© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Rückblick auf Prognosen
Freundeskreis veranstaltete das 2. Jünger-Symposion im Kloster Heiligkreuztal
Tobias Wimbauer

Am 29. März wäre Ernst Jünger 105 Jahre alt geworden. Der 1998 gegründete "Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger" veranstaltete vom 31. März bis 2. April das 2. Jünger-Symposion im oberschwäbischen Heiligkreuztal bei Wilflingen, das unter dem Motto "Prognosen" stand.

Etwa 200 Gäste fanden sich im Kloster ein, der Kreis der Anwesenden bildete ein "Wer ist wer" der Jünger-Welt: Liselotte Jünger, die am Sonntag kleine Besuchergruppen durch das Jünger-Haus führte, das Ehepaar Mohler, der Verleger Michael Klett, der Bildhauer Serge D. Mangin, um nur wenige zu nennen.

Nach der Eröffnung der hübschen Ausstellung der Fotos von Barbara Figal durch Thomas Scheuffelen (Schiller-Nationalmuseum, Marbach) hielt der 94jährige Freund Jüngers und LSD-Entdecker Albert Hofmann (Burg, Schweiz) einen eindrucksvollen Vortrag über Drogen und Rausch im Leben und Werk Ernst Jüngers, ein Thema, über welches Hofmann sich bereits 1989 in Bilbao anläßlich der Verleihung der ersten Ehrendoktorwürde an Ernst Jünger geäußert hatte.

Der Samstag begann mit einem Vortrag über die Prognosen Jüngers von Günter Figal (Tübingen), auf dessen Edition des Briefwechsels Jünger/Heidegger Auszüge in der Welt am Sonntag neugierig machten. Interessantes folgte auch von Luca Crescenzi (Pisa), der sich besonders des Heliopolis-Stückes "Ortner über den Roman" annahm, und von Friedrich Gaede (Halifax) zu Jüngers Blick über die Zeitmauer.

Der Nachmittag wurde eingeleitet mit dem Vortrag Helmut Mottels (Dresden) über "Ernst Jünger im Kontext der prophetischen Literatur". Mottels Beitrag wird in gedruckter Form wohl sicherlich lesbar und lesenswert sein, aber ... Eine gehörige Portion Figalscher Rhetorik wäre den Zuhörern sehr entgegengekommen, da half auch die Leni-Riefenstahl-Videosequenz wenig. Anschließend bot Jacqueline Bel eine gute Einführung in die (zur erneuten Lektüre jedem ans Herz zu legende) "Perfektion der Technik" Friedrich Georg Jüngers.

Der Abend fand einen genußreichen Ausklang: die Mezzosopranin Sylvie Oussenko (Paris) sang mit imposanter Stimmgewalt Vertonungen von Friedrich Georg Jünger-Gedichten von Pierre Migaux und Lucie Robert-Diessel, eine Welturaufführung, sowie dem Ohr vertraute Lieder von Brahms und Berlioz.

Am Sonntag überzeugte Michael Großheim (Rostock) mit dem "Zauber der Moderne"; viele der Verbindungen Ernst Jüngers zur Romantik wurden von ihm aufgezeigt, die das von Karl Heinz Bohrer in der "Ästhetik des Schreckens" gezeichnete Bild der Romantikrezeption Jüngers ergänzten und abrundeten. Und dann: François Poncet. Der französische Germanist und (nicht nur) Jünger-Übersetzer, als "Multitalent" vorgestellt – fast schon eine Untertreibung –, sprach über das "Kleid der Erde", der Gaia, die sich, so Jünger, häutet. Poncet erhielt Szenenapplaus, und der war hochverdient.

Für die anschließende Podiumsdiskussion, vornehmlich über die Frage der "Freiheit", dem Waldgänger und dem Anarchen ja ein zentrales Anliegen, moderiert von dem Jünger-Biographen Heimo Schwilk, blieb leider nur wenig Zeit. So konnte manches nur angeschnitten werden, das einer Vertiefung bedurft hätte. Dem Mittagessen im Wilflinger "Löwen" folgte der Besuch des Jünger-Hauses, durch das Liselotte Jünger führte. Mit schwarzem Kaffee im Stauffenbergschen Schloß ließ man das Symposion ausklingen.

Das 2. Jünger-Symposion war geprägt von der wissenschaftlichen Sicht auf das Œuvre. Das Museum gewordene Jünger-Haus verstärkte diesen Eindruck. Ein umfassender Büchertisch würde beim nächsten Jünger-Symposion, das für das kommende Jahr geplant ist, sicherlich begrüßt werden. Die Teilnehmer werden dieses Wochenende in guter Erinnerung behalten, es waren fruchtbare Vorträge und anregende Gespräche innerhalb des Freundeskreises.

 

Tobias Wimbauer, 23, studiert Germanistik und Philosophie in Freiburg und veröffentlichte im vorigen Jahr das "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers".


 
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