© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Die Rivalen stehen in den Startlöchern
Wenige Tage vor ihrem Parteitag in Essen hat die CDU noch nicht wieder Tritt gefaßt
Paul Rosen

Wenn früher Minister oder Parteivorsitzende ihre Ämter antraten, war oft von einer 100-Tage-Schonfrist die Rede. Angela Merkel, die künftige Chefin der CDU, kann darauf nicht mehr vertrauen. Als der Stern ihr vor Monaten zurief, "Frau Merkel, kandidieren Sie", war die Welt aus Sicht der linksdominierten Medien noch in Ordnung. Die rot-grüne Koalition konnte ihr Toskana-Leben unbehelligt führen, die CDU war innerlich tief zerstritten und hatte die Spendenaffäre wie einen Mühlstein am Hals.

Wenn die in Hamburg geborene und in Rostock aufgewachsene Pastorentochter Merkel am kommenden Montag in der Ruhrgebietsmetropole Essen zur CDU-Vorsitzenden gewählt wird, werden die Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit erst richtig losgehen. Auf eine Schonfrist kann Frau Merkel nicht rechnen. Vermutlich braucht sie aber auch keine.

Lange vor dem Fall Schäubles hatte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Rühe, der damals noch nicht als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein gescheitert war, Frau Merkel attestiert: "Wer durch dieses Feuer geht, kann alles." Das Feuer war die Spendenaffäre, und das Kompliment des Hamburgers Rühe, der zeitweilig als Konkurrent um den CDU-Vorsitz im Gespräch war, war ernst gemeint. Angela Merkel, von Altkanzler Helmut Kohl als "das Mädchen" verspottet, war es, die den Oggersheimer vom Parteidenkmal stürzte, weil er die Namen der anonymen Spender nicht nennen wollte. "Das Mädchen" hielt auch die Ministerpräsidenten der CDU/CSU in Schach, die in gewohnter Manier bei einem konspirativen Treff im Lübecker Rathauskeller einen geeigneten Kandidaten für den CDU-Chefsessel auskungeln wollten. Ihre Ankündigung, sie werde gegen wen auch immer nach Schäubles Rückzug als CDU-Vorsitzende kandidieren, wurden von den Alten Herren der CDU als bewußte Drohung verstanden. Beleidigt verließen die Ministerpräsidenten die Bühne und machten somit den Weg für die studierte Physikerin frei.

Die deutsche Politik betritt damit am Montag Neuland. Erstmals wird eine große Volkspartei von einer Frau geführt, und erstmals rückt eine Politikerin aus den neuen Bundesländern in das Zentrum der Macht – wenn auch noch in einer Oppositionspartei. Und: Frau Merkel ist gut zehn Jahre jünger als der Bundeskanzler. Gerhard Schröder scheint die Dimension der künftigen Auseinandersetzungen inzwischen zu ahnen: In einem der von ihm so geliebten Hintergrundgespräche mit den Büroleitern der in Berlin akkreditierten Korrespondentenbüros spottete er, die CDU-Führung sei jetzt zwar jünger, aber habe im Unterschied zur SPD-Führung keine Antworten auf die wichtigen politischen Fragen. Damit war die Frage zwar nicht beantwortet, aber mit einem für Schröder typischen Kalauer erst einmal vom Tisch. Auch die Frage nach den Politikerinnen der SPD an wichtiger Stelle beantwortete Schröder in gewohnt flapsiger Art: Er sei keine Frau, und er wolle auch keine mehr werden. Die Tafelrunde im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude – überwiegend Herren, versteht sich – schüttelte sich vor Lachen. Die dritte Frage nach dem Stellenwert von Repräsentanten aus den neuen Bundesländern beantwortete Schröder erst gar nicht. Schröder versucht hier, ein Problem an die Seite zu drücken, das der westdeutschen, von alt- gewordenen Männern dominierten SPD entgegeneilt.

Der Führungsstil in der Merkel-CDU scheint ein anderer zu werden. Wichtige Entscheidungen vor dem Essener Parteitag wurden im Unterschied zur Ära Kohl nicht erst in den Zeitungen diskutiert und dann beschlossen. Statt dessen wurde die Öffentlichkeit vor vollendete Beschlußvorschläge gestellt. Wochenlang rätselten die Zeitungen zum Beispiel, wen Frau Merkel als neuen Generalsekretär der CDU installieren werde. Erst einen Tag vor der entscheidenden Sitzung des Präsidiums sickerte durch, daß die neue Vorsitzende den aus Münster in Westfalen stammenden Bundestagsabgeordneten Ruprecht Polenz als Generalsekretär vorschlagen will. Zu Kohls Zeiten wäre der Name schon Tage vorher per Bild-Zeitung bekannt gewesen.

Auch das Sanierungskonzept der durch Kohls Finanzaffäre schwer angeschlagenen CDU setzte Frau Merkel still und heimlich durch. So sollen die Kreisverbände der vor der Pleite stehenden Partei aus der Patsche helfen. Für jedes Mitglied sollen die teilweise sehr vermögenden Unterorganisationen fünf Jahre lang jeden Monat eine Mark an die Bundeszentrale abführen müssen. Auch die Bundespartei will sparen: Das vierteljährliche Mitgliedermagazin, das in den meisten Fällen direkt vom Briefkasten in den Altpapiercontainer gewandert sein dürfte, wird komplett eingestellt. Das Personal der Bundesgeschäftsstelle muß von rund 150 auf unter 100 verringert werden. Und die Betriebs- und Mediengesellschaften der CDU werden liquidiert, was nochmals fünfzig Arbeitsplätze kosten dürfte.

Während es bei den Sozialdemokraten schon großes Geschrei um die in Planspielen der SPD-Schatzmeisterei erwogene Schließung des Dietz-Verlages gab, beriet die CDU ihr Sanierungskonzept, ohne daß die Medien der Partei im geringsten auf die Spur kamen. Diese Qualitäten sind neu in der Partei, die angeblich "mitten im Leben" steht und sich offenbar dennoch abschotten kann wie weiland das Zentralkomitee. Doch schweigen hat Frau Merkel gelernt. Schließlich ist sie in einer Gesellschaft groß geworden, in der unvorsichtiges Reden mehrere Jahre Gefängnis nach sich ziehen konnte.

Rüttgers und Merz verstehen sich als Konkurrenten

Es fragt sich allerdings, ob die in der Bundesrepublik groß gewordenen Funktionäre rund um Frau Merkel an der Schweigespirale weiter mitdrehen werden. Die Physikerin ist von der breiten Stimmung der Basis an die Spitze getragen worden, was durch zahlreiche Regionalkonferenzen mit den "Angie, Angie"-Rufen dokumentiert wurde. Es gibt viele widerstrebende Interessen in der CDU, die sich im Stile einer Metternichschen Geheimpolitik nicht werden bündeln lassen.

Insgeheim hält sich zum Beispiel der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers für den besseren Vorsitzenden. Rüttgers wird in Essen, daran besteht kein Zweifel, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt werden. Wegen der Landtagswahlen im größten Bundesland am 12. Mai konnte Rüttgers nicht nach dem Vorsitz der Bundespartei greifen. In ein oder zwei Jahren dürfte er jedoch nach seinen Chancen suchen.

Da ist auch der neue Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, wie Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen. Merz sieht sich noch nicht am Ende der Karriereleiter angekommen. Schon wird hinter den Berliner Kulissen gemunkelt, Merz und Merkel könnten sich wegen der Kanzlerkandidatur im Jahre 2002 schon bald bekriegen, nachdem der Bayer Edmund Stoiber – vorerst jedenfalls – keine Ansprüche mehr anmeldet, weil er – das hat er mit Schröder gemeinsam – kein überzeugendes Rezept gegen die Verjüngungskur bei der CDU gefunden hat. Der Zwist zwischen Merz und Merkel dürfte jedoch viel früher ausbrechen, zum Beispiel um die wichtige Frage, wer im Bundestag auf Regierungserklärungen des Bundeskanzlers antwortet: die Partei- oder der Fraktionsvorsitzende?

Auch in der Sachpolitik löst Schweigen die Probleme, die die CDU mit sich selber hat, nicht. In der Asylpolitik hat ausgerechnet der sonst wenig präzise Rüttgers mit seinem Widerstand gegen Schröders Green Card für ausländische Computer-Spezialisten aufgedeckt, daß die CDU hier ihren Kurs noch nicht gefunden hat. Während Teile der Partei die Green Card ablehnen und mit einer generellen Einwanderungsdebatte verbinden wollen, läßt der Wirtschaftsflügel Sympathien für Schröders Pläne erkennen. Frau Merkel selbst hielt sich in der ganzen Diskussion bedeckt. Wenn sie sich äußerte, konnte sie sowohl in die eine wie auch die andere Richtung interpretiert werden.

Hinzu treten Unvorsichtigkeiten. Merz‘ fundamentalistische Äußerungen zur Besteuerung von Renten dürften manchen Wähler in Nordrhein-Westfalen wieder vor die Frage gestellt haben, ob die CDU wirklich noch die Interessen der älteren Generation vertritt. Der jungforsche Sauerländer erlitt hier einen Rückfall in die pure Steuersystematik. Wahlen sind damit jedoch nicht zu gewinnen. Nach wie vor scheint die CDU ihre Rolle als Oppositionspartei nicht gefunden zu haben: Staatstragend wie sie immer war, will die Union offenbar der rot-grünen Koalition die Drecksarbeit bei den hochsensiblen Themen Rente und Steuern abnehmen.

Und auf eine besonders wichtige Frage hat die CDU trotz zahlreicher Bemühungen überhaupt keine Antwort geben können: Auf dem konservativen Flügel spielt sich nichts mehr ab, das rechte Spektrum der Partei wirkt gelähmt. In dieses Vakuum könnte eine Konkurrenz nach Vorbild der österreichischen FPÖ vorstoßen. Merkel, Merz, Rüttgers, der Saarländer Peter Müller und der Niedersachse Christian Wulff sind allesamt keine Politiker, die konservative Positionen überzeugend vertreten können. Dieses Vakuum wird sich auch nicht durch die Wahl des einen oder anderen konservativen Exponenten, etwa des brandenburgischen Landesvorsitzenden und Innenministers Jörg Schönbohm, in das erweiterte Präsidium füllen lassen. Dazu hätte er schon Generalsekretär werden müssen.

Nur ein Problem, die mangelnde Vertretung der älteren Generation, löst sich von alleine: Auch Frau Merkel wird älter.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen