© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000


PRO&CONTRA
Soll die Wehrpflicht beibehalten werden?

Konzeptlosigkeit und schwache Staatsfinanzen sind nicht gottgewollt. Wenn eine Bundesregierung ihrer Aufgabe nachkäme, klar zu definieren, wozu Deutschland die Bundeswehr braucht und welche politische Priorität der militärische Schutz von Frieden und Sicherheit in Europa haben soll, könnten Fachleute daraus Art, Umfang und erforderliche Ausrüstung der Streitkräfte ableiten.

Auch knappe Kassen sind nicht unbedingt ein Hindernis. Solange Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr 50 Milliarden Mark für hier lebende Ausländer ohne eigenen Broterwerb ausgeben und solange der Bund die EU jährlich mit 20 Milliarden Mark Nettobeitrag unterstützt, müßte Spielraum für eine notfalls erforderliche Aufhebung des Verteidigungshaushalts gegeben sein. Erst wenn Konzept und Geld vorhanden sind, kann man darüber reden, was man damit macht.

Eine unserem Land angemessene Bundeswehr sollte der Größe unserer Bevölkerung, dem Nationaleinkommen und einer gerechten Lastenteilung in Europa entsprechen. Bei allen drei Parametern sind wir im Augenblick die Schlußlichter in der Nato. Eine Abschaffung der Wehrpflicht mit einer Verkleinerung der Bundeswehr um die Zahl der heutigen Wehrpflichtigen schließe ich deshalb aus. Schließlich haben wir kürzlich noch beschlossen, die europäische Säule der Nato zu verstärken. Wer bei angemessen großer Bundeswehr auf die Wehrpflicht verzichten will, muß Freiwillige zu deren Ersatz anwerben.

Das wird teuer, und genügend qualifizierte Bewerber werden sich nicht melden. Die menschliche und fachliche Qualifikation muß der Verantwortung entsprechen, die auch ganz junge Soldaten zu übernehmen haben: beim Umgang mit Waffen und Sprengstoffen, bei Aufgaben in brisantem Umfeld, bei Risiko fürs eigene Leben und beim Schutz anderer durch Gewaltanwendung oder gewaltfreies Intervenieren. Ich plädiere deshalb für die Beibehaltung der Wehrpflicht.

Gerd Schultze-Rhonhof ist Generalmajor a. D.

 

 

Eine Wehrpflichtarmee ist und bleibt aus einer Vielzahl von Gründen wünschenswert, sie ist unter den gegebenen Umständen jedoch utopisch. So hat Deutschland de facto ohnehin schon eine Freiwilligenarmee, allein durch die Tatsache, daß das Ausmaß der Wehrdienstverweigerungen das eigentliche Wehrpflichtsystem ausgehöhlt hat. Der offizielle Übergang zu einer Berufsarmee wäre daher nur etwas ehrlicher als die fortgesetzte Behauptung, in Deutschland gäbe es noch so etwas wie die Wehrpflicht. Die Zeiten, in denen das Militär als wichtige "Schmiede der Nation" betrachtet wurde, sind vorbei: Altes Gerät, zu kurze Ausbildungszeiten und mangelnder Korpsgeist wirken sich auch auf die Moral überzeugter Soldaten aus.

Eine moderne Armee kann die Herausforderung der Zukunft weder mit fünf noch mit zehn Monaten Ausbildung meistern. Die zukünftigen Militärszenarien deuten auf neue Aufgabenfelder hin, für die wesentlich längere Ausbildungszeiten benötigt werden. Dafür bringt der durchschnittliche "Bürger in Uniform" kaum die richtigen Voraussetzungen, man kann dies im Umfeld einer Überflußgesellschaft auch kaum anders erwarten. Angesichts der zukünftigen In- und Auslandseinsätze der Bundeswehr in ethnischen Konfliktszenarien wird der professionell und hervorragend ausgebildete Soldat gefragt sein. Das "vertikale Schlachtfeld" und die verschwommenen "Frontlinien" in multiethnischen Städten werden die künftigen Herausforderungen stellen. Solche Szenarien sind technologie- und personalintensiv und daher teuer. Die Realität ist, daß Staaten sich ihre Wehrpflichtarmeen unter solchen Umständen nicht mehr leisten können, während gleichzeitig der Bürger sich nicht mehr selbstverständlich für den Militärdienst zur Verfügung stellt. Solche Überlegungen machen den Übergang zu einer Berufsarmee unvermeidbar und spiegeln die traurige Entwicklung des modernen Staates als bürgerfernes "Dienstleistungsunternehmen" wider.

(JF)


 
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