© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Postmaterialismus
Karl Heinzen

Kehrte Manfred Krug beim Börsengang der Telekom noch heraus, daß auch der Anlagetrottel, der sonst nur sein Postparbuch und seinen Bausparvertrag im Portfolio hat, mit dem Kauf dieser Aktie kaum etwas falsch machen kann, so gibt sich die Internet-Tochter aus Ron Sommers Familie, die ab dem 17. April am Neuen Markt gehandelt wird, erheblich mehr Mühe. Sie nimmt die Menschen, deren Geld sie will, ernst, auch wenn bei ihnen im Einzelfall gar nicht so furchtbar viel zu holen ist. Der Cyber-Arier Robert T.-Online scheint daher genau jenen Vorstellungen abgeguckt, die sich der Kleinanleger von einem seriösen Anlageberater mit dem Sinn für Zukunftswerte macht: Er ist verhaltensgestört, arrogant und zugegebenermaßen kein Mensch, sondern ein Ökonom. Früher hätte man auf eine derartige Provokation wohl mit der Wahl der SPD reagiert und still darauf gehofft, daß die hinter solchen Sauereien stehende Klasse vielleicht doch einmal einer gerechten Strafe zugeführt und enteignet wird. Heute ist man hier natürlich klüger und will wenigstens dabei sein, wenn der Kapitalismus das Volk ausnahmsweise zum Mitverdienen einlädt.

Und das geht ganz einfach, "Bild" erklärt wie: "Wer 50 Aktien zu 30 Euro bekommt und sie sofort für 60 Euro verkaufen kann, macht an einem Tag 1.500 Euro Gewinn (ca. 3.000 Mark)." Da ist wirklich schlecht beraten, wer sein Glück nicht wenigstens versucht. Je mehr Interessenten Aktien zeichnen, desto mehr werden bei der Zuteilung leider auch leer ausgehen. Das Risiko einer vorübergehend verhagelten Stimmung all derjenigen, die nicht zum Zuge kommen, ist aber in Kauf zu nehmen. Seine pädagogische Stoßrichtung macht den Börsengang als Volksaktie unverzichtbar: Ein müheloses Einkommen gilt bis in unsere Tage nämlich als etwas, das sich viele Menschen zwar wünschen, aber nur wenige zutrauen. Die Prägung durch die Arbeitsgesellschaft der Vergangenheit ist immer noch sehr stark. Manche haben unverändert einen Bezug zu ihrem Ersparten, weil sie wissen, welche Mühe sie selbst oder wenigstens ihre Vorväter aufwenden mußten, um es zu verdienen. Nur wer hinter seinem Vermögen nicht länger eine Leistung sieht, kann jedoch den Mut aufbringen, riskantere Anlageformen zu wählen. Dieser praktische Postmaterialismus reift einerseits mit der Zeit, also mit der wachsenden Entfernung derer, die über die Vermögen verfügen, von jenen, die sie einst schufen, man kann ihn aber auch erlernen, und man erlernt ihn natürlich um so lieber, wenn man davon auch noch etwas hat.

Es ist also eine glückliche Fügung, daß risikoarme Börsengänge mit großen Volumina das Eis brechen und für einen Augenblick tatsächlich der Glaube genährt werden kann, eine neue Ära ohne ökonomische Krisen sei angebrochen. Spätestens wenn hier wieder Normalität einkehrt, wird man die Kleinanleger zu schätzen wissen. An ihnen werden professionelle Anleger auch nach einem Ende der Euphorie noch verdienen können.


 
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