowjetunion vor allem unter Stalin oft als die eigentliche treibende Kraft bei den gesamtdeutschen Aktionen, während die SED-Führung sich manchmal lieber auf die Konsolidierung ihrer Machtposition in der DDR konzentriert hätte. Die kurzfristige Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands unter für sie attraktiven Bedingungen war für die Sowjetunion zumindest noch Anfang der fünfziger Jahre eine durchaus reizvolle Perspektive. Erst als man in Moskau merkte, daß weder die Westmächte noch vor allem die Bundesregierung unter Konrad Adenauer geneigt waren, auf diesem Gebiet politische Phantasie walten zu lassen, verließen sich die Kommunisten in den Führungen von KPdSU und SED auf die nur noch ideologisch zu begründende Hoffnung auf Wiedervereinigung durch den historisch zwangsläufigen Sieg des Sozialismus auch in der Bundesrepublik Deutschland.

Innerhalb der SED-Führung findet Heike Amos kaum deutschlandpolitische Unterschiede prinzipieller Art. Allenfalls taktisch bedingt waren die angeblich "parteifeindlichen" Bestrebungen Ernst Wollwebers, Karl Schirdewans, Franz Dahlems, Rudolf Herrnstadts und anderer, die den "Aufbau des Sozialismus" zeitweise weniger forcieren wollten, um auf diese Weise die Akzeptanz der SED-Politik bei der eigenen Bevölkerung und im Westen möglichst zu erhöhen.

Anders lag die Situation bei einigen ebenfalls von Heike Amos behandelten führenden Politikern der Blockparteien. Otto Nuschke und Georg Dertinger (CDU), Karl Hamann und vielleicht sogar Johannes Dieckmann (LDP) hatten vergleichsweise "bürgerliche" Vorstellungen vom wiedervereinigten Deutschland. Dertinger und Hamann mußten dafür mit längjährigen Zuchthausstrafen büßen.

Im Westen Deutschlands fand die SED-Führung in der an sich besonders umworbenen SPD nur verhältnismäßig wenige Ansprechpartner, meist auf der unteren Funktionärsebene, unter bürgerlichen Politikern vor allem in der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), im Bund der Deutschen (BdD) und in der Deutschen Friedensunion (DFU). Diese Parteien kamen aber bei Wahlen kaum über zwei Prozent hinaus. Die etablierten Parteien und ihre Vertreter befürchteten dagegen stets, bei Kontakten mit den Massenorganisationen der DDR in der westdeutschen Öffentlichkeit als "Handlanger der Kommunisten" abgestempelt zu werden, was angesichts der allgemeinen Abneigung gegen die Politik der Kommunisten im Osten und der daraus resultierenden wachsenden Fluchtbewegung tödlich gewesen wäre.

Am ehesten konnte sich noch die FDP wegen ihrer unbestritten nationalen und marktwirtschaftlichen Orientierung Ostkontakte dieser Art leisten. Ihre Politiker machten davon auch am häufigsten Gebrauch. Weitgehend neu ist in diesem Zusammenhang die ausführliche Darstellung der Bemühungen vor allen nationalliberaler FDP-Abgeordneter wie Wolfgang Döring, Ernst Achenbach und Erich Mende, bei der Genfer Außenministerkonferenz 1959 offizielle Kontakte zwischen den beiden deutschen Delegationen herzustellen, die ansonsten nur als Begleiter der Außenminister der Großmächte am "Katzentisch" zugelassen waren.

Hintergrund war das Bemühen der FDP unter Thomas Dehler, im Bundestag eine gemeinsame Entschließung aller Parteien zustande zu bringen, mit der die Vier Mächte gebeten werden sollten, Ost-Berlin und Bonn einen Auftrag für deutsch-deutsche Wiedervereinigungsverhandlungen zu geben. Die CDU unter Bundeskanzler Adenauer lehnte dies ab, obwohl sich sogar Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier dafür eingesetzt hatte. Die SPD, die zu dieser Zeit schon die Option einer Großen Koalition im Blick hatte, traute sich auch nicht. Nicht einmal Herbert Wehner, der – wie Heike Amos nachweist – ansonsten mehrere persönliche Kontakte mit SED-Vertretern hatte, mochte hier offenbar ein Risiko eingehen.

Man beendet die Lektüre des gründlichen Werks von Heike Amos mit einer gewissen Melancholie. Auch wenn sie immer wieder und sicherlich zu Recht darauf hinweist, daß die SED-Führung unter Walter Ulbricht kein Interesse daran haben konnte, durch freie Wahlen und Wiedervereinigung ihre Machtposition in der DDR zu verlieren, bleibt die Frage offen, ob die Interessenlage der Sowjetunion als der führenden Macht nicht doch Raum für eine phantasievollere Deutschlandpolitik des Westens geboten hätte. Diese hätte nach Lage der Dinge nur durch Adenauer initiiert werden können. Er hatte daran jedoch kein Interesse, und die Westmächte sahen erst recht keinen Anlaß, ihn in diese Richtung zu drängen. So mußte erst das kommunistische System an seinen eigenen Fehlern zugrunde gehen, bis 1989 der freie Wille der Deutschen in der DDR die Wiedervereinigung ermöglichte.

 

Heike Amos: Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. "Arbeit nach Westdeutschland" durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Akademie Verlag, Berlin 1999, 400 Seiten, geb., 78 Mark

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


 
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