© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000

 
Hüter der Verfassung
von Klaus Motschmann

Die neuerlichen Querelen um das Landesamt für Verfassungsschutz in Berlin führen nach der bewährten Strategie der Desorientierung wieder einmal bewußt am Kern des eigentlichem Problems vorbei. Sie beantworten damit die Frage nach der Zweckmäßigkeit und der Form dieser einst so wichtigen Institution. Nach den einfachsten Grundsätzen der politischen Struktur- und Funktionslehre hängen die Bedeutung und die Effizienz einer Institution nicht allein von ihrer Organisationsstruktur und den zur Verfügung stehenden Mitteln ab, sondern in erster Linie von einem möglichst breiten Konsens über ihre Notwendigkeit. Davon kann in der realdemokratischen Wirklichkeit der Bundesrepublik keine Rede sein. Der Prozeß der politischen Urteils- und Willensbildung vollzieht sich inzwischen unabhängig von den Ergebnissen der Arbeit des Verfassungsschutzes.

Mehr noch: die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wird in bestimmten linksintellektuellen Milieus eher anerkennend als negativ beurteilt. Zumindest wird den Betroffenen in der Regel hinreichend die Möglichkeit geboten, sich dazu zu äußern. Andererseits darf nach den Grundsätzen der antifaschistischen Verfassungshüter und dem Grundsatz "Wehret den Anfängen" jeder als Verfassungsfeind denunziert werden, obwohl keine Erkenntnisse vorliegen. Diese Mißachtung der Arbeit des Verfassungsschutzes läßt sich organisatorisch nicht beheben, sondern allein durch eine Antwort auf die Frage nach dem Demokratieverständnis unserer diversen "Hüter der Verfassung".


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen